Denn es ist gar nicht so leicht, einen guten Charaktertod zu schreiben, der zugleich in die Geschichte passt. Im schlimmsten Fall stößt man nicht nur die Leser vor den Kopf, sondern zerstört das Potential einer guten Fortsetzung. Doch auch für den Autor selbst ist das Töten einer Romanfigur nicht unbedingt angenehm. Ganz besonders dann nicht, wenn diese einem mit der Zeit ans Herz gewachsen ist. Wenn ich meine Allmacht als Autor walten lassen und einen Charakter töten muss, dann orientiere ich mich dabei gerne an meinen Lieblingsautoren Brandon Sanderson und George R. R. Martin. Dazu weiter unten mehr.
Es gibt verschiedene Arten des Charaktertodes, die alle ihre Existenzberechtigung haben. Welche man wählt, hängt vor allem von der jeweiligen Situation ab. Im Folgenden möchte ich euch ein paar Arten des Charaktertodes vorstellen, vielleicht fallen euch ja noch weitere ein.
Der vorbereitete Charaktertod
Es gibt diese Charaktere, über denen während des gesamten Romanes ein Damokles-Schwert hängt. Sei es, weil sie eine schwierige Persönlichkeit haben und in einen Konflikt geraten, aus dem sie nicht mehr heil herauskommen können, oder weil sie nach und nach alles verlieren, bis es nichts mehr zu verlieren gibt. Sie sind zum Scheitern verurteilt, und obwohl einem das als Leser bewusst ist und man auf etwas Besseres hofft, weil man nicht will, dass die geliebte Figur stirbt, umgibt diese Figuren eine Aura von Tragik, die einen an die Geschichte fesselt.Bei solchen Figuren kann man wunderbar auf den Tod als einzige Lösung aus dem Dilemma des Charakters hinarbeiten und ihm zugleich einen Tod verpassen, den man als Leser so schnell nicht mehr vergisst.
Der aus der Hüfte geschossene Charaktertod
Manchmal überkommt mich beim Schreiben der spontane Gedanke „Charakter XY muss sterben.“ Er manifestiert sich so sehr in meinem Kopf, dass ich die Sterbeszene genau vor Augen habe und es keinen Weg mehr gibt, den Tod abzuwenden. Ich weiß einfach, dass sein Tod an dieser Stelle für die Geschichte gut und richtig ist und deswegen bringe ich ihn um.Ein solcher Charaktertod kommt unerwartet. Sowohl für den Autor, der sich beim Schreiben erst darüber bewusst wird, als auch für den Leser, der ebenfalls überrascht wird. Er bietet sich vor allem bei Nebencharakteren an, die dem Leser ans Herz gewachsen sind, aber keine überragend wichtige Funktion haben.
Der vorgetäuschte Charaktertod á là George R.R. Martin
George R.R. Martin ist meines Erachtens ein großer Meister nicht nur im Vortäuschen von Charaktertoden, sondern im Umbringen von Charakteren im Allgemeinen. Seine Kapitel enden oft mit Cliffhangern, in denen der jeweilige Erzählcharakter eins über den Schädel gezogen bekommt, erhängt wird, ertrinkt oder dergleichen und der Leser denkt „der ist jetzt tot“ und wirft das Buch vor Wut in die Ecke, weil Mr. Martin es schon wieder geschafft hat, einen der eigenen Lieblingscharaktere zu töten. Und geben wir es doch zu: Irgendwie hassen und lieben wir diesen Mann dafür.Ein paar Kapitel später erfährt der geneigte Leser dann, dass der geliebte Charakter nur knapp dem Tod entronnen ist. Auf diese Weise quält Mr. Martin seine Leser ziemlich effektiv und erzeugt Spannung, jedoch ohne ihnen zu nehmen, was sie lieben. Treibt man dies jedoch zu häufig, so fallen die Leser irgendwann nicht mehr darauf herein. Hier kann man sich jedoch geschickt damit Abhilfe verschaffen, indem man hin und wieder unter die vorgetäuschten ein paar echte Charaktertode mischt.
Diese Art von Charaktertod eignet sich besonders dann, wenn die verschiedenen Erzählcharaktere von ihrer Bedeutung her gleichberechtigt sind und die Story auch dann noch weiterlebt, wenn einer von ihnen plötzlich fehlt. Und er eignet sich hervorragend für einen episodenartigen Erzählstil.
Der epische Charaktertod
So wie ein aus der Hüfte geschossener Charaktertod sich bei unbedeutenden Charakteren anbietet, eignet sich der epische Charaktertod für die großen und wichtigen Charaktere eines Romans – sei es Helden, Antagonisten und solche, die ihr Potential erst im Laufe der Geschichte entfalten und die überraschende Wendung herbeiführen. Natürlich kann man auch einen wichtigen Charakter aus der Hüfte heraus töten, wenn ihr damit ein Zeichen setzen wollt oder weil es die Situation erfordert. Doch glaubt mir, es befriedigt eure Leser mehr, wenn ihr einer solchen Figur einen Tod verleiht, der ihrer würdig ist. Je wichtiger der Charakter, je größer seine Wandlung desto epischer sollte sein Tod sein, würde ich hier als grobe Faustregel sagen.Der vorübergehende Charaktertod
Manchmal macht es auch Sinn, einen Charakter sterben zu lassen und ihn wiederzubeleben. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Eine glaubhafte Wiederbelebung zu schreiben, ist eine kleine Herausforderung und man sollte sich dabei ausschließlich der Elemente bedienen, die das Setting bietet, und nicht etwas erfinden, was sich nicht mit der Welt der Geschichte vereinbaren lässt. Auch sollte eine Wiederbelebung im Rahmen der Handlung Sinn ergeben. Bitte belebt keine Charaktere wieder, nur weil es euren Lesern danach verlangt oder weil ihr beim Weiterschreiben merkt, dass ihr einen Fehler begangen habt. Denn das merkt man der Geschichte an.Vorsicht beim Töten wichtiger Charaktere!
