Mittwoch, 10. Juni 2015

Am Anfang war das ”Ich” - Der Autor, Mary Sue und die Selfinsertion


Bei jedem Schriftstück egal ob ein Roman, eine Kurzgeschichte oder auch einer FanFiction ist es dasselbe. Der Figurentwurf: Wie heißen sie? Was macht sie aus? Wie ist ihre Erscheinung? Und spätestens beim Charakterentwurf kommt das große Grübeln: ist sie witzig, ist sie schüchtern, ist sie draufgängerisch, ist sie wie ich?


Prinzipiell kann man sagen: in jeder Figur ist etwas, was man selbst kennt. Und der Grund ist ziemlich einleuchtend: Man orientiert sich an Dingen, bewusst oder unbewusst, die vertraut sind. Ab welchem Punkt könnte das aber zu einem Problem werden?

Die meisten kennen sicher den Begriff „Mary Sue“ oder auch das männliche Äquivalent „Larry/Gary/Marty Stu“ - die Form die am meisten belächelt wird. Es ist die idealisierte Form eines Charakters und meistens mit dem Autor gleich zu setzen. Ursprünglich als Parodie in „A Trekkies Tale“ wurde die Mary Sue ein Begriff für eine absolut unfehlbare Frauenfigur: klug, schön, sexy, bescheiden, mit unglaublichen Fähigkeiten von lang vergessenen Kampftechniken über geheime Wissenschaften bis zu einer Fülle an literarischem Wissen. Nicht zu vergessen, dass sich alle männlichen Figuren in irgendeiner Weise in sie verlieben oder von ihr angezogen sind.

Ich finde eigentlich nicht, dass man Mary Sues belächeln sollte. Denn es ist in vielen Fällen ein Katalysator (und wer hat nicht so eine Autoren-Leiche im Keller), den man gerade als Teenager braucht und auch meistens die ersten Gehversuche beim Schreiben sind. Also: es ist keine Schande! Wenn es hilft Stress loszuwerden oder etwas zu verarbeiten, dann schreibt es so! Und wenn ihr es nur in euer privates „Guilty Pleasure“-Heft schreibt - wer soll es dann wissen oder lesen? Und zum Üben ist dieses Figurenkonzept hervorragend. Denn sie gibt die Möglichkeit an Beschreibungen, Charaktereigenschaften und Handlungsweisen zu feilen – und mit der Zeit entwickelt ein Autor auch das Gefühl dafür: Was wäre zu viel, was ist „realistisch“ und was nicht, wie passt es zu den anderen Figuren etc.
Schreiben soll nicht nur produktiv oder „literarisch“ sein, sondern auch eine Entwicklung. Und jeder hat angefangen.

Und vor allem, was ist die größte Inspirationsquelle? Menschen, die Umwelt in der wir uns Bewegen und die Menschen darin. Um also in dem Schreibprozess eine authentische Welt mit authentischen Figuren zu erzeugen, warum soll man sich nicht an den Menschen um sich herum Inspiration suchen? Und wieso also auch nicht sich selbst in gewisser Weise erzählen lassen:

Dieses Vorgehen ist die Self-Insertion. Eine Erzählinstanz, die an Stelle des Autors als Erzähler fungiert. Beispielsweise in autobiografischen Romanen wie „Jane Eyre. Eine Autobiografie“, in der die Handlung von Jane erzählt wird oder auch der „Ersatzautor“ wie etwa Bilbo als Autor von „Der Hobbit“ anstelle J.R.R. Tolkiens fungiert.
Hier geht es auch um Ereignisse oder Erlebtes aus dem Leben der Autoren. So ist Charlotte Brontes Schulzeit das Vorbild für die Episode „Lowood School“ in Jane Eyre. Das ist eine Frage wie weit man bereit ist, seine persönlichen Erfahrungen mit einfließen zu lassen. Und ab diesem Punkt kann man verändern und die Fantasie spielen lassen. Hierbei sind Fragen hilfreich, die man sich dafür notieren kann:
Wie war diese Situation?
Wie habe ich mich gefühlt vs. Wie soll sich meine Figur fühlen?
Welche optischen Eindrücke sind geblieben? (Groß, klein, unheimlich, freundlich etc.)
Das sind natürlich drei Fragen die relativ sich vage halten, aber es geht auch darum, dass sie jedem genügend Freiheiten lassen und auch die Möglichkeit geben seinen eigenen Weg zu finden. Viel wichtiger als permanent nach einem Schema vorzugehen, sind es grobe Richtlinien, an denen man sich herantasten kann, um seinen eigenen Erzählstil und Entwicklung zu finden und auch in Balance zu bleiben wie viel man „von sich selbst“ in die Figuren und Handlungen hineingeben will.

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