Dies erfuhr ich erstmals, als ich, frisch von der Uni, ein Praktikum bei einem Radio absolvierte, wo mir mit schöner Regelmäßigkeit meine eloquent verschachtelten, intellektuell ausgerichteten und mit beeindruckend klingenden Fremdwörtern versehenen Texte zusammengestrichen wurden.
Lies den letzten Satz einmal laut vor, dann wirst du sicher nachvollziehen können, warum die Radioredakteure den Rotstift zückten: „Das versteht ja kein Schwein, wenn es vorgelesen wird!“ Und Recht hatten sie: Ohne den Text vor Augen zu haben, weiß doch kaum einer am Ende dieses Satzes mehr, wie der Einstieg war. Zumal das Aufnahmetempo der Zuhörer*innen nicht unbedingt mit dem individuellen Leserhythmus des Vortragenden korrespondiert. Mal ganz abgesehen davon, dass man sich beim Vorlesen gerne mal verhaspelt oder der Versuchung erliegt, zu schnell zu lesen (damit man es schneller hinter sich bringt und zum gemütlichen Teil übergehen kann (-; ).
Seit ich auf Lesebühnen und bei Poetry Slams auch Glossen vorlese, die ich für Print geschrieben habe, ist mir noch bewusster als zuvor, welcher Unterschied zwischen gelesenem und geschriebenem Wort besteht und wie wichtig Lesetempo, eine sinnvolle Betonung und kleine Pausen, die das Vorgelesene takten, sind. Deshalb ist es sinnvoll, sich auch in dieser Hinsicht auf eine Lesung vorzubereiten.
Licht ist wichtig! Die Gefahr besteht, dass die Beleuchtung in der Örtlichkeit, wo du liest, zu dämmrig ist – stimmungsvoll beim Lesen vom „Gruselmeer“, aber ziemlich ungeschickt, wenn du dann die Buchstaben nicht mehr klar erkennen kannst. Oder aber das andere, ähnlich kontraproduktive Extrem: Ein Scheinwerfer knallt dir in die Augen und blendet. Wenn möglich, deshalb immer vorher die Lichtverhältnisse abklären und bei Bedarf anpassen.
Vorlesen fällt viel leichter, wenn du nicht direkt aus deinem Buch vorliest, sondern die Stellen, die du lesen willst, gesondert ausdruckst – in etwas größerem Font, mit eineinhalbfachem Zeilenabstand und sinnvollen Absätzen im Fließtext. So kannst du an geeigneten Stellen Pausen einlegen, damit sich bestimmte Dinge setzen können („O Gott, er stirbt?“) oder Blickkontakt zu deinem Publikum herstellen, ohne nachher unbeholfen die Stelle suchen zu müssen, wo du weiterlesen solltest.
Augenkontakt ist auch wichtig – sonst würden sich die Leute einen Podcast anhören, statt sich in deine Lesung zu setzen. Du brauchst natürlich die Zuhörer*innen nicht ständig so konzentriert zu fixieren, als hättest du einen Anschlag zu befürchten. Aber ab und an wohlwollend in die Runde zu schauen, stellt einfach eine besondere energetische Verbindung zu den Leuten her. Wenn dir das schwerfällt, dann platziere Vertrauenspersonen an strategisch günstigen Stellen: in der Mitte der vorderen Reihen, und wenn genügend vorhanden sind, auch rechts und links vom Zentrum. Wenn du sie abwechselnd anschaust, kannst du dir so moralische Unterstützung abholen – während der Eindruck entsteht, du würdest alle im Publikum ansehen.
Es ist ziemlich peinlich, wenn dir am Ende eines Satzes die Luft ausgeht und du, aus dem letzten Loch schnaufend, den Schluss deshalb panisch schnell herauspresst. Unterteile deshalb längere Sätze mit Strichen, | die für die Atempausen stehen, | wo du ganz entspannt Luft holen kannst. Markiere dir die Wörter, auf die du die Betonung legen willst. Wenn es ein sehr langes Wort ist, spricht nichts dagegen, es optisch zu unterteilen:
Rindfleisch-ettikettierungs-überwachungs-aufgaben-übertragungs-gesetz.