Gerade bei den Charakteren, die eine zentrale Rolle in der Geschichte spielen, ist die Gefahr groß, dass man mit ihrem Tod die Leser vor den Kopf stößt. Daher sollte man sich sehr gut über alle aus dem Tod jener Figur resultierende Konsequenzen bewusst sein. Insbesondere dann, wenn man noch eine Fortsetzung schreiben will.Brandon Sanderson hat das mit seinem Held Kelsier aus Mistborn – The Final Empire meiner Meinung nach ziemlich wundervoll gelöst. Während des Buches drängt sich dem Leser immer mehr der Eindruck auf, dass Kelsier zum Sterben verurteilt ist, womit sein Tod für mich in die Kategorie prädestinierter Charaktertod fällt. Sein eigentliches Ableben ist einfach nur episch und in den beiden Folgebänden verschwindet er nicht einfach sang und klanglos aus dem Gedächtnis seiner Mitstreiter. Nein, er hinterlässt eine klaffende Lücke und zwingt die übrigen Figuren dazu, sich allem, was darauf folgt, ohne ihn zu stellen, was Sanderson sehr überzeugend umsetzt. Überdies wird Kelsier zu einem Mythos. Durch seinen Tod (und den Tod seines Gegenspielers) kommt die große Handlung der gesamten Trilogie überhaupt erst in Gang und die übrigen Figuren machen ihre wahre Wandlung erst durch sein Ableben durch.
Auch George R.R. Martin zögert nicht, Hauptcharaktere zu opfern. Allerdings ist keiner seiner Hauptcharaktere so zentral für die Handlung, dass er nicht durch einen anderen ersetzt werden könnte. Ich habe mich über so ziemlich jeden Tod in A Song Of Ice And Fire aufgeregt und habe ihn dafür zugleich bewundert. Jeder einzelne dieser Tode tut weh, aber die übrigen Figuren wachsen daran und verändern sich und die Handlung profitiert davon. So trägt der Tod von Ned Stark einiges zu dem folgenden Chaos in den Sieben Königreichen bei und der Tod von Khal Drogo bringt seine Frau Daenerys dazu, erwachsen zu werden und selbst für das zu kämpfen, was ihr zusteht. Mr. Martin schießt seine Charaktere vorzugsweise aus der Hüfte ab. Bei der Vielzahl von Charakteren kann er sich dies auch erlauben. Zudem passt es zu dem doch ziemlich harschen Setting von Westeros und Essos mit all seinen Grausamkeiten und überraschenden Wendungen. Auch wenn ich ihn für jeden Charaktertod insgeheim verfluche, komme ich doch nicht umhin, ihn zu bewundern, da er das Töten von Charakteren zu einer Art Kunst erhoben hat.
Aber ich möchte nicht, dass meine Geschichte ein Happy End hat!
Es gibt unzählige Möglichkeiten, um das Kitsch-Explosions-Friede-Freude-Eierkuchen-Ende zu vermeiden. Einen zentralen oder auch beliebten Charakter umzubringen, ist sicher eine Möglichkeit. Aber es ist auch eine, mit der man es sich ziemlich einfach macht. Überlegt euch auch hier genau die Konsequenzen, die es für die Geschichte, aber auch eventuell für euch als Autor haben würde, wenn ihr euch für diesen Weg entscheidet. Natürlich könnt ihr es nicht all euren Lesern recht machen und sollt das auch nicht, doch wenn sie euch in Scharen weglaufen, weil ihr ihren Liebling getötet habt, dann sollte euch das zu denken geben.Letztendlich müsst ihr auch hier abwägen, wovon eure Geschichte (und eine mögliche Fortsetzung) am meisten profitiert. Wenn ihr dann immer noch der Meinung seid, der Tod dieses Charakters wäre das Beste, dann können euch eure Leser das auch verzeihen.
Wann ist ein Charaktertod denn nun gut?
Immer dann, wenn er die Leser bewegt, aber in ihnen das Gefühl erweckt, dass es so trotzdem gut und richtig war. Ein guter Charaktertod treibt die Handlung voran und zwingt die übrigen Figuren, sich mit dem Verlust auseinanderzusetzen und mit den Konsequenzen zu leben. Hat der tote Charakter eine tragende Rolle in der Geschichte inne, so darf er anschließend nicht einfach aus dem Gedächtnis der Figuren verschwinden, und die Geschichte muss ohne ihn glaubhaft weitergehen.Wie ihr euren Charakter letztendlich umbringt, ist euch überlassen. Ich persönlich bevorzuge es wichtigen Charakteren und solchen, die dazu dienen, einen anderen in seiner Entwicklung voranzutreiben, einen möglichst epischen Tod zu bescheren. Die weniger wichtigen erschieße ich meistens aus der Hüfte im nächsten Kampf. Allerdings ist das auch immer eine Frage des Kontexts. Manchmal hat man auch keine andere Wahl, als einem liebgewonnenen Charakter einen unwürdigen Tod zu bereiten.
Wichtig ist, dass ihr mit dem Tod eines Charakters einen bleibenden Eindruck bei euren Lesern hinterlasst und diese sich hinterher nicht betrogen fühlen. Also fragt euch beim Schreiben auch immer, womit ihr als Leser leben können würdet. Indem ihr eure Absichten ehrlich hinterfragt und die Konsequenzen im Hinterkopf behaltet, habt ihr einen entscheidenden Schritt zur angemessenen und dem Charakter würdigen Umsetzung getan.
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Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.
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