Samstag, 12. September 2015

Leitfaden zum Erschaffen eines Magiesystems

Wer einen Fantasyroman schreiben will, kommt oft nicht um ein Magiesystem herum. Dieses muss nicht zwingend in all seinen Einzelheiten während des Romans beschrieben werden, weil dies vom Leser als Infodump empfunden werden kann. Doch indem ihr euch selbst damit auseinandersetzt, erweitert ihr euer eigenes Verständnis der von euch erschaffenen Welt, was euch hilft, Logikfehler zu vermeiden. Holt euch dazu ruhig Inspiration aus der bekannten Fantasyliteratur.

Im Folgenden stelle ich euch einige Aspekte vor, über die man sich bei der Erschaffung eines Magiesystems Gedanken machen sollte.





Das Magiesystem in seiner Praxis

Am einfachsten ist es dort zu beginnen, wo Magie für den Roman eine Rolle spielt: bei den Figuren, die mit der Magie in Berührung kommen oder diese selbst praktizieren. Was macht die Magie in eurer Fantasywelt aus und wie wird sie gewirkt? Jede Magie hat einen Ursprung – eine Quelle. Wie ihr diese gestaltet, ist ganz eurer Kreativität überlassen. Ist es ein Ort, an den die Magie gebunden ist und den ausgewählte Personen betreten müssen, um Zugang zur Magie zu erhalten? Oder ein Artefakt, das man am Körper trägt, oder eine magische Quelle, die in jenen mit magischer Begabung ruht? Vielleicht ist es auch eine alles durchdringende und alles umgebende Kraft – also eine Art Äther, ähnlich der „Macht“ bei Krieg der Sterne*. Eure Magie kann auch geschlechtsspezifisch sein und zeigt sich in unterschiedlichen Fähigkeiten eurer männlichen und weiblichen Magier. Oder ihr denkt euch etwas völlig Neues aus.

Hat man sich nun auf die Art der magischen Quelle festgelegt, stellt sich als Nächstes die Frage, ob die Magie endlich oder unerschöpflich ist und aus welchem Grund. Erschöpft sich die Magie, so bieten sich zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, diese wieder aufzufüllen – abhängig davon, ob die Magie orts- oder personengebunden ist. Eine personengebundene Quelle könnte beispielsweise durch körperliche Ruhe oder Tränke wieder aufgefüllt werden. Hier lohnt es sich zudem, über die Konsequenzen des Magieverlusts nachzudenken (Erschöpfung, Entzugserscheinungen etc.). Basiert die Fähigkeit, Magie zu wirken, auf Artefakten oder Amuletten, so wäre es auch denkbar, dass diese mit der Zeit ihre Wirkung verlieren.

Jetzt haben wir die Eigenschaften unserer Magiequelle definiert, aber wie wird die Magie nun angewandt? Auch hier bieten sich wieder verschiedene Möglichkeiten: Ein Zauberstab eignet sich hervorragend, um Magie zu kontrollieren und zu fokussieren. Große Zauberstäbe sind zudem eine hervorragende Schlagwaffe für erschöpfte Magier. Kontrolle kann jedoch auch ein rein mentaler Prozess sein. Zaubersprüche und -formeln oder Handbewegungen können dabei nicht nur den Magier unterstützen, sondern auch für einen größeren Lesegenuss sorgen. Lasst eurer Phantasie hier ruhig freien Lauf. Ich persönlich bevorzuge einzelne Wörter oder kurze Befehle auf Latein oder in einer fiktiven Sprache. Dazu muss man jedoch entweder sehr kreativ sein oder einen Linguisten kennen. Bei längeren Zauberformeln oder Reimen würde sich dagegen zum besseren Verständnis und der Erhaltung des Leseflusses Deutsch anbieten.

Magie kann auf vielfältige Weise ausgeübt werden. In manchen Magiesystemen findet man mentale Magieformen wie Gedankenübertragung, -kommunikation und -manipulation, oder das Erspüren von Magie und anderen Magiern. Aktive Formen sind unter anderem das Beherrschen der Elemente, Teleportation, Levitation, heilende Magie oder der Einsatz von Magie im Kampf. Grundsätzlich gilt hier das Prinzip von Aktion und Reaktion, denn die Naturgesetze sollten auch in einer Fantasywelt gewahrt bleiben. Natürlich steht es euch frei, die uns bekannten Gesetzmäßigkeiten so zu verändern, dass eure Magie dort hineinpasst. Das sollte dann jedoch an den Leser weiterkommuniziert werden, damit eure Welt nicht an Glaubwürdigkeit einbüßt.

