Mittwoch, 5. Dezember 2018

Selbstverleugnung oder Horizonterweiterung? Eine Sache der Perspektive.

Ich war 15, schrieb Gedichte und Kurzgeschichten. Das Entwickeln von Figuren und Schauplätzen war für mich das Schönste überhaupt. Das Glücksgefühl, wenn es gelungen war, etwas in Worte zu fassen, war überwältigend. Ich will Autor werden, nichts anderes, das war seitdem mein größter Traum. Wie man das angeht – es waren die 80er Jahre –, wusste ich nicht. Die Schriftstellerbiographien, die es zu kaufen gab, berichteten von Verlegern, die wie aus dem Nichts auftauchten und die Schriftsteller »entdeckten«. In meiner Welt kamen diese geheimnisvollen Wesen nicht vor.

So lernte ich etwas Vernünftiges, mit dem man auch Geld verdienen kann, sogar verbeamtet wird. Zufällig stieß ich auf eine Autorengruppe, die sich regelmäßig trifft und es passierte wirklich das, von dem ich immer gelesen hatte: Der Lektor eines Kleinverlages fand meine literarische Erzählung super, es gab einen Vertrag und ich dachte: Wow, jetzt ist es geschafft. Ich werde reich. Ich bin Autor. Dass trotz Lesungen und Zeitungsberichten nur so viel Geld dabei raussprang, dass man mit zwei Personen in einem Restaurant Essen gehen konnte, war die Realität nach der ersten Euphorie. Auch bei den darauffolgenden Veröffentlichungen verdiente ich nicht mehr. So sei das nun mal bei literarischen Texten, sagte man mir. Kunst um der Kunst Willen. Wer nach Geld fragt, ist kein richtiger Künstler.
Und schließlich folgte die totale Ernüchterung: Während der folgenden zehn Jahren bekam ich nur Absagen für meine Texte. Ich dachte, ich müsste mich nur verbessern, an mir arbeiten, dann würde es schon werden. Aber es wurde nicht besser. Stattdessen sammelte ich Absagen, bis ich damit ein ganzes Haus hätte tapezieren können. Ja, damals kamen die Absagen noch mit der Post.
Inzwischen weiß ich, dass es vielen angehenden Autoren ähnlich geht. Dort ist eine Wand, gegen die man wieder und wieder rennt. Dann ist es leicht, die eigene Wut gegen die anderen zu richten. Verleger sind blöd und eingebildet, sie erkennen das Talent nicht. Warum hatte ich denn drei Veröffentlichungen? Lektoren sind noch bornierter und vor allem faul, bestimmt lesen sie nicht mal die Einsendungen, sondern schicken schnell die Standardabsagen heraus. Veröffentlichte Kollegen? Haben es nur mit Vitamin B geschafft, schaue man sich doch an, wie leicht es für den Nachwuchs von bekannten Autoren ist, selbst zu publizieren.
Im Selbstmitleid zu verharren ist einfach, wenn es nicht so klappt, wie man möchte. Ich habe ans Aufgeben gedacht, mehr als einmal, weil mir das Warten und Hoffen nicht weitergeholfen hat. Gleichzeitig tauchte die Frage auf: Was ist mir wichtiger, mein eigener Dickkopf oder das Schreiben an sich? Geht es mir allein darum, mein Innerstes auszudrücken, oder bin ich bereit, mich für andere anzupassen? So habe ich den Vorsatz gefasst, mir das Uschtrin-Handbuch zu nehmen und zu JEDEM Genre, das aufgeführt ist, einen Text zu verfassen und zu verschicken, um irgendwo eine Lücke im Literaturbetrieb zu entdecken. Freunde hielten mich für verrückte. Wie kann man etwas schreiben, was man nicht liest? Ist es nicht Verrat an sich selbst, das zu schreiben, was man niemals kaufen würde?
Ich denke: Wenn man sowieso daran denkt aufzugeben, gibt es nichts zu verlieren.
So habe ich erst ein Theaterstück geschrieben, dann ein Hörspiel, einen historischen Roman – erfolglos. Als Nächstes kam ein Heftroman an die Reihe. Gelesen hatte ich noch nie einen, aber ich hatte mir vorgenommen, der Reihe nach die Genres abzuarbeiten, und das tat ich auch. Was wenige Tage nach dem Einschicken einer Heftroman-Leseprobe geschah, sprengte meine Weltsicht: Ich bekam keinen standardisierten Antwortbrief, sondern einen Anruf, in dem mir die Schwächen und Stärken des Textes beschrieben wurden. In einer konkreten Reihe hätten sie Bedarf an Autoren.
Erst einmal war ich platt, von dem Lob, auch von dem Angebot (knapp einen Tausender sollte es dafür geben). Und gleichzeitig schockiert. Ich und Heftroman?
Aber kneifen gilt nicht. Per Mail kamen Reihenexposés und Figurenkonstellationen, nach einigen weiteren Telefonaten und drei gelesenen Heftromanen setzte ich mich an die Arbeit, schickte den Text ab und wenig später war das Geld auf dem Konto. Ob ich schneller schreiben könne, wurde ich gefragt. Bisher habe ich für hundert Seiten ungefähr ein Jahr gebraucht, meinen ersten Heftroman in sechs Wochen geschrieben, das kam mir schon mehr als rasant vor.
In den nächsten Jahren lieferte ich in manchen Monaten zwei bis drei Heftromane. Dann kamen Texte für Zeitschriften dazu. Ich brauchte mich nicht bewerben, sondern wurde weiterempfohlen. Ich schrieb, was angefragt wurde: Erotik, einen Abklatsch von Shades of Grey, Erlebnisberichte, querbeet.
Irgendwann klappte es mit dem Agenturvertrag, dem ersten und weiteren Verlagsverträgen in einem großen Publikumsverlag und inzwischen ist auch das Selfpublishing dazugekommen.
Ja, ich kann meinen Traum leben, brauche keinen Brotjob und habe keine Geldsorgen. Das ist fantastisch!
Allerdings habe ich den Kontakt zu einigen Schreibkollegen und -kolleginnen abgebrochen, weil sie mir vorwarfen: Du hast dich selbst verleugnet. Du bist nicht mehr du selbst. Schämst du dich nicht, so einen Schund zu produzieren und dazu wie am Fließband? Was unterscheidet dich von einer lebendigen Schreibmaschine?
Nein, ich möchte nicht frustriert auf meine Aufnahme in den Literaturhimmel warten oder noch besser: auf einen Ruhm nach meinem Tod. Ich will jetzt leben und auch Geld für mein Schreiben bekommen, weil das Schreiben so viel Zeit kostet, dass ich dauerhaft kaputtgehe, wenn ich nebenher mehrere Brotjobsausüben muss.
Ja, ich habe geschrieben, was ich nie kaufe und nicht mal geschenkt haben will. Und nun kommt das Aber: Bei jedem Text habe ich durch die Lektorate Neues gelernt, Vieles ließ sich auch auf andere Texte übertragen. Es war wie ein kostenloses Schreibcoaching. Und ja, es hat mir sogar Spaß gemacht zu schreiben, was ich selbst nicht lesen würde, weil es mir nie darum ging, einen Text einfach lieblos abzuliefern, sondern die Aspekte zu entdecken, die mich interessieren. Und da ließ sich immer etwas finden. Mal war es eine besonders ausgearbeitete Charakterzeