Ja, hallo?
Ja, hallo Vincent.
Hi, na.
Na ... ja, ich nehme das jetzt schon
auf.
Ja, das ist ok.
Ähm, genau, ich sag dir einfach
irgendwas und du sagst dann, was dir dazu einfällt. Grundthema ist,
dass du Autor bist. Du bist Autor, oder?
Ja, was denn sonst?
Ja, weiß ich nicht, Kinderverprügler
oder sowas ...
Wäre ich gerne, denn mein Kleiner hat
gerade unseren Fernseher geschrottet.
Oh nein.
Wir sind so auf 180 ...
Scheiße, war das so ein guter
Fernseher?
Na ja, den haben wir uns, haben wir
grad geguckt, haben wir uns vor 8 Jahren geholt, aber halt
für..hmm..800 Euro. Das ist bei uns halt sozusagen eine große
Investition, direkt nach Auto, nä?
Ach Scheiße, ja, ach man ... also 20
Jahre kein Taschengeld.
Ja, haben wir auch gesagt.
(Gelächter auf beiden Seiten)
Ok, also erzähl mal was zu Vincent
Voss.
Ich soll was zu mir erzählen?
Ja.
Ok, öhm ... Ja, ja, ich bin Horrorautor,
nä.
Ja?
Ja ...
Ja, toll!
(Vincent lacht dreckig)
Gibt es ein alter Ego? Oder bist du
Vincent oder ist er ein alter Ego?
Er ist ein alter Ego. Ich habe
früher ... In ner Band war ich der Sänger und so ein bisschen war das
so, wir sind immer so ... Wir haben Terror-Jazz gemacht, aber für
die Liveauftritte waren wir halt eher so ne Performanceband und haben
halt echt ulkiges Zeugs gemacht. Dazu gehörte halt auch, dass wir
uns geschminkt, kostümiert, also aufwendige Verkleidungen gebastelt
haben. Und das war sehr lustig ... Also, und da sind wir auch so ein
bisschen, alle Bandmitglieder, sobald die Maske auf war, haben wir
auch unsere Persönlichkeiten damit verändert. Und ich hatte mir
überlegt, das beim Schreiben auch so zu nutzen. Vielleicht passiert
da ja was. Und ... ähm ... so kann man das, glaube ich, am besten
sehen.
Also, du hast Vincent aus der Band
mitgenommen, quasi?
Na ja, sagen wir mal, beruflich mache
ich ja auch Dinge, wo ich sozusagen in Rollen schlüpfe. Da bin ich
halt ein zaubernder indianischer Waschbär oder oder ... was weiß
ich ... Schatzsucher, und in diese Rollen schlüpfe ich dann auch
sehr gerne. Und je authentischer man die spielt und je mehr Spaß man
daran hat, desto cool ... ne, desto mehr Spaß hat man damit. So muss
man das vielleicht sagen.
Von daher fällt es mir nicht schwer,
in andere Rollen zu schlüpfen und die dann auch auszukleiden. Und
Schreiben ist halt auch immer so ein bisschen ... da schockt das
auch. Zumindest, wenn man sich dann auf Lesungen oder so gibt. Ich
glaube, wenn man jetzt nur im Zimmer schreibt, da ist das dann nicht
so, dass ich mir meine Vincent-Voss-Maske aufsetze. Und dann so: „Huä
huä jetzt schreib ich!“ Das ist es weniger, aber das ist sozusagen
gekommen ... Ja, so ist es jetzt, das ist der Ist-Zustand.
Ok, das hört sich schwer nach einer
großen Vielfalt an. Sag mal was zu Vielfalt.
Oder nach ner Persönlichkeitsstörung
...
Oder zu deinen vielfältigen
Persönlichkeitsstörungen.
(Gelächter)
Ne, was meintest du? Schuldigung ...
Erzähl mal was zu deiner vielfältigen
Persönlichkeitsstörung. Nein, ich meine ...
Wer jetzt, ich oder ich?
Ja, einer von euch.
Nee, ist nicht vorhanden, alles gut.
Also Horror. Was macht Horror? Warum?
Ich finde ja, Horror ... In Horror
lässt sich ja wunderbar Liebe ausdrücken. (Dreckige Lache von
Vincent) Da kommt die Helene Fischer in mir ... Nein, also das finde
ich tatsächlich. Horror kann bei mir nur gut funktionieren, wenn es
um etwas geht, und es geht immer um etwas, wenn Liebe im Spiel ist.
