Samstag, 23. April 2016

Das weiße Blatt - drei Gründe, warum es weiß bleibt

Die Angst vor dem weißen Blatt. Der Schrecken aller Autoren. Viele behaupten, es gibt sie nicht. Natürlich gibt es die Angst, aber jene Autoren wissen, wie man sie umgehen kann.


1. Die Schranke im Kopf

Der ach so viel gepriesene erste Satz begegnet uns in allen möglichen Schreibratgebern und Blogartikel. Ihn auszuformulieren ist so, so wichtig. Das Problem daran ist, dass wir instinktiv in der ersten Fassung das Beste aus unserer Geschichte herausholen wollen. Verwirf diesen Gedanken bitte so schnell wie möglich. Am besten wirfst du ihn in die nächste Tonne oder aus dem Fenster. Der erste Satz steht nicht auch mit der ersten Fassung deines Manuskripts. Genau wie der Rest der Geschichte wird er einige Überarbeitungsschritte über sich ergehen lassen, bei denen häufig kein Stein auf dem anderen bleibt. Es gibt geniale erste Sätze, ja. Aber auch diese sind sicher nicht in der ersten Fassung entstanden. Und sowieso entstehen erste Sätze nicht auf dem weißen Blatt Papier. Sie liegen auf der Straße, begegnen dir in Träumen, sie sind in den inspirierenden Momenten enthalten, die dir im Leben begegnen. Vielleicht liest du gerade selbst ein Buch und stolperst über Sätze wie:

• »In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit.« (Der Hobbit)
• »Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar.« (Harry Potter und der Stein der Weisen)
• »15. Jänner
Betreff: Abbestellung
Ich möchte bitte mein Abonnement kündigen.« (Gut gegen Nordwind)
• »Ich bin sowas von im Arsch.« (Der Marsianer)
• »Ich hatte mir nie viele Gedanken darüber gemacht, wie ich sterben würde, obwohl ich in den vergangenen Monaten allen Grund dazu gehabt hätte.« (Biss zum Morgengrauen)

Ich bitte dich: Wenn du glaubst, dass solche Sätze aus dem Nichts auftauchen, dann glaubst du auch, dass du vom Schreiben leben kannst. Ernsthaft!

Obwohl es realistischer ist, vom Schreiben leben zu können, als den perfekten ersten Satz in der ersten Fassung zu schreiben.



2. Es ist keine Geschichte, es ist nur eine Idee

Es ist die Idee vom Buchschreiben, die dich inspiriert und beflügelt, nicht das Schreiben selbst. Hierzu verweise ich kurz auf die Kolumne vom Februar. (Link: http://www.schreibmeer.com/2016/02/ich-habe-einen-traum-uber-den-traum-vom.html)
Wenn du überzeugt davon bist, dass du wirklich schreiben willst, dann solltest du dir überlegen, ob deine Geschichte überhaupt schon bereit ist, in Textform aufgeschrieben zu werden. Manchmal ist es nur der Hauch einer Ahnung, vielleicht nur eine Szene, die dir im Kopf rumspukt, nur ein Charakter, den du vor dir siehst.
Kannst du deine Geschichte nicht locker aus der Hand heraus wie der Master himself Stephen King aufschreiben, dann solltest du versuchen, dir ein paar Gedanken zur Story, zur Welt und zu den Charakteren zu machen. Wie ist die Geschichte strukturiert? Dabei kannst du verschiedene Plotmodelle oder eine Mischung daraus ausprobieren. Um deine Charaktere kennenzulernen, gibt es auch verschiedene Möglichkeiten. Du kannst ein Interview mit ihnen führen oder sie einfach in ein verrücktes Szenario werfen, um zu sehen, was passiert. Ebenso verhält es sich mit der Welt. Versuche in Worte zu fassen, wie die Umgebung aussieht, welche Individuen und Arten leben in ihr, wie ist die Welt beschaffen?
Behalte immer im Hinterkopf, dass du diese Schreibübungen nicht veröffentlichen und niemandem zeigen musst. Sie sind nur für dich.



