Samstag, 10. Februar 2018

Füllwörter – und wenn ja, wie viele?

Eigentlich könnte es fast schon so etwas wie einfach sein. Füllwörter sind Wörter, die nichts zur Sache beitragen und den Text unnötig aufblasen.

Daher müsste der erste Satz dieses Artikels lauten: Es könnte einfach sein. Oder: Einfach könnte es sein. Oder: Könnte es einfach sein?





Selfpublisher wissen, dass ein Lektorat wichtig, wenn nicht sogar unerlässlich für eine Veröffentlichung ist. Lektorinnen und Lektoren wissen, dass bei Selfpublishern das Budget meist begrenzt ist und ein Lektorat preisgünstig ausfallen sollte. Was beiden Seiten entgegenkommt: Ein möglichst gut vorbereiteter Text, der das Lektorat erleichtert und damit die Kosten niedriger hält. Die Sache mit den Füllwörtern können Selfpublisher sehr gut im Vorfeld erledigen.

Klar ist: Wenn zu viele Füllwörter im Text stecken, wird er für den Leser anstrengend zu lesen sein. Ich persönliche fühle mich genervt, wenn die Füllwörter mehr Platz beanspruchen als die eigentliche Aussage des Textes.

Dazu gibt es eine Anekdote, die (evtl. fälschlich) Hemingway zugeschrieben wird, seines Zeichens gelernter Journalist und Füllwortvermeider, denn damals musste er seine Artikel telegrafieren, und da kostete jede Silbe bares Geld. Er soll auf die Wette eingegangen sein, dass er es schaffe, eine Geschichte voller menschlicher Tragik in weniger als zehn Wörtern zu schreiben. Ergebnis:


„Zu verkaufen. Babyschuhe. Nie getragen“


Diesen Minimalismus nenne ich grandios.

Andererseits: Gerade Füllwörter können auch etwas transportieren – Atmosphäre oder Symbolik nämlich. Verglichen mit einem guten Essen: Nudeln allein machen auch satt. Aber die Soße macht daraus erst etwas Leckeres. Und mit mehr Finessen serviert, werden sie zum Menü. Aber bitte: Zu viele Finessen können stören – und wer kennt sich überhaupt mit den zig verschiedenen Bestecken aus, die plötzlich nötig werden?

Ich greife in mein Bücherregal und schlage eines meiner Lieblingsbücher willkürlich auf – es lässt einen Blick auf Füllwörter zu. Ich gelange zu einer Schlüsselstelle in „Effi Briest“:

„Effi, als sie seiner ansichtig wurde, kam in ein nervöses Zittern; aber nicht auf lange, denn im selben Augenblicke fast, wo sich Innstetten unter freundlicher Verneigung ihr näherte, wurden an dem mittleren der weit offen stehenden und von wildem Wein halb überwachsenen Fenster die rotblonden Köpfe der Zwillinge sichtbar, und Hertha, die Ausgelassenste, rief in den Saal hinein: „Effi, komm!“ (Theodor Fontane: Effi Briest. Große Brandenburger Ausgabe, Seite 18).

Käme jetzt die Lektorin mit dem Rotstift auf die Idee, die Füllwörter und andere Nebensächlichkeiten zu streichen, würde die Passage vielleicht lauten: „Effi, als sie seiner ansichtig wurde, wurde nervös, aber nicht lange, denn im selben Augenblicke fast, wo sich Innstetten unter Verneigung [Anm.: eine Verneigung ist immer freundlich ...] näherte [Anm.: natürlich ihr, wem denn sonst?], wurden am Fenster [Anm.: welches genau und wovon es wie sehr überwuchert ist, tut nichts zur Sache] die Zwillinge sichtbar [Anm.: mit welcher Haarfarbe auch immer] und Hertha [Anm.: ausgelassen oder nicht] rief [Anm.: wohin auch immer, Hauptsache, Effi hört es]: „Effi komm!“

Damit hätten wir erfolgreich Fontanes Text seiner Symbolik beraubt, die sich im weiteren Verlauf des Buches entfalten wird. Herzlichen Glückwunsch zum misslungenen Lektorat ;)

Ein Prosatext ist kein Bericht, zumindest nicht zwangsläufig. Er darf, sollte sogar etwas Parlierendes rund um das reine Daten-Fakten-Gerüst besitzen. Füllwörter sind also nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht.

Ja, was denn nun? Füllwörter rein in den Text oder raus aus dem Text?

Wie meist in der Kunst kommt es auf das Maß an. Der Text muss al dente sein (um zur Kulinarikmetapher zurückzukommen), genau auf den Punkt gewürzt. Dafür braucht man kein rigoroses „Füllwörter raus!“, sondern Fingerspitzengefühl. Und ein paar Hilfsmittel.
  1. Einen Blick dafür, welche Wörter im Text überflüssig sein können, erhält man durch das sehr nützliche Tool „Füllwörter-Test“ auf www.schreiblabor.com. Hier kannst Du den Text hineinkopieren und auf Füllwörter überprüfen lassen. Die Liste, auf die der Test zurückgreift, kannst Du sogar selbst beeinflussen. Wenn Du der Ansicht bist, dass etwa „offensichtlich“ in Deinem Text eine tragende Rolle hat, lässt Du dieses Wort bei der Überprüfung einfach aus.
    Es sollte allerdings klar sein, dass diese Überprüfung nur für einen Überblick sorgen kann und Deinen Blick sensibilisiert, welche Wörter in übermäßigem Umfang im Text vorkommen. Ob das jeweilige Füllwort an einer bestimmten Stelle nun gestrichen werden kann oder vielleicht doch bleiben darf oder sogar muss, lässt sich nur durch eine Überprüfung im Einzelfall entscheiden. Aber um ein Gespür für Füllwörter zu entwickeln, ist dieses Tool Gold wert.
  2. Lieblingswörter entlarven. Ich hatte einmal einen Bekannten, der ständig „prinzipiell“ sagte. Das ist im normalen Gespräch prinzipiell witzig, allenfalls ein bisschen nervig. Prinzipiell jedenfalls. Im Text kann es unerträglich sein.
    Ein anderes Mal hatte ich einen Text im Lektorat, in dem alles „ein ganz kleines bisschen“ so und so war. Fand ich ein ganz kleines bisschen nervtötend. Als ironische Brechung, als kleinen Witz dann und wann angebracht – aber bitte in passender Dosierung – ein ganz kleines bisschen al dente eben.
    Gerade als Autorin oder Autor sollte man seinen Sprachgebrauch immer wieder selbstkritisch überprüfen. Oder auch sein Gegenüber im Gespräch darum bitten. Denn die Wörter, die im Alltagssprachgebrauch zu Lieblingswörtern werden, schleichen sich gern als Füllwörter in Texte.
  3. Den Text strukturieren. Wo ist eine Passage, die atmosphärische Dichte braucht? Hier gehören Füllwörter geradezu hinein – als Stilmittel. Denn eine romantische Szene braucht romantische Wörter, die für die Handlung zwar überflüssig sind, aber für das Setting unerlässlich. Gruselstellen brauchen Gruselwörter, natürlich auch verstärkende Adjektive. Und so weiter.
    Wo sind Passagen, die eher beschreibend fungieren sollen? Dort bitte sparsam mit Füllwörtern sein. Dann ist das Horrorhaus eben nur ein Horrorhaus. Das düstere, mitunter finstere Haus mit seinem ungemein muffigen Geruch, der bisweilen an Grabesschwärze erinnerte – das hebt man sich für die richtigen Stellen auf. 


Und last but not least: Testleser darauf ansprechen. Denn den besten Blick für Füllwörter hat jemand Außenstehendes, für den der Text Neuland ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Autorin oder der Autor selten die nötige Distanz zu den eigenen Wörtern hat, um diese zu beurteilen und letztlich rauszuschmeißen. Aber wozu hat man Testleser? Nach einem freundlichen Hinweis, dass dieses oder jenes Wort inflationär benutzt wird, kann die Autorin oder der Autor den Rotstift selbst in die Hand nehmen und per Suchlauf die Wörter auf Herz, Nieren und Wichtigkeit überprüfen.

Das Lektorat wird auf diese Weise einen Posten weniger zu erledigen haben, was sich letztlich auch in einer selfpublisherfreundlichen Rechnung zeigen wird.

Schreibaufgabe: Probiere die Füllwörter-Analyse bei www.schreiblabor.de einmal aus und überarbeite den Text entsprechend. Vergleiche den Ursprungstext mit dem überarbeiteten und finde heraus, wie die Füllwörter in Deinem Text arbeiten.

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Zum Weiterlesen:


Katrin schreibt nicht, sie lässt schreiben und verleiht als Lektorin den Texten den letzten Schliff. Was sie liest, rezensiert sie gern auf nowheremansbuecherschrank.


1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für das wirklich hilfreiche Blog und auch für den Verweis auf die Webseite "www.schreiblabor.com", die ich umgehend aufsuchen werde ;-) Ich finde den Beitrag auch deshalb so wichtig, weil ich als Selbstverleger selbst Verleger bin. Der Verlag übernimmt das Lektorat und das bin in meinem Ein-Mann-Verlag ich selbst. Da man aber seinen eigenen Texten gegenüber unkritisch ist und zudem Selbstzweifel hegt, wenn permanent in Schreibratgebern vor Füllwörtern gewarnt wird, ist die ausgewogene Meinung dieses Blogs besonders hilfreich. Danke.
    Per Definition ist allerd

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