(Sollte es dich je überkommen, davon zu schreiben (-;)
Und wenn es ein Fremdwort ist, das die wenigsten kennen, wirst du zwar sehr schlau wirken, wenn du es benutzt – aber damit nicht gerade zum Verständnis beitragen. Es einfach stehenzulassen wäre maladaptiv und unsubstantiiert. In diesem Fall ist es absolut legitim, es durch ein einfacheres Wort zu ersetzen.
Und jetzt ein Tipp, der viele Autor*innen direkt ins Künstlerherz treffen wird: Wenn ein Satz zu verschachtelt, zu komplex aufgebaut, zu UNVORLESBAR ist, du aber dennoch auf die Passage, in der er auftaucht, nicht verzichten möchtest – dann baue ihn für deine Lesung um! Mach zwei daraus, entferne einen Relativsatz, vereinfache ihn ... was auch immer nötig ist, damit der Lesefluss nicht ins Stocken gerät. Niemand, der danach dein Buch kauft, wird beim Selbstlesen aufschrecken: „Aber dieser Satz war bei der Vorlesung doch ganz anders!“ Versprochen.
Lies zur Vorbereitung alle Textstellen, die du ausgesucht hast, laut vor und schreibe dir hinter jede Passage seine Länge. Dabei solltest du die mysteriöse Regel beachten, dass ein Text, der vor Publikum gelesen wird, rund ein Drittel mehr an Zeit benötigt als beim Lesen daheim in deiner Küche. Wissenschaftler rätseln noch, woran es liegt – aber einstweilen ist es nicht verkehrt, das zu berücksichtigen. Die Zeitangaben helfen dir, wenn du ein vorgegebenes Zeitfenster einhalten willst oder musst, indem du zum Ende hin längere oder kürzere Lesepassagen auswählst, ganz nach Bedarf.
Stilles Wasser ist übrigens das Getränk der Vorlesenden. Mit kohlensäurehaltigen Getränken riskierst du Rülpser an den falschen Stellen, mit alkoholhaltigen tendierst du dazu, schneller zu lesen, als du selbst wahrnimmst. Und Saft macht Flecken.
Zu guter Letzt: Eine Lesung ist wie ein Appetizer. Sie sollte neugierig auf das Buch machen – aber nicht den Eindruck erwecken, den Plot bereits zu kennen, weil du zu viele Details verrätst. Im Zweifelsfall lieber weniger und längere Passagen auswählen als mehrere kürzere. Gib deinem Publikum Zeit, sich in eine Szene einzufühlen, statt es durch alle interessanten Settings deiner Story zu peitschen.
Es ist auch nicht verkehrt, mit einer Sonderaktion direkt im Anschluss zu locken, um den Kaufimpuls auszulösen: 20 % Ermäßigung, ein neckischer Stift extra oder „kauf zwei – nimm drei.“ Das wirkt auf mich als Zuhörerin immer sehr kauffördernd. ;-)
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Zum Weiterlesen:
- Marketing in bewegten Bildern – drei gute Gründe für Videomarketing
- Vorbereitung einer Lesung
- Buchmessen für Autoren
Martina lebt (meistens) in München und seit 2013 vom Schreiben - und zwar beides sehr gern. Im Winter ist sie meistens in Asien, in Sommer oft in Schottland.
Und wie, verehrte Autorin lesen Sie das alberne Gender *
AntwortenLöschenWenn du, verehrter anonymer Leser (vermute ich) das Gendern albern findest, unterstelle ich mal, dass du männlich, weiß, und heterosexuell bist? Also zu jenen gehörst, die von der "herkömmlichen" Sprachverwendung immer gemeint sind?
AntwortenLöschenIch würde vorlesen: Leser und Leserinnen. Das dauert kaum länger, aber es bringt wirklich was. Empfehle bei der Gelegenheit folgende Lektüre: "Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen". Irgendwann wird uns das, womit wir uns gerade noch abmühen - vor allem, wenn wir den Sinn dahinter nicht erkennen - ganz natürlich aus der Feder und von der Zunge fließen. :-)