3. Der Erfolgsdruck im Hinterkopf

Alles, was du schreibst, ist erst einmal für dich, du musst nichts davon irgendwem zeigen. Dieser Gedanke nimmt vielleicht erstmal den Druck von deinen Schultern. Du kannst so oft überarbeiten, wie du willst. Wenn du aber veröffentlichen willst und möchtest, dass die Menschen deine Geschichte lesen, kehre zurück zu Punkt zwei, Absatz eins, und denke darüber nach.
Mir ist klar, dass es unrealistisch ist, die Gedanken an eine Veröffentlichung komplett außen vor zu lassen, vor allem als schon veröffentlichter Autor, der gern seinen Traum leben und damit zwangsläufig Geld verdienen muss, damit er eben auch die Zeit, die er im Leben hat, intensiv fürs Schreiben nutzen kann und nicht damit »verschwendet«, sich die Butter für sein Brot zu verdienen. Allerdings sollten auch diese Autoren bedenken, dass die Kreativität nicht zu erzwingen ist. Was unter (Erfolgs-)Druck und Zwang passieren kann, haben wir leider in der jüngsten Vergangenheit durch die Plagiatsskandale miterleben dürfen. Und ich bewundere immer wieder aufs Neue Autoren, die alle paar Monate ein Buch veröffentlichen, ohne zu skurrilen und strafbaren Mitteln greifen zu müssen. Ihnen gilt mein größter Respekt.
Niemand hat dir jemals gesagt, dass es leicht ist und leicht sein wird. Aber wenn du kreativ sein willst, dann musst du den Gedanken an eine Veröffentlichung erst einmal nach hinten schieben und nur für dich und deine Geschichte schreiben.
Wenn du diesen Druck allerdings brauchst, dann ist das auch gut und du hast höchstwahrscheinlich kein Problem mit der Angst vor dem weißen Blatt. Warum hast du den Artikel bis hierher überhaupt gelesen, he? Schreib lieber deine Geschichte weiter, ich kann dir nichts mehr beibringen :-P



4. Die falsche Methode

Eine liebe Kollegin hat mir vor ein paar Tagen erzählt, dass sie eine Zeitlang große Probleme damit hatte, auf dem PC zu schreiben. Mit der Hand kam sie gut voran Und es dauerte lange, bis sie auf der Tastatur genauso flüssig schreiben konnte wie auf dem PC.
Versuche, einen Weg, ein Medium für dich zu finden. Das, was für alle funktioniert, muss nicht auch für dich funktionieren. Alle Künstler wollen sich voneinander abheben und anders sein, warum nicht auch in ihren Methoden? Letztendlich läuft es doch darauf hinaus, aber viele versteifen sich darauf, es so zu tun wie andere und lassen sich nicht mehr von ihrem Gefühl leiten. Du schreibst lieber und besser mit der Hand, dann mach es so. Auch wenn du am Ende alles abtippen musst, du kannst diesen Vorgang als einen Schritt der Überarbeitung sehen. Ich habe meine handgeschriebenen Geschichten nie eins zu eins abgetippt und immer wieder etwas dabei verändert.
Wenn du ein Discovery Writer durch und durch bist, dann wirst du dich mit der Sieben-Punkte-Struktur sicherlich sehr schwertun. Das ist nicht schlimm, denn diese Art, deine Geschichte zu planen, liegt dir nicht. Nur weil viele Autoren so arbeiten, muss es nicht für dich stimmen.
Was ich damit sagen möchte: Quetsch dich nicht in eine Methode oder ein Verhalten, das nicht deinem Naturell entspricht. Wenn du nicht im Café schreiben kannst, dann musst du das nicht tun, es sei denn, du bist ein Autor á la Punkt 2, Absatz eins, und tust es nur für den SWAG ;-)

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Tinka liebt es, andere Menschen zu motivieren und zu inspirieren. Die Autorin bloggt auf tinkabeere.com, hat einen Ratgeber zum Bloggen veröffentlicht und schreibt fantastische Jugendbücher.

2 Kommentare:

  1. Musste ich direkt auf meiner Seite teilen. Das ist so wichtig, was du da Autoren mit auf den Weg gibst!

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