Mittwoch, 23. Mai 2018

Wie erschaffe ich eine Fantasywelt Teil 3 – Völker & Kulturen

Nachdem ich in den letzten beiden Teilen Tipps zur Erschaffung einer Welt und ihrer Tier- und Pflanzenwelt gegeben habe, möchte ich mich in diesem Artikel der Erschaffung von Völkern und ihren Lebensweisen widmen. Wie auch zuvor sind die dabei behandelten Aspekte Denkanstöße, die helfen, eure Völker lebendiger und realistischer zu machen. Was davon ihr verwendet und in welcher Detailfülle hängt davon ab, was ihr über die jeweilige Gesellschaft aussagen wollt und welche Rolle es in eurer Geschichte spielt. An diesem Punkt des Worldbuildings habt ihr möglicherweise schon eine recht gute Vorstellung, welche Art(en) von Kultur(en) ihr für eure Geschichte braucht, so dass dieser Artikel vor allem als Gedankenstütze dient, was ihr auf jeden Fall beachten solltet, damit eure Schöpfung wohldurchdacht ist. 





Zwei wesentliche Aspekte, Religion und Geschichte, werde ich dabei nur anreißen, weil sie für sich umfangreich genug für eigene Artikel sind. Insbesondere bei epischen Erzählungen empfiehlt es sich, diese gut auszuarbeiten.

Die meisten in diesem Artikel genannten Punkte werden eure Leser nur ansatzweise mitbekommen. Denn sie dienen in erster Linie dazu, eure Welt realistischer zu machen und mit Leben zu füllen. Einige werden jedoch auch in eurer Geschichte eine wesentliche Rolle spielen. Diese gilt es dann, genauer herauszuarbeiten.

 

Herrschaftsformen

Ein Merkmal, das einem bei jeder Kultur relativ schnell ins Auge fällt und das einen sehr zentralen Aspekt darstellt, ist die Staatsform. Sie prägt den Alltag der Bewohner, gibt Regeln und Gesetze vor und ist ein wahrer Quell für Konflikte jedweder Form. Die Auswahl ist vielfältig: Monarchien, Republiken, Imperien und Diktaturen gibt es in verschiedenen Ausprägungen (z.B. parlamentarische Monarchie, Demokratie, Militärdiktatur etc.). Unmittelbar damit verknüpft ist die Frage, wie das aktuelle Regime entstanden ist. Damit schafft ihr nicht nur Authentizität – der Werdegang des Herrschers kann auch auf unterschwellige Konflikte hindeuten. Wird das Staatsoberhaupt gewählt? Ist er oder sie einem Herrschergeschlecht angehörig? Hat er sich selbst zum Herrscher ernannt? Wird der aktuelle Herrscher von Göttern auserwählt? Wird ein Herrscher auf Grund seiner Fähigkeiten oder seiner Stärke zum Herrscher? Gab es eine Gruppe, die das alte Regime gestürzt und sich selbst an die Macht gebracht hat? Gibt es eine Spezies, die über eine andere herrscht und warum? Und wie reagiert die Bevölkerung darauf? Um dies zu beantworten, braucht ihr keine Historie epischen Ausmaßes zu erschaffen. Ein paar Hintergründe helfen jedoch, das Konstrukt zu durchblicken, insbesondere wenn ein Konflikt zwischen Regierung und Bevölkerung in irgendeiner Weise maßgeblich für eure Geschichte ist.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie lange ein Herrscher regulär an der Macht bleibt. Herrscht er auf Lebenszeit oder gibt es eine bestimmte Zahl von Amtsperioden? In manchen Staatsformen ist das Oberhaupt nur ein Repräsentant, während die wichtigen Entscheidungen von einem Rat oder Parlament getroffen werden. Und in manchen Systemen ist er nur eine Marionette, während andere im Hintergrund die Fäden ziehen, das Volk jedoch nichts davon weiß.

Die Staatsform hat Auswirkungen auf die Lebensweise der Bevölkerung. Aber auch hier lohnt sich ein genauer Blick: Ein totalitäres System bedeutet z.B. nicht zwingend eine große Schere zwischen Arm und Reich. Man denke nur an den Kommunismus und die Gleichverteilung der Güter. Es hängt auch davon ab, wie sehr die Herrschenden sich um die verschiedenen Bevölkerungsgruppen kümmern und welche Absichten sie damit verfolgen.