Müssen die Magier in eurem Roman kämpfen? In diesem Fall braucht ihr neben Angriffszaubern Möglichkeiten, wie man diese abwehren kann. Diese können magische Schilde oder magisch verstärkte Rüstungen sein, aber auch mit Ablenk- und Entwaffnungszaubern. Letztere hätten den Nachteil, dass sie eine rasche Reaktion erfordern, während ein magischer Schild eine größere Menge von Magie erfordern kann. Überlegt euch auch, wie sich eure Nichtmagier gegen Magie schützen können und das überhaupt gewollt ist.


Finstere Formen von Magie

In beinahe jedem Magiesystem gibt es sowohl gute als auch finstere Ausprägungen von Magie. Ich vermeide an dieser Stelle absichtlich Begriffe, wie „schwarze“ und „weiße“ Magie, weil man damit so festgelegt ist. Zu den finsteren Formen werden häufig das Wiederbeleben und Kontrollieren von Toten oder das Aussaugen von Lebensenergie gezählt. Vielleicht aber ist es auch eine Sammlung von Zaubern, die unverzeihlichen Schaden anrichten. Es lohnt sich auch darüber nachzudenken, ob den guten und bösen Magieformen in ihrer Praxis Grenzen auferlegt sind, oder sie ins Gegenteil gekehrt werden können, weil sich daraus neue Handlungsmöglichkeiten für eure Figuren ergeben. So könnte heilende Magie mit der entsprechenden Kenntnis des menschlichen Körpers zu bösen Zwecken missbraucht werden. Umgekehrt könnte eine Magieform, die in ihrer Welt als zutiefst böse gilt, der Schlüssel sein, um eine entsetzliche Gefahr abzuwenden.

Habt ihr euch entschieden, dass die Magie von höheren Wesen oder Göttern in eure Welt gebracht wurde, so könnt ihr ihre gute, schaffende und erhaltende Seite und den dunklen, destruktiven Part als die Kräfte zweier kosmischer Gegenspieler betrachten, die ohne einander nicht existieren können. Will man auf höhere Mächte verzichten und konzentriert sich auf die inneren und zwischenmenschlichen Konflikte der Charaktere, so bietet sich hier eine weitere Alternative, indem man im Laufe des Romans offenbart, dass die so lange gefürchtete böse Magieform eigentlich gar nicht böse ist, sondern nur auf eine Weise missbraucht wurde, die zu ihrem Verbot geführt hat. Dies bietet Entwicklungspotential für eure Figuren, die nun gezwungen sind, ihre eigenen Vorurteile zu überwinden, ihre Weltanschauung zu hinterfragen und eventuell auch zu beweisen, dass die Magie ihrer Welt weder gut noch böse ist.


Die Gesellschaft der Magier und ihr Status in der Gesellschaft

In manchen Fantasywelten werden Magier als ein Kreis elitärer, weltfremder Gelehrter dargestellt, die in einer Art Orden leben. In anderen leben sie über die Welt verstreut oder in einer Parallelgesellschaft verborgen vor den Augen der nichtmagischen Bevölkerung. Überlegt euch die jeweiligen Gründe für diese Lebensweise. Leben eure Magier verstreut, weil sie einander misstrauen oder um bedeutsame Ereignisse in ihrer Welt im Auge zu behalten und bereit für die Rückkehr des Bösen zu sein? Oder halten sie sich an einem Ort auf, weil sie in erster Linie Gelehrte sind, die ihr Wissen teilen? Aus ihrer Lebensweise ergibt sich häufig auch, wie sie ihre Schüler unterrichten. Magier, die ein Leben als Einsiedler führen, würden eher dazu neigen, einzelne Schüler auszubilden, während sich in einem Orden oder einer in sich geschlossenen Parallelgesellschaft ein Schulsystem anbietet.

