Samstag, 15. Dezember 2018

Warum uns auch fantastische Literatur immer an die Realität erinnert …

„Wozu nützt denn die ganze Erdichtung? – Ich will es dir sagen, Leser, sagst du mir erst, wozu die Wirklichkeit nützt.“ (Friedrich von Schiller)

Zurzeit bereite ich mich auf meine Masterarbeit vor und grübele über die Zusammenhänge von realen Lebensweltbezügen und fantastischer Jugendliteratur nach. Beim Aufstellen meiner Forschungsfrage stolperte und stolpere ich auch weiterhin immer wieder über das Lernen aus der Literatur. Schon mehrfach wurde mir gesagt, dass Jugendliche (und teilweise auch Erwachsene: Jugendliteratur wird ja immer mehr All-Age) Bücher ja nicht aus dem Grund lesen, weil sie etwas daraus lernen wollen. 
Nun sind diese Bezüge, die ich untersuchen will, im Buch enthalten, egal ob der Leser die Intention hat, etwas daraus zu lernen oder nicht. Natürlich gibt es in der heutigen Zeit schon viele Ansatzpunkte für literarisches Lernen in der Schule oder zum Hinzuziehen fantastischer Literatur in der Psychotherapie und ähnliches. Die in diesen Bereichen explizit gemachten Bezüge und (ich will es mal unreflektiert so nennen) „Lernstrategien“, können aber doch vom Leser auch implizit verarbeitet werden. Nur weil wir uns beim Lesen nicht dessen bewusst sind, heißt das doch nicht, dass wir nicht aus Büchern lernen können – oder? 
Ich als Autorin denke auch nicht unbedingt vorher darüber nach, wieso meine Zivilisation im Kern zerstritten ist und welche Bezüge zur realen Welt ich vielleicht gerade in meine Geschichte eingebaut habe, trotzdem sind sie da und trotzdem verarbeitet der Leser diese irgendwie, weil er das verarbeitet, was er liest. Wenn ich mir nun aber bewusst bin, dass Leser alles irgendwie verarbeiten, was sie lesen – wir lassen mal dahingestellt, in welcher Intensität sie das tun – dann habe ich als Autor doch viel mehr Möglichkeiten, eigene Anliegen, moralische Vorstellungen oder ähnliches einzubauen.

Wieso nicht mit Literatur realweltliche Geschehen in einer davon abgeschlossenen fantastischen Welt nachstellen?
Wieso nicht mögliche Auswege, Reaktionen und Handlungsvorschläge unterbreiten?
Ihr findet dieses Ansinnen unsinnig? Dann lest doch eure Texte jetzt nochmal unter dem oben beschriebenen Gesichtspunkt. Wer schreibt nicht ein Teil seiner Selbst, seiner Erfahrungen und seines Wissens mit in seine Geschichten? Wer zeichnet nicht Ängste oder Hoffnungen nach? Wer bezieht sich z.B. nicht in irgendeiner Art auf die Stützpfeiler einer funktionierenden (oder eben nicht funktionierenden) Gesellschaft?

Kann der menschliche Geist überhaupt etwas von der „Realität“ oder „Wirklichkeit“ Abweichendes schaffen?
Können wir etwas schaffen, was wir nicht kennen?
Ich bin durchaus der Ansicht, dass ein wenig Theorie noch keinem geschadet hat. Das gilt nicht nur für Orte und Handlungen, sondern auch für das Konstrukt Text, welches wir als Autoren immer wieder neu erschaffen, verändern und anpassen.

„Literatur fesselt, rüttelt wach und befreit mit der Sprache der Wirklichkeit wie der Phantasie: Aufarbeitung des Gewesenen, Analyse des Gegenwärtigen, Begründung von Visionen, und der Mensch wird.“ (Raymond Walden)
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Zum Weiterlesen:

Jenny bloggt außerdem auf www.jennifergreve.wordpress.com/


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