Also, wenn da eine Beziehung vorhanden ist, die der Leser halt auch
aufbauen kann zu dem Protagonisten. Und wenn dann ... Also bei mir
ist es weniger die Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen, die da
im Vordergrund stehen, sondern meistens, finde ich, kommt der Horror
immer sehr gut in einer Eltern-Kind-Beziehung, in Freundschaft …
Also so wie bei Wasser jetzt, wo es Jugendfreundschaften sind. Oder
die Jugendfreundschaft, die da auf dem Spiel steht oder das Leben
eines Freundes. Das finde ich … also das finde ich erst mal geil.
Weil, ich finde, die Bedrohung ist umso stärker, je übersinnlicher
das Ganze ist, je ungreifbarer. Beim Thriller hat man meist
irgendwelche Personen, die dahinter stehen, und beim Horror dieses
Übersinnliche halt. Es ist ja nicht manifest und es lässt sich halt
nicht gut bekämpfen. Und das finde ich, wenn das richtig Grusel
erzeugt, dann fühle ich mich als Leser wohl. Und wenn mich ne
Gänsehaut beim Schreiben beschleicht, dann ist das, glaube ich, auch
insgesamt ganz gut gelungen. Und ich mag das Gefühl sehr gerne.
Ja, du bist ja auch, du machst das ja
auch sehr gut, bist erfolgreich als Horrorautor. Das muss man dann
wahrscheinlich auch so leben.
Wie ist es mit Wahrheit? Wahrheit?
Die Wahrheit liegt im Fleisch.
(Lilly lacht) ... Im Faulfleisch
[Anmerkung der Redaktion:
„Faulfleisch“ ist ein Roman von Vincent Voss]
Immer im Fleisch, egal … Denk drüber
nach.
Hat das was mit Sex zu tun?
Fleisch hat natürlich auch was mit Sex
zu tun. Ja, ja.
Das war mein erster Gedanke jetzt dazu.
Man spürt mehr, als man weiß.
Ja, man kann natürlich Fleisch gleich
mit Sex ...
Na, vielleicht liegt das auch an mir,
dass … Es liegt an mir, dass ich das als Erstes gesagt habe.
Das wollte ich damit sagen.
Genau, da fällt mir gerade etwas sehr
Lustiges ein. Wo wir grade bei Sex sind: Sag mal was zu
Raststättenklos.
Ähmm ja ... arschige Frage, ja.
(Dreckiges Gelächter von Lilly)
Es gibt ja so Szenen, die man … Also
ich schreibe sehr gerne in Cafés und dann auch von Hand. Und da ist
so eine Szene, die demnächst vorkommt in der Fortsetzung zu
Faulfleisch. Da habe ich ne Szene auf einer Raststätte, und da war
alles grotesk dran, also alles. Auf die Szene bin ich halt erst mal
gekommen, weil ich wollte ... Die war nicht geplant. Ich hab dann
halt geplottet und dann war ... Dann habe ich nach einer Raststätte
gegoogelt. Und die dann so gefunden, aber dann war ich nicht so
richtig sicher und habe bei Facebook die Frage gestellt, ob mir
jemand was zu dieser Raststätte sagen kann. Und dann stellte sich
während dieser Kommunikation auf Fb heraus, dass das irgendwie so
eine Top-5-Szeneraststätte ist. Wo also homosexuelle Pärchen
sozusagen sich da treffen und verabreden. Das war schon mal nett an
sich. Dann habe ich mich gefragt, was willst du eigentlich da mit
Finn? Und da kam dann die Idee zu dieser Szene, ähm ... die dann so
grotesk war, dass ich in einem Café anfangen musste, wirklich
komisch zu kichern, und immer so die Arme über das, was ich
geschrieben habe, so gelegt habe. Damit das keiner ...
Da kam Vincent total durch.
Du magst die Stelle auch, oder?
Ja, total, ich find die richtig der
Knaller, weil alles so stimmig ist und so absurd und komisch, diese
ganze Szene. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich sie lesen durfte.
Ja, sehr schön.
Ich glaube, die gab es bisher so auch
noch nicht.
Nee, ich habe auch noch nichts
Vergleichbares gelesen. Es war echt das Fundstück überhaupt.
Ok, hast du ne Botschaft?
(Stille)
Außer Liebe?
Jetzt in dem Neuen, oder?
Nee, allgemein. Hast du eine Botschaft,
etwas, was du gern mitteilen möchtest oder was du in die Welt
schicken willst?
Schon, aber ich hoffe … Also, da sind
schon Botschaften enthalten. Ich glaube, wenn man arbeitet, ja, wenn
man schreibt auch recht häufig an sich und manchmal recht
tiefgründig an sich selbst, ohne dass einem das bewusst ist, welche
Themen man da grade abarbeitet. Ähm ... Das ist mir übrigens auch
schon bei den Texten in der Band so gegangen. Und beim Schreiben,
glaube ich, habe ich mir so ab „Wasser“ [Anmerkung der Redaktion:
„Wasser“ ist ebenfalls ein Werk von Vincent Voss], habe ich mir
... Ab „Wasser“ war das so, dass ich mir vorher eine Botschaft
überlegt habe. Also so noch nicht mal richtig überlegt habe,
sondern: Was will ich damit aussagen? Freundschaft war da natürlich
ein ganz zentraler Punkt, aber zum Beispiel die Erwachsenen, also das
Bild der Erwachsenen, das da gezeigt wird, ist auch ne Botschaft. Und
das kann sich ... Also in der Fortsetzung zu Faulfleisch steckt sehr
viel, auch bewusst, ne Gesellschaftskritik drin. Ähm ... so en
détail würde ich jetzt gar nicht mal so viel sagen. Das muss man
erst mal gelesen haben.
Ja.
Und bei dem, was jetzt grade draußen
ist, „Ruf der Dunkelheit“, ist natürlich auch ne ganz klare
pazifistische Botschaft drin. Finde ich. Also das war mir wichtig,
das wollte ich zumindest damit ...
„Ruf der Dunkelheit“ verstehe ich
für mich zumindest als Antikriegshorrorroman.
Ja, es hat ja auch eine totale Tragik …
Aber mehr dürfen wir gar nicht erzählen - eigentlich.
Nee.
Ja, den Rest müsst ihr selber lesen,
so.
Genau.
Gibt es Tabuthemen?
Ähm … ja.
Interessant.
Ja. Nein, natürlich. Also, ich glaube,
je näher man sich an das heranwagt, was im Inneren schlummert. Also,
ich weiß nicht, ob das genrespezifisch ist, aber viele Horrorautoren
haben einen an der Klatsche. These, also unüberprüfbar.
Doch, das passt ganz gut, weil
Kreativität, und zu schreiben ist ja kreativ, ist wie die
vielfältigen Persönlichkeitsstörungen, also, man holt ja sein
Inneres heraus und arbeitet damit. Mit seinen Gefühlen, Gedanken -
und natürlich ist das immer ein Teil von einem selbst. Und ich
glaube, ein großer Antrieb ist, dass man etwas nicht richtig
verarbeitet hat oder dass man irgendwie nicht klar kommt mit der
Welt. Also man hat einen an der Klatsche, das gilt wahrscheinlich für
alle Künstler.
Genau, Tabuthemen, je näher man sich
selbst kommt ...
Ich glaube, je näher man sich selbst
kommt, desto näher ist man auch dem eigenen oder auferlegten Tabu.
Metaphorisch bearbeitet man das halt
gelegentlich. … (Lilly kann den Namen nicht verstehen) Stein war
das, glaube ich, das fand ich sehr geil. Es gibt da so einen Trick.
Beim Schreibseminar sollten die Leute so ihre Ideen aufschreiben, das
hat er dann so [kommentiert]: „Gut, gut, gut … alles klar. Aber
alles an der Oberfläche.“ Und dann hat er seine Seminarteilnehmer
aufgefordert, sie sollten mal das in ihrem Inneren, worüber sie nie
schreiben wollten, aufschreiben. Also, was zu intim ist oder zu
persönlich. Und er meinte: „Bestseller muss man so angehen, dass
man sagt: 'Genau darüber muss man schreiben.'“ Ähm, das will ich
aber nicht. Ich will ja keinen Bestseller schreiben. Nee, aber da
steckt tatsächlich, glaube ich, ein wahrer Kern drin. Mir ist das
bei zwei Kurzgeschichten aufgefallen, die ich mal geschrieben habe,
die nicht in den Bereich Horror gehen, sondern in ernsthafte
Literatur. Hahaha. Da ist mir das beim Schreiben schon sehr
nahegegangen, was ich da schreibe. Also, da war es, wie beim Horror,
dass ich mich tatsächlich bei bestimmten Szenen zusammenreißen
musste, weil mir die sehr nahegehen. Weißt, was ich mein?
Ja.
Aber da war es so, dass ich gemerkt
habe: „Boah, jetzt komm ich über meine Grenzen rüber, wo ich mir
weh tue beim Schreiben.“
Aber geht, wenn man sagt: „Das
schreibe ich für mich?“
Ja, ja, ja genau, das geht, wenn man
sagt: „Das schreibe ich für mich.“ Und dann ist es halt auch
erst mal in der Schublade … Aber irgendwann denkt man sich ... Also
bei mir war es dann so, dass ich dachte: „Ich will die doch
irgendwie raushauen.“ Und über ganz komische Wege kommt es dann
doch zur Veröffentlichung.
Hm … Ja, sehr persönliche
Veröffentlichungen. Gibt es noch Inspiration?
Ja, Fleisch.
Fleisch. Und Liebe..
Gleich Sex, aber das hast du jetzt..
Sind wir wieder bei Sex?
Ja, und Raststätten.
Das ist ja ein Artikel, den auch andere
Autoren lesen ...
Meinst du, ich sollte jetzt nicht
„Fleisch“ sagen?
Doch. Du sollst. Du kannst auch noch
fünfmal „Fleisch“ sagen, das ist völlig in Ordnung. Aber ich
hätte jetzt gern, dass du noch mal den Oberlehrer machst und sagst,
worauf es ankommt.
Ähm...
Damit das Jungvolk dich anbeten und dir
folgen kann.
Ja, mir soll jetzt niemand folgen.
Also, anbeten okay, aber die sollen zu
Hause bleiben.
Richtig, bleibt zu Hause. Esst mehr
Fleisch. Ähm, nein, also für Jungautoren, meinst du, so Tipps?
Also, es geht ja immer darum: „Was will man?“ Ich glaube, wenn
man sagt: „Ich möchte schreiben, um erfolgreich und berühmt zu
werden“, das sollte man sein lassen. Dann ist das nicht die
richtige Triebfeder und das geht in ganz vielen Fällen wohl nach
hinten los. Also, da kenne ich … Ich kenne keinen, der das so
angegangen ist. Das sollte immer mit Leidenschaft erfüllt sein. Und
man muss, glaube ich, ziemlich gut am Ball bleiben können. Und auch
Kritik wegstecken können.
Also, man muss auch diszipliniert sein?
Selbstdiszipliniert.
Ja, also ein bisschen, ja. Also, wenn
ich mir so angucke, was ich bisher geschrieben habe und über welchen
Zeitraum hinweg, dann ähm … Na gut, ich bin jetzt kein
Berufsschreiber oder besonders erfolgreich oder so, aber das ist
schon eine Art Biografie, die mich sehr stolz macht. Wenn ich sehe,
was ich so geleistet habe, denn das ist mir in allen anderen
Berufsfeldern bisher noch nicht so ergangen, dass ich so hartnäckig
am Ball geblieben bin. Ich glaube, das ist ganz gut: Von nichts kommt
nichts. Klar, und dann immer weiterschreiben, nicht nachlassen,
weiterschreiben, weiterschreiben, weiterschreiben.
Und leidenschaftlich sein und das
schreiben, was weh tut und was man nicht schreiben will.
Ja, das würde ich schon sagen, man
muss ja seinen eigenen Stil finden. Also, man soll schon an
Ausschreibungen teilnehmen. Und manchmal ist es ja auch so, dass man
weiß, was Verlage haben wollen, und da sollte man schon nicht so:
„Nee, das schreib ich jetzt nicht!“ Das ist ja auch ein
Lernprozess. So bin ich ja auch zum Thriller gekommen. Weil eine
Anfrage aus einem großen Verlagshaus kam: „So, du hast jetzt einen
Horroroman geschrieben, könntest du auch einen Thriller?“ Das hat
mich geehrt. Und dann habe ich mich halt in dem Genre mal
ausgetestet, wo ich finde, grade bei Thriller, den kann man immer
recht nah an Horror hindrücken. Und da sollte man auch nicht sagen:
„Nee, nee, nee das mach ich nicht, da habe ich gar keine Lust zu,
weil ich jetzt halt der Horrorautor bin!“, oder so. Offen und
neugierig auf das Leben allgemein sollte man sein.
So, also, wir haben jetzt 20 Minuten
aufgenommen. Ich hoffe, dass das ein schönes Interview geworden ist.
Ich bin gespannt, wie es dann
verschriftlicht sein wird.
Ja, da wird dann ungefähr 500-mal „äh“
drin stehen.
Genau, äh ...
Aber sag noch mal „Fleisch“.
„Fleisch“.
Vielen Dank, ich mach das jetzt mal aus
hier.
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Zum Weiterlesen:
- Interview: Fanfictions – Sind das überhaupt richtige Geschichten?
- Gastartikel: Sex in Horrorgeschichten
DAS Interview des Jahres!
AntwortenLöschenAber der Vincent is schon 'n cooler Typ. Ich hoffe, man sieht sich auf dem Marburg-Con?