In diesem Zusammenhang ist auch der gesellschaftliche Status der Magier eine Überlegung wert. Verstreut lebende Magier werden von den Bewohnern in ihrer Umgebung möglicherweise als Respektspersonen oder gar Ansprechpartner betrachtet. Magier, die auf diese Weise leben, sind den Bewohnern ihrer Welt näher und kümmern sich eventuell um deren Belange, wie durch Heilung oder Schutz vor gefährlichen Tieren oder Monstern. Magier, die in ihrem Orden wie in einem Elfenbeinturm leben, werden eher für weltfremd oder eingebildet gehalten. Wenn ihr den gesellschaftlichen Status eurer Magier geklärt habt, stellt sich zudem die Frage nach Regeln und Gesetzen innerhalb ihrer Gemeinschaft und in Bezug auf das Volk, dem sie angehören. Unterstehen sie dem König, so wäre es zudem naheliegend, dass dieser die Magier im Krieg einsetzt – entweder als einzige Streitmacht oder zur Unterstützung seiner Soldaten.

Je nach ihrer Lebensweise, der Beschaffenheit der Magie und der Häufigkeit von magischem Potential unterscheidet sich auch der Beitrag der Magier zur Wirtschaft. Besonders dann, wenn Magie häufig ist und wenig Energieaufwand bedarf, kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaft des Landes haben. Aber vielleicht gibt es auch spezielle Ressourcen, die nur mit Magie abgebaut werden können, oder Gegenstände und Artefakte, die man nur mit Magie herstellen kann?


Geschichtliche Aspekte

Um das Magiesystem glaubhaft in die Welt einzubetten, fehlt noch ein letzter Aspekt – unabhängig davon, wie viel man davon letztendlich in seinem Roman benötigt: die Geschichte der Magie. Magie ist Bestandteil des Worldbuildings und des Lebens der Magier in eurem Roman. Wir haben bereits die Quelle der Magie, ihre Formen und die Art und Weise ihrer Ausübung sowie die Lebensweise der Magier geklärt. Doch zu ihrem Ursprung haben wir uns noch keine ernsthaften Gedanken gemacht. Wurde sie den Menschen von einer höheren Macht gegeben? Ist die Magie eine biologische Eigenart einiger Personen? Existieren in eurer Welt fünf statt vier fundamentalen Wechselwirkungen und die Magie ist eine davon? Können die Bewohner mit ihrem technologischen Wissensstand den Ursprung überhaupt herausfinden oder ist er Bestandteil von Mythen und Prophezeiungen?

Damit verknüpft sich unmittelbar die Frage, wie die Magie entdeckt wurde und wie viel den Charakteren überhaupt über die gesamte Geschichte ihrer Magie bekannt sein kann. Lasst eure Charaktere im Laufe der Handlung ruhig die Rätsel der Vergangenheit lüften, wie etwa um die ultimative magische Waffe für den Kampf gegen das Böse zu finden. Überlegt euch auch, wie die Bewohner eurer Welt gelernt haben, die Magie zu beherrschen und wie das ihre Lebensweise beeinflusst hat. Diese kann sich im Laufe der Geschichte geändert haben. Kriege der Magier untereinander oder mit einem bestimmten Feind könnten einen einst existierenden Orden zerschlagen oder erst dessen Gründung erfordert haben. Kriege könnten jedoch auch um magische Waffen oder auf Grund des Einsatzes verbotener Magie begonnen haben und zu Restriktionen geführt haben, denen die Magier zu der Zeit, in welcher der Roman spielt, unterliegen.

Wenn ihr geschichtliche Aspekte in die Handlung einstreut, dann baut auch Lücken ein. Aufzeichnungen können verloren, bewusst verändert oder vernichtet worden sein – und was bedeutet das für eure Handlung? Geschichte muss außerdem nicht immer logisch sein, weil Menschen nicht logisch sind.

Aufgabe: Erschaffe dein eigenes Magiesystem für deine Fantasywelt, indem du dir zu jedem der genannten Punkte ein paar Gedanken machst. Überlege dir, welche Konsequenzen sich daraus ergeben und wie dies Handlung und Figuren beeinflusst.

* An dieser Stelle beziehe ich mich auf Meister Obi-Wans Definition der Macht in Episode IV, da ich als eingefleischter Fan der alten Filme die Erklärung mit den Midichlorianern nicht akzeptiere.

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