 

Außenpolitik

Auch die Frage, wie weit ein Volk mit anderen Völkern in Kontakt steht, sagt viel über dieses aus. So wie es etwas über den oder die Machthaber aussagt:
  • Lebt es isoliert auf Grund seiner geographischen Lage?
  • Gibt es andere Gründe, warum es sich von der übrigen Welt abschottet?
  • Ist es Fremden gegenüber feindlich gesonnen oder offen?
  • Unterhält es diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu anderen Völkern?
  • Ist es entdeckungsfreudig?
  • Sind seine Kontakte mit anderen Völkern eher friedlicher oder kriegerischer Natur?
  • Hat es Verbündete/Erzfeinde?

Und auch hier steht im Hintergrund immer die Frage, wie es dazu kam. Es schadet nicht, dies zumindest für euch zu klären, wenn dies später nicht in die Geschichte einfließt.

 

Gesetzgebung

Dieser Aspekt ist eng mit der Herrschaftsform verknüpft, jedoch auch mit der Mentalität der Bevölkerung. Eine friedliche Gesellschaft braucht zweifelsohne weniger strenge Gesetze als eine korrupte oder eine mit einem hohen Anteil an Gewalt. Ein Regime, das stark auf Macht und Kontrolle setzt, wird harschere Gesetze erlassen, als ein liberales. Und ganz gewiss spielen Gesetze oder Regelungen auch da eine Rolle, wo die Machthaber bestimmte Bevölkerungsgruppen und Interessensgemeinschaften (bewusst) fördern oder vernachlässigen. Aber auch bei denen, die das Gesetz ausüben, lohnt sich ein genauerer Blick. In manchen Systemen sind sie selbst korrupt oder gewalttätig. Und auch hier stellt sich die Frage nach dem Warum: Aber sind sie es, weil sie ein ebensolches Regime repräsentieren? Oder sind sie es, weil dieses sie nicht daran hindert? Beides sagt etwas über das Regime aus. Auch lohnt es sich zu überlegen, wie die Bevölkerung zu den Gesetzen und ihre Vollstreckern steht.

Mit ein paar kleinen Erklärungen könnt ihr hier komplett unterschiedliche Szenarien erschaffen und damit eine Atmosphäre erzeugen, die die Grundlage für eure Geschichte oder kleinere Handlungsstränge schaffen kann.

 

Traditionen & Werte

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Traditionen. Sie entstehen immer dort, wo ihre Mitglieder bestimmte Werte und Tugenden für wichtig erachten. Und sie spiegeln ihre Lebensart wider. Oft sind Traditionen religiös motiviert, insbesondere in Bezug auf Feiertage oder bestimmte Tage im Jahr, die bei vielen Völkern eine spirituelle Rolle spielen (z.B. Feiern zu Sonnenwenden und Äquinoktien). Opfer- und Totenrituale zählen ebenso zu den religiös motivierten Traditionen, wie Hochzeits-, Fruchtbarkeits- und Initiationsriten.

Nicht alle Traditionen sind positiv behaftet. Die Geschichte der Menschheit hat viele, vom heutigen Standpunkt aus grausame und barbarische Rituale hervorgebracht, die in ihrem gesellschaftlichen Kontext nichtsdestotrotz eine gültige Begründung hatten. Wie etwa Streitigkeiten in einem Duell zu klären, Menschenopfer zur Besänftigung oder Götter oder Beschneidung. Solltet ihr etwas Dergleichen in eure Geschichte einbringen, schafft ihr damit Konfliktpotential und die Möglichkeit einer aktiven Auseinandersetzung mit diesen Themen innerhalb Geschichte. Neben gründlicher Recherche ist hier jedoch vor allem Fingerspitzengefühl empfehlenswert.

Die Art der Traditionen und die Intensität, mit der sie gelebt werden, sagt viel über eine Gesellschaft aus. Konservative Gesellschaften neigen beispielsweise eher zur Wahrung ihrer Traditionen, was sich in deren Ausübung und Weitergabe auf die Nachkommen widerspiegelt. Als Konsequenz davon neigen solche Gesellschaften zu starken Sub-Strömungen, die daran interessiert sind, mit diesen Traditionen zu brechen. Offene Gesellschaften sind oft weniger fest verwurzelt in ihren Traditionen und flexibler und empfänglicher für neue Einflüsse, wie z.B. durch Zuwanderung, woraus wiederum neue Traditionen entstehen können.

