Samstag, 2. Januar 2016

Interview mit Vincent Voss



 Tut … tut … tut ..



Ja, hallo?



Ja, hallo Vincent.



Hi, na.



Na ... ja, ich nehme das jetzt schon auf.



Ja, das ist ok.



Ähm, genau, ich sag dir einfach irgendwas und du sagst dann, was dir dazu einfällt. Grundthema ist, dass du Autor bist. Du bist Autor, oder?



Ja, was denn sonst?



Ja, weiß ich nicht, Kinderverprügler oder sowas ...



Wäre ich gerne, denn mein Kleiner hat gerade unseren Fernseher geschrottet.



Oh nein.



Wir sind so auf 180 ...



Scheiße, war das so ein guter Fernseher?



Na ja, den haben wir uns, haben wir grad geguckt, haben wir uns vor 8 Jahren geholt, aber halt für..hmm..800 Euro. Das ist bei uns halt sozusagen eine große Investition, direkt nach Auto, nä?



Ach Scheiße, ja, ach man ... also 20 Jahre kein Taschengeld.



Ja, haben wir auch gesagt.



(Gelächter auf beiden Seiten)



Ok, also erzähl mal was zu Vincent Voss.



Ich soll was zu mir erzählen?



Ja.



Ok, öhm ... Ja, ja, ich bin Horrorautor, nä.



Ja?



Ja ...



Ja, toll!



(Vincent lacht dreckig)



Gibt es ein alter Ego? Oder bist du Vincent oder ist er ein alter Ego?



Er ist ein alter Ego. Ich habe früher ... In ner Band war ich der Sänger und so ein bisschen war das so, wir sind immer so ... Wir haben Terror-Jazz gemacht, aber für die Liveauftritte waren wir halt eher so ne Performanceband und haben halt echt ulkiges Zeugs gemacht. Dazu gehörte halt auch, dass wir uns geschminkt, kostümiert, also aufwendige Verkleidungen gebastelt haben. Und das war sehr lustig ... Also, und da sind wir auch so ein bisschen, alle Bandmitglieder, sobald die Maske auf war, haben wir auch unsere Persönlichkeiten damit verändert. Und ich hatte mir überlegt, das beim Schreiben auch so zu nutzen. Vielleicht passiert da ja was. Und ... ähm ... so kann man das, glaube ich, am besten sehen.



Also, du hast Vincent aus der Band mitgenommen, quasi?



Na ja, sagen wir mal, beruflich mache ich ja auch Dinge, wo ich sozusagen in Rollen schlüpfe. Da bin ich halt ein zaubernder indianischer Waschbär oder oder ... was weiß ich ... Schatzsucher, und in diese Rollen schlüpfe ich dann auch sehr gerne. Und je authentischer man die spielt und je mehr Spaß man daran hat, desto cool ... ne, desto mehr Spaß hat man damit. So muss man das vielleicht sagen.

Von daher fällt es mir nicht schwer, in andere Rollen zu schlüpfen und die dann auch auszukleiden. Und Schreiben ist halt auch immer so ein bisschen ... da schockt das auch. Zumindest, wenn man sich dann auf Lesungen oder so gibt. Ich glaube, wenn man jetzt nur im Zimmer schreibt, da ist das dann nicht so, dass ich mir meine Vincent-Voss-Maske aufsetze. Und dann so: „Huä huä jetzt schreib ich!“ Das ist es weniger, aber das ist sozusagen gekommen ... Ja, so ist es jetzt, das ist der Ist-Zustand.



Ok, das hört sich schwer nach einer großen Vielfalt an. Sag mal was zu Vielfalt.



Oder nach ner Persönlichkeitsstörung ...



Oder zu deinen vielfältigen Persönlichkeitsstörungen.



(Gelächter)



Ne, was meintest du? Schuldigung ...



Erzähl mal was zu deiner vielfältigen Persönlichkeitsstörung. Nein, ich meine ...



Wer jetzt, ich oder ich?



Ja, einer von euch.



Nee, ist nicht vorhanden, alles gut.



Also Horror. Was macht Horror? Warum?



Ich finde ja, Horror ... In Horror lässt sich ja wunderbar Liebe ausdrücken. (Dreckige Lache von Vincent) Da kommt die Helene Fischer in mir ... Nein, also das finde ich tatsächlich. Horror kann bei mir nur gut funktionieren, wenn es um etwas geht, und es geht immer um etwas, wenn Liebe im Spiel ist. Also, wenn da eine Beziehung vorhanden ist, die der Leser halt auch aufbauen kann zu dem Protagonisten. Und wenn dann ... Also bei mir ist es weniger die Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen, die da im Vordergrund stehen, sondern meistens, finde ich, kommt der Horror immer sehr gut in einer Eltern-Kind-Beziehung, in Freundschaft … Also so wie bei Wasser jetzt, wo es Jugendfreundschaften sind. Oder die Jugendfreundschaft, die da auf dem Spiel steht oder das Leben eines Freundes. Das finde ich … also das finde ich erst mal geil. Weil, ich finde, die Bedrohung ist umso stärker, je übersinnlicher das Ganze ist, je ungreifbarer. Beim Thriller hat man meist irgendwelche Personen, die dahinter stehen, und beim Horror dieses Übersinnliche halt. Es ist ja nicht manifest und es lässt sich halt nicht gut bekämpfen. Und das finde ich, wenn das richtig Grusel erzeugt, dann fühle ich mich als Leser wohl. Und wenn mich ne Gänsehaut beim Schreiben beschleicht, dann ist das, glaube ich, auch insgesamt ganz gut gelungen. Und ich mag das Gefühl sehr gerne.



Ja, du bist ja auch, du machst das ja auch sehr gut, bist erfolgreich als Horrorautor. Das muss man dann wahrscheinlich auch so leben.

Wie ist es mit Wahrheit? Wahrheit?



Die Wahrheit liegt im Fleisch.



(Lilly lacht) ... Im Faulfleisch [Anmerkung der Redaktion: „Faulfleisch“ ist ein Roman von Vincent Voss]



Immer im Fleisch, egal … Denk drüber nach.



Hat das was mit Sex zu tun?



Fleisch hat natürlich auch was mit Sex zu tun. Ja, ja.



Das war mein erster Gedanke jetzt dazu. Man spürt mehr, als man weiß.



Ja, man kann natürlich Fleisch gleich mit Sex ...



Na, vielleicht liegt das auch an mir, dass … Es liegt an mir, dass ich das als Erstes gesagt habe.



Das wollte ich damit sagen.



Genau, da fällt mir gerade etwas sehr Lustiges ein. Wo wir grade bei Sex sind: Sag mal was zu Raststättenklos.



Ähmm ja ... arschige Frage, ja.



(Dreckiges Gelächter von Lilly)



Es gibt ja so Szenen, die man … Also ich schreibe sehr gerne in Cafés und dann auch von Hand. Und da ist so eine Szene, die demnächst vorkommt in der Fortsetzung zu Faulfleisch. Da habe ich ne Szene auf einer Raststätte, und da war alles grotesk dran, also alles. Auf die Szene bin ich halt erst mal gekommen, weil ich wollte ... Die war nicht geplant. Ich hab dann halt geplottet und dann war ... Dann habe ich nach einer Raststätte gegoogelt. Und die dann so gefunden, aber dann war ich nicht so richtig sicher und habe bei Facebook die Frage gestellt, ob mir jemand was zu dieser Raststätte sagen kann. Und dann stellte sich während dieser Kommunikation auf Fb heraus, dass das irgendwie so eine Top-5-Szeneraststätte ist. Wo also homosexuelle Pärchen sozusagen sich da treffen und verabreden. Das war schon mal nett an sich. Dann habe ich mich gefragt, was willst du eigentlich da mit Finn? Und da kam dann die Idee zu dieser Szene, ähm ... die dann so grotesk war, dass ich in einem Café anfangen musste, wirklich komisch zu kichern, und immer so die Arme über das, was ich geschrieben habe, so gelegt habe. Damit das keiner ...



Da kam Vincent total durch.



Du magst die Stelle auch, oder?



Ja, total, ich find die richtig der Knaller, weil alles so stimmig ist und so absurd und komisch, diese ganze Szene. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich sie lesen durfte.



Ja, sehr schön.



Ich glaube, die gab es bisher so auch noch nicht.



Nee, ich habe auch noch nichts Vergleichbares gelesen. Es war echt das Fundstück überhaupt.


Ok, hast du ne Botschaft?



(Stille)



Außer Liebe?



Jetzt in dem Neuen, oder?



Nee, allgemein. Hast du eine Botschaft, etwas, was du gern mitteilen möchtest oder was du in die Welt schicken willst?



Schon, aber ich hoffe … Also, da sind schon Botschaften enthalten. Ich glaube, wenn man arbeitet, ja, wenn man schreibt auch recht häufig an sich und manchmal recht tiefgründig an sich selbst, ohne dass einem das bewusst ist, welche Themen man da grade abarbeitet. Ähm ... Das ist mir übrigens auch schon bei den Texten in der Band so gegangen. Und beim Schreiben, glaube ich, habe ich mir so ab „Wasser“ [Anmerkung der Redaktion: „Wasser“ ist ebenfalls ein Werk von Vincent Voss], habe ich mir ... Ab „Wasser“ war das so, dass ich mir vorher eine Botschaft überlegt habe. Also so noch nicht mal richtig überlegt habe, sondern: Was will ich damit aussagen? Freundschaft war da natürlich ein ganz zentraler Punkt, aber zum Beispiel die Erwachsenen, also das Bild der Erwachsenen, das da gezeigt wird, ist auch ne Botschaft. Und das kann sich ... Also in der Fortsetzung zu Faulfleisch steckt sehr viel, auch bewusst, ne Gesellschaftskritik drin. Ähm ... so en détail würde ich jetzt gar nicht mal so viel sagen. Das muss man erst mal gelesen haben.



Ja.



Und bei dem, was jetzt grade draußen ist, „Ruf der Dunkelheit“, ist natürlich auch ne ganz klare pazifistische Botschaft drin. Finde ich. Also das war mir wichtig, das wollte ich zumindest damit ...

„Ruf der Dunkelheit“ verstehe ich für mich zumindest als Antikriegshorrorroman.



Ja, es hat ja auch eine totale Tragik … Aber mehr dürfen wir gar nicht erzählen - eigentlich.



Nee.



Ja, den Rest müsst ihr selber lesen, so.



Genau.



Gibt es Tabuthemen?



Ähm … ja.



Interessant.



Ja. Nein, natürlich. Also, ich glaube, je näher man sich an das heranwagt, was im Inneren schlummert. Also, ich weiß nicht, ob das genrespezifisch ist, aber viele Horrorautoren haben einen an der Klatsche. These, also unüberprüfbar.

Doch, das passt ganz gut, weil Kreativität, und zu schreiben ist ja kreativ, ist wie die vielfältigen Persönlichkeitsstörungen, also, man holt ja sein Inneres heraus und arbeitet damit. Mit seinen Gefühlen, Gedanken - und natürlich ist das immer ein Teil von einem selbst. Und ich glaube, ein großer Antrieb ist, dass man etwas nicht richtig verarbeitet hat oder dass man irgendwie nicht klar kommt mit der Welt. Also man hat einen an der Klatsche, das gilt wahrscheinlich für alle Künstler.

Genau, Tabuthemen, je näher man sich selbst kommt ...

Ich glaube, je näher man sich selbst kommt, desto näher ist man auch dem eigenen oder auferlegten Tabu.

Metaphorisch bearbeitet man das halt gelegentlich. … (Lilly kann den Namen nicht verstehen) Stein war das, glaube ich, das fand ich sehr geil. Es gibt da so einen Trick. Beim Schreibseminar sollten die Leute so ihre Ideen aufschreiben, das hat er dann so [kommentiert]: „Gut, gut, gut … alles klar. Aber alles an der Oberfläche.“ Und dann hat er seine Seminarteilnehmer aufgefordert, sie sollten mal das in ihrem Inneren, worüber sie nie schreiben wollten, aufschreiben. Also, was zu intim ist oder zu persönlich. Und er meinte: „Bestseller muss man so angehen, dass man sagt: 'Genau darüber muss man schreiben.'“ Ähm, das will ich aber nicht. Ich will ja keinen Bestseller schreiben. Nee, aber da steckt tatsächlich, glaube ich, ein wahrer Kern drin. Mir ist das bei zwei Kurzgeschichten aufgefallen, die ich mal geschrieben habe, die nicht in den Bereich Horror gehen, sondern in ernsthafte Literatur. Hahaha. Da ist mir das beim Schreiben schon sehr nahegegangen, was ich da schreibe. Also, da war es, wie beim Horror, dass ich mich tatsächlich bei bestimmten Szenen zusammenreißen musste, weil mir die sehr nahegehen. Weißt, was ich mein?



Ja.



Aber da war es so, dass ich gemerkt habe: „Boah, jetzt komm ich über meine Grenzen rüber, wo ich mir weh tue beim Schreiben.“



Aber geht, wenn man sagt: „Das schreibe ich für mich?“



Ja, ja, ja genau, das geht, wenn man sagt: „Das schreibe ich für mich.“ Und dann ist es halt auch erst mal in der Schublade … Aber irgendwann denkt man sich ... Also bei mir war es dann so, dass ich dachte: „Ich will die doch irgendwie raushauen.“ Und über ganz komische Wege kommt es dann doch zur Veröffentlichung.



Hm … Ja, sehr persönliche Veröffentlichungen. Gibt es noch Inspiration?



Ja, Fleisch.



Fleisch. Und Liebe..



Gleich Sex, aber das hast du jetzt..



Sind wir wieder bei Sex?



Ja, und Raststätten.



Das ist ja ein Artikel, den auch andere Autoren lesen ...



Meinst du, ich sollte jetzt nicht „Fleisch“ sagen?



Doch. Du sollst. Du kannst auch noch fünfmal „Fleisch“ sagen, das ist völlig in Ordnung. Aber ich hätte jetzt gern, dass du noch mal den Oberlehrer machst und sagst, worauf es ankommt.



Ähm...



Damit das Jungvolk dich anbeten und dir folgen kann.



Ja, mir soll jetzt niemand folgen.



Also, anbeten okay, aber die sollen zu Hause bleiben.



Richtig, bleibt zu Hause. Esst mehr Fleisch. Ähm, nein, also für Jungautoren, meinst du, so Tipps? Also, es geht ja immer darum: „Was will man?“ Ich glaube, wenn man sagt: „Ich möchte schreiben, um erfolgreich und berühmt zu werden“, das sollte man sein lassen. Dann ist das nicht die richtige Triebfeder und das geht in ganz vielen Fällen wohl nach hinten los. Also, da kenne ich … Ich kenne keinen, der das so angegangen ist. Das sollte immer mit Leidenschaft erfüllt sein. Und man muss, glaube ich, ziemlich gut am Ball bleiben können. Und auch Kritik wegstecken können.



Also, man muss auch diszipliniert sein? Selbstdiszipliniert.



Ja, also ein bisschen, ja. Also, wenn ich mir so angucke, was ich bisher geschrieben habe und über welchen Zeitraum hinweg, dann ähm … Na gut, ich bin jetzt kein Berufsschreiber oder besonders erfolgreich oder so, aber das ist schon eine Art Biografie, die mich sehr stolz macht. Wenn ich sehe, was ich so geleistet habe, denn das ist mir in allen anderen Berufsfeldern bisher noch nicht so ergangen, dass ich so hartnäckig am Ball geblieben bin. Ich glaube, das ist ganz gut: Von nichts kommt nichts. Klar, und dann immer weiterschreiben, nicht nachlassen, weiterschreiben, weiterschreiben, weiterschreiben.



Und leidenschaftlich sein und das schreiben, was weh tut und was man nicht schreiben will.





Ja, das würde ich schon sagen, man muss ja seinen eigenen Stil finden. Also, man soll schon an Ausschreibungen teilnehmen. Und manchmal ist es ja auch so, dass man weiß, was Verlage haben wollen, und da sollte man schon nicht so: „Nee, das schreib ich jetzt nicht!“ Das ist ja auch ein Lernprozess. So bin ich ja auch zum Thriller gekommen. Weil eine Anfrage aus einem großen Verlagshaus kam: „So, du hast jetzt einen Horroroman geschrieben, könntest du auch einen Thriller?“ Das hat mich geehrt. Und dann habe ich mich halt in dem Genre mal ausgetestet, wo ich finde, grade bei Thriller, den kann man immer recht nah an Horror hindrücken. Und da sollte man auch nicht sagen: „Nee, nee, nee das mach ich nicht, da habe ich gar keine Lust zu, weil ich jetzt halt der Horrorautor bin!“, oder so. Offen und neugierig auf das Leben allgemein sollte man sein.



So, also, wir haben jetzt 20 Minuten aufgenommen. Ich hoffe, dass das ein schönes Interview geworden ist.



Ich bin gespannt, wie es dann verschriftlicht sein wird.



Ja, da wird dann ungefähr 500-mal „äh“ drin stehen.



Genau, äh ...


Aber sag noch mal „Fleisch“.



„Fleisch“.



Vielen Dank, ich mach das jetzt mal aus hier.

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1 Kommentar:

  1. DAS Interview des Jahres!
    Aber der Vincent is schon 'n cooler Typ. Ich hoffe, man sieht sich auf dem Marburg-Con?

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