Mittwoch, 30. September 2015

Interview: Fanfictions – Sind das überhaupt richtige Geschichten?


Hallo Sonea, stell dich doch einfach mal kurz vor und dann geht’s los!
Hallo Tinka, vielen Dank für die Einladung zu diesem Interview. Ich bin Baujahr 1982 und komme aus dem schönen Rheinland. Seit sechs Jahren schreibe ich unter dem Pseudonym Lady Sonea Fanfictions zu der Fantasybuchreihe „Die Gilde der schwarzen Magier“ von Trudi Canavan – einer Trilogie, die man als Fantasyliebhaber meiner Meinung nach gelesen haben sollte. Im richtigen Leben arbeite ich als Softwareentwicklerin und lebe wie meine Namensgeberin in einer großen Stadt am Fluss. Wenn ich meine Freizeit nicht mit Schreiben verbringe (was hin und wieder tatsächlich vorkommt), lese ich Fantasy und historische Romane, höre Metal, gehe joggen, schaue diverse Serien oder gehe spazieren. Außerdem bin ich sehr experimentier- und bastelfreudig, was sich auf verschiedene Weise äußert angefangen von Kochrezepten übers Fotografieren bis zu meinem neusten Projekt, der Erweiterung fiktiver Sprachen für meine Fanfictions.



1. Was sind Fanfictions eigentlich?
Fanfictions sind Geschichten, die auf Büchern oder Filmen basieren. Sie spinnen die Handlung fort oder setzen an einem markanten Punkt mit einer alternativen Handlung ein. Manche Fanfictions sind auch Vorgeschichten eines Buches oder handeln von neuen Charakteren, die in jenem Universum ihre eigenen Abenteuer erleben. Fanfictions können jedoch auch von realen Personen, wie Musikern oder Fußballspielern handeln.

Rechtlich gesehen bewegen Fanfictions sich in einer Grauzone, weil sie letztendlich eine Verletzung des Urheberrechts darstellen. Deswegen dürfen sie nicht kommerziell sein. Die meisten Autoren verbieten Fanfictions zu ihren Werken nicht, weil sie sich dadurch geschmeichelt fühlen oder es als Werbung für ihre Bücher betrachten. Und letztendlich fügen wir Fanfiction-Autoren den Autoren des Originals mit unseren Werken keinen Schaden zu, auch wenn nicht alles, was wir schreiben, eine Hommage an den Autor ist. Denn wir schreiben oft auch über Dinge, mit denen wir nicht einverstanden sind.

2. Wann und wie bist du das erste Mal mit Fanfictions in Berührung gekommen?
Mein ’erstes Mal’ war mehr oder weniger unbewusst. Ich hatte „Die Gilde der schwarzen Magier“ gerade ausgelesen und war mit dem Ende, gelinde gesagt, überhaupt nicht zufrieden. Als ich nach einigen Wochen noch immer über ein alternatives Ende und eine Fortsetzung nachgedacht habe, fing ich schließlich an, meine Ideen aufzuschreiben. Damals wusste ich, dass man das, was ich da tat, als ’Fanfiction’ bezeichnet, und kam mir wie ein ziemlicher Freak vor, weil ich zu jener Zeit noch den typischen Vorurteilen unterlag, dass nur Nerds und schwerpubertierende Teenager Fanfiction schreiben, um ihre Phantasien auszuleben. Diese Meinung hat sich zum Glück revidiert, auch wenn ich mich manchmal frage, wie viel Nerd und schwerpubertierender Teenager in mir steckt *lach* Tatsächlich sind die meisten Fanfiction-Schreiber ganz normale Hobby-Autoren, die über das schreiben, was sie begeistert und bewegt.

3. Hast du (vorher) schon andere, „normale“ Geschichten geschrieben?
Tatsächlich habe ich davor nur ’normale’ Geschichten geschrieben. Mein größtes Projekt ist ein unveröffentlichter Fantasyroman, den ich mit etwa 18 geschrieben habe. Nach meinem heutigen Verständnis müsste ich ihn jedoch gründlich überarbeiten, was nicht nur daran liegt, dass er ziemlich stark von bekannten Werken wie Herr der Ringe, Star Wars, Ronja Räubertochter, Song of the Lioness und einem Konzeptalbum von Iron Maiden inspiriert ist. Seit ich Fanfiction schreibe und wirklich ambitioniert bei der Sache bin, habe ich viel über das Schreibhandwerk gelernt, was mir vorher unbekannt war.

4. Was fasziniert dich an Fanfictions? Ist es nicht langweilig, über Dinge zu schreiben, die man sich nicht selbst ausgedacht hat?
Überhaupt nicht! Jede fiktive Welt bietet Lücken, in denen man sich kreativ austoben kann. Manchmal geht es dabei um Fragen, die der Autor dem Leser nicht beantwortet und auf die man unbedingt eine Antwort haben will. Oder man schreibt aus dem Bedürfnis heraus, eine Entwicklung, die einem missfällt, zu ändern und die Geschichte ab da nach seinen eigenen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Letztendlich geht jeder Film und jedes Buch irgendwann zu Ende, während man als Fan noch mehr von den geliebten Charakteren haben möchte und anfängt, sich eigene Abenteuer auszudenken. Wenn man sich genug für ein fremdes Werk begeistern kann, dann kommen die Ideen ganz von alleine. Das ist zumindest meine Erfahrung.

5. Was muss man deiner Meinung nach beachten, wenn man Fanfictions schreiben und veröffentlichen möchte?
Das kommt darauf an, was man beabsichtigt. Möchte man sich dicht an das Original halten, so muss man dieses sehr genau recherchieren. Das Setting und die Figuren müssen so umgesetzt werden, als hätte der Autor des Originals diese Geschichte geschrieben. Fängt man an, das Fanfiction-Universum zu erweitern, so sollten auch diese Erweiterungen zum Rest der Geschichte passen. Das für sich kann eine ziemliche Herausforderung sein. Dafür wird man dann auch mit einem tollen Leseerlebnis belohnt. Wie das ist, wenn man sich nicht an das Original hält, kann ich leider nicht sagen, da mich das persönlich nicht reizt. In diesem Fall hat man jedoch mehr Freiheiten.

Außerdem würde ich jedem dazu raten, nicht seinen ersten Entwurf hochzuladen. Viele Anfänger machen den Fehler und laden ihre Geschichten hoch, kaum dass sie geschrieben sind. Lasst eure Texte eine Weile liegen und lest sie dann noch einmal mit ein wenig Abstand. Bei längeren Geschichten empfiehlt es sich außerdem, möglichst viel vor der Veröffentlichung fertig oder zumindest mehrere Kapitel auf Vorrat zu haben. So vermeidet man Plotlöcher und hat die Chance, Änderungen nachträglich vorzunehmen, denn manche großartigen Ideen kommen erst, wenn man schon ein gutes Stück weitergeschrieben hat.

Wenn man eine Geschichte veröffentlicht, kann man vor dem ersten Kapitel einen sogenannten Disclaimer setzen, diesen halte ich jedoch für redundant, weil sich aus der Tatsache, dass sich um eine Fanfiction handelt, bereits klar ist, dass die Welt und die Figuren geliehen sind. Besonders für Schreibanfänger empfiehlt sich zudem, sich einen Betaleser zu suchen, der die Geschichte vor ihrer Veröffentlichung lektoriert. Die Aufgabe eines Betalesers sollte jedoch primär das Auffinden von Schwachstellen in der Handlung, Logikfehlern, stilistischer Probleme etc., als der Rechtschreibung dienen. Gute Rechtschreibprogramme wie z.B. die Duden-Korrektur kosten nicht viel und sollten zum Equipment eines jeden Hobby-Autors gehören.

Nicht zuletzt sollte man sich informieren, ob der Autor des Originals Fanfictions erlaubt. Einige Autoren wie Raymond Feist oder Anne Rice verbieten Fanfiction oder stehen ihnen sehr ablehnend gegenüber wie z.B. George Martin. Auch viele Prominente verbieten, dass man Fanfictions über sie schreibt. In diesem Fall sollte man diesen Wunsch respektieren und diese Geschichten für sich behalten.

6. Hast du Tipps für Veröffentlichungsplattformen? Gibt es Dinge, die man darüber unbedingt wissen sollte?
Veröffentlichen kann man Fanfictions in zahlreichen Archiven. Fanfiktion.de ist das größte deutschsprachige Archiv, alternativ kann man auch auf Fanfiction.net, Wattpad oder AO3 veröffentlichen. Die Plattformen funktionieren alle nach ähnlichem Prinzip. Es gibt Kategorien, in denen man seine Fanfictions veröffentlichen kann. Bei Fanfiktion.de und Fanfiction.net sind diese in Fandoms unterteilt, was die Suche sehr erleichtert. Wattpad finde ich dagegen extrem unübersichtlich, weil es nur ’Fanfiction’ als übergeordnete Kategorie gibt. Die Regeln auf diesen Plattformen sind besonders in Bezug auf Alterskennzeichnung strenger als bei Büchern und sollten unbedingt beachtet werden.

7. Warum glaubst du, sind Fanfictions bzw. Fanfiction-Autoren nicht so beliebt? Kannst du die Vorurteile ihnen gegenüber aus dem Weg räumen?
Als Fanfiction-Autor wird man schnell als Nerd oder Freak abgestempelt. Viele Menschen, denen ich erst einmal erklären musste, was Fanfictions eigentlich sind, bevor ich ihnen von meinem Hobby erzählen konnte, verstehen nicht, wie man etwas schreiben kann, was einem kein Geld einbringt. Manchmal schwingt auch die Unterstellung mit, man sei unfähig, etwas Eigenes zu schreiben. Meistens frage ich dann: „Hast du dir nach einem Buch oder einem Film noch nie überlegt, wie es weitergehen könnte? Oder hast du dir währenddessen nicht auch einmal gewünscht, die Handlung würde einen anderen Verlauf nehmen?“ Die meisten Menschen beantworten diese Frage mit Ja und fügen hinzu: „Aber ich hätte nie die Ausdauer, das aufzuschreiben.“

Ein weiterer Grund ist, dass die Qualität bei Fanfictions stark schwankt. Die Veröffentlichung auf den gängigen Plattformen ist viel einfacher, als die Veröffentlichung eines Buches und die Admins schauen nur nach Regelverstößen. Nicht jeder Autor sucht sich einen Betaleser, unabhängig davon, ob er einen braucht. Und nur wenige Betaleser reichen an professionelle Lektoren heran, weil sie dies nur als Hobby betreiben.

Man sollte nicht den Fehler machen und alle Fanfictions bzw. die Autoren über einen Kamm scheren. Ja, es gibt qualitativ starke Unterschiede, aber letztendlich haben wir alle einmal klein angefangen und Fanfictions sind auch eine gute Möglichkeit, das Schreibhandwerk zu erlernen und weiterzuentwickeln.

8. Was hältst du von berühmten Fanfictions wie 50 Shades of Grey oder After von Anna Todd und den Hype um sie?
Wenn man mich nach 50 Shades of Grey fragt, würde ich mich eher über andere Dinge auslassen als darüber, dass es eine Fanfiction ist *hust* Zu After kann ich nichts sagen, aber von 50 Shades of Grey halte ich nicht besonders viel. Die Ähnlichkeit zum Original ist ziemlich stark und ich habe irgendwo einmal gehört, dass es eigentlich schon als Plagiat gilt, nur dass Stephanie Meyer nicht strafrechtlich gegen E.L. James vorgeht. Ich habe 50 Shades of Grey noch nicht gelesen, aber nach allem, was ich darüber weiß, finde ich den Hype darum völlig überzogen. Wahrscheinlich ist er eine Folge des Twilight-Hypes mit dem Reiz des Verruchten. Dabei ist BDSM ja nun wirklich nichts Neues.

Grundsätzlich bin ich für künstlerische Freiheit, aber die endet dort, wo Plagiarismus anfängt. Besonders bei Nacherzählungen mit anderem Setting, wie es hier der Fall ist, finde ich das kritisch. Es wäre etwas anderes, wäre 50 Shades of Grey ursprünglich eine Fortsetzung von Twilight gewesen. In diesem Fall wäre der Eigenanteil sehr viel höher und durch eine Veränderung der Namen und des Settings wäre die Ähnlichkeit geringer. Ich finde es durchaus legitim, eine Fanfiction so umzuschreiben, dass sie als eigenständige Geschichte stehen kann. Denn alle Ideen sind schon einmal dagewesen oder basieren auf etwas Bestehendem. Man sollte nur darauf achten, dass es nicht zum Plagiat wird.

9. Möchtest du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?
Schämt euch nicht vor euren ersten Schreibversuchen. Die Rohfassung hat ein Recht darauf, grottig zu sein. Setzt zu Beginn mehr Fokus darauf, euch in die Geschichte und eure Charaktere einzufühlen, und haltet euch nicht mit Logikproblemen und Formulierungen auf. Plotlöcher könnt ihr später bei der Überarbeitung noch immer stopfen.

Vielen Dank für deine Zeit und Antworten!

Gerne, mir hat das Interview sehr viel Spaß gemacht.



Tinka liebt es, andere Menschen zu motivieren und zu inspirieren. Die Autorin bloggt auf tinkabeere.com, hat einen Ratgeber zum Bloggen veröffentlicht und schreibt fantastische Jugendbücher.

Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.

1 Kommentar:

  1. Ein sehr sehr schönes Interview!
    Fanfictions sind für mich als Autor eine Möglichkeit mich vor der eigentlichen Schreibarbeit gemütlich warm zu schreiben. Wenn man wie ich bei Fanfictions auch noch in bekannten Fandoms wie "Harry Potter" unterwegs ist, hat man die Möglichkeit, auch bei kurzen Texten und Fingerübungen Rückmeldungen zu erhalten, die motivieren und einen am Schreiben halten :)

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