Wenn ihr bereits wisst, welche Werte in eurer Geschichte eine Rolle spielen, könnt ihr darüber Traditionen erfinden oder gezielt recherchieren. Es gibt unzählige Traditionen in der Geschichte der Menschheit, von denen man sich Anregungen holen kann. In jedem Fall werdet ihr ohne ein Wertesystem nicht auskommen, weil dieses die Grundlage für die Ideologien und Visionen einer Gesellschaft und ihrer Einzelpersonen bildet.

 

Kunst

Neben Traditionen ist Kunst ein wichtiger Aspekt einer jeden Kultur. Selbst primitive Frühkulturen stellten in ihren Höhlenmalereien ihr Auge für Schönheit und ihre Liebe zur Erzählkunst unter Beweis. Je höher entwickelt eine Zivilisation ist, desto mehr hat sie an Kunst zu bieten. Dazu zählen sowohl bildende Kunst (z.B. Bildhauerei, Malerei, Baukunst) als auch darstellende Kunst (z.B Literatur, Musik, Theater). Frühe Hochkulturen wie in Ägypten und Mesopotamien hatten hier bereits vor tausenden von Jahren trotz einfacher technischer Mittel einen Standard, der unserem heutigen durchaus Konkurrenz machen kann.

Kunst ist nicht nur ein Ausdruck der Träume und Sehnsüchte einer Zivilisation, sie bildet auch Mythen und das alltägliche Leben ab. Auch hier könnt ihr euch Anregungen bei heutigen und vergangenen Kulturen für eure Welt holen. Selbst, wenn Kunst für die Handlung eurer Geschichte unwichtig ist, ist sie ein wichtiger Bestandteil eures Worldbuildings.

 

Weitere kulturelle Aspekte

Mehr oder weniger parallel zu Kunst entwickeln sich Philosophie und Wissenschaft. Auch in diesen Bereichen waren frühe Hochkulturen oft schon sehr fortgeschritten. Eine Zivilisation, die nicht mehr einzig auf Überleben ausgerichtet ist, kann ihrem Forscherdrang nachgehen und sich den Natur- und Geisteswissenschaften widmen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse beeinflussen wiederum diverse Kunstformen und tragen zum Wertesystem bei.

Doch es gibt noch mehr, was eine Gesellschaft ausmacht. Dazu gehören unter anderem Mode und Nahrungsmittel und deren Zubereitung. In einer nur mäßig globalisierten Welt resultieren diese unter anderem aus klimatischen Bedingungen, können aber auch religiös motiviert oder eine Kombination aus beidem sein.

Und auch das Gesundheitswesen ist nicht zu vergessen. Gibt es Ärzte/Heiler? Wie werden sie bezahlt? Kann jeder sie sich leisten?

Auch Sport und Spiel sind ein wichtiger Aspekt. Nicht nur als Freizeitbeschäftigung, der einzelne Personen nachgehen, was wiederum eine Frage ihrer Lebensumstände ist, sondern auch in Form von Veranstaltungen, die die Massen begeistern wie Turniere oder Gladiatorenkämpfe. Diese sind sowohl ein Spiegel der Gesellschaft, als mitunter auch ein mächtiges Werkzeug der Machthaber, um die Massen zu kontrollieren. Doch auch abseits von Massenveranstaltungen lohnt sich ein genauerer Blick. Manche Bevölkerungsschichten haben weniger Freizeit und weniger Geld für Freizeitaktivitäten als andere. Spiele waren schon immer beliebt und können bereits mit einfachen Mitteln, wie Nüssen, Steinen oder Bällen aus Schweinsblasen gespielt werden. Gibt es in eurer Welt Magie, könnt ihr auch magische Spiele entwickeln. Generell bietet Magie euch hier viele Möglichkeiten, diverse Aspekte eurer Zivilisation auszuarbeiten, da sie auch mit Religion, Kunst und Wissenschaft verknüpft sein kann.

 

Bildung

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Bildungsstand eurer Zivilisation und sagt ebenfalls viel über diese und ihre Herrscher aus. In einer Gesellschaft, in der die arme Bevölkerung ausgebeutet wird und auf Überleben ausgelegt ist, wird man Bildung eher bei den wohlhabenderen finden. Möglicherweise ist Bildung sogar ein Privileg der Reichen und kostet Geld. Vielleicht ist euer System aber auch so geschaffen, dass Unterricht für die ärmeren Bevölkerungsschichten aus Steuern bezahlt werden kann. Wofür ihr euch auch entscheidet, es sollte im Rahmen des politischen Systems und seines Haushaltes nachvollziehbar sein.

 

Keine Zivilisation ist perfekt

So perfekt eine Gesellschaft auf den ersten Blick wirken kann, findet man bei genauerem Hinsehen Schattenseiten. Hier und da habe ich in diesem Artikel dazu bereits Anregungen gegeben. Doch in denke, dieses Thema ist eine genauere Betrachtung wert. Ob in der Regierung oder in der Bevölkerung – nicht alle werden mit allem einverstanden sein. Es wird immer Gruppen geben, die mit einem bestimmten Zustand unzufrieden sind, darunter leiden und dagegen rebellieren. Es wird immer Gruppen geben, die sich von Veränderungen bedroht fühlen, sei die Gesellschaft als solche auch noch so tolerant und aufgeschlossen. Aus Faustregel gilt hier: Je besser es der Bevölkerung geht, desto geringer scheinen ihre Probleme. Was nicht heißt, dass ihre Probleme deswegen weniger ernstzunehmen sind, die Problematik hat sich nur verschoben.

Rassismus, Diskriminierung, Ausbeutung und Sklaverei – all das sind Themen, denen jede Gesellschaft sich auf ihre Weise stellen muss. Egal, ob diese von der Regierung oder der Bevölkerung ausgehen, wo immer Personen leiden und sich ungerecht behandelt fühlen, entstehen Konflikte. Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, ob sie zu Wohlstand über das Blut von Sklaven gelangt ist. So wie es viel über sie aussagt, ob Errungenschaften und monumentale Bauten durch Sklavenarbeit entstanden oder ob die Erbauer freiwillig und aus einer spirituellen Motivation heraus dazu beigetragen haben.

Manchen Kulturen fehlen gewisse Aspekte. Wie zum Beispiel Kunst, Freizeitaktivitäten oder Religion. Das hat für gewöhnlich einen guten Grund, der es wert ist, herausgearbeitet zu werden. Möglicherweise ist der Herrscher ein Tyrann, der dies seinem Volk verbietet – was mitunter dazu führt, dass die Menschen diese Dinge im Geheimen praktizieren. Oder die Gesellschaft ist wissenschaftlich und/oder technologisch so fortgeschritten, dass sie glaubt, ohne Religion auszukommen. Die Gründe können vielfältiger Natur sein und darüber nachzudenken, vertieft eurer Verständnis eurer Kultur und liefert euch neue Ideen.

 

Andere Spezies

Die in diesem Artikel beschrieben Punkte müssen sich nicht zwingend auf ein menschliches Volk beziehen. Sie können ebenso für andere Spezies verwendet werden, da diese Bausteine in unterschiedlichen Ausprägungen auch in nicht-menschlichen Zivilisationen Bestandteil haben. Dabei hilft es, die Merkmale dieser Spezies mit zu berücksichtigen wie z.B. die extrem langen Lebensspannen von Elfen und ihr sanftmütiges Wesen, die vergleichsweise gewalttätige Natur von Orks oder das beschauliche Leben von Hobbits.

Selbiges gilt für Völker, in denen mehrere Spezies zusammenleben. Dabei können die unterschiedlichen Spezies sowohl voneinander lernen, als auch dass neue Konflikte erschaffen.

Eine facettenreiche und realistische Gesellschaft zu erschaffen, ist keine leichte und erst recht nicht geradlinige Sache. Ob ihr sie vor dem Schreiben komplett erschafft oder sie während des Schreibens entdeckt, ist euch überlassen. Ich persönlich bevorzuge eine Mischung aus beidem, da ich beim Schreiben und Überarbeiten merke, was sich richtig „anfühlt“. In jedem Fall werdet ihr mehrere Iterationen brauchen, bis ihr ein kohärentes Gesamtbild habt. Seht die Fehler, die ihr versehentlich einbaut als Chance. Wie bei so vielen anderen Dingen beim Schreiben muss man auch hier ausprobieren, wie es in der Praxis funktioniert. Und wie gesagt: Keine Gesellschaft ist perfekt. 



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Zum Weiterlesen:



Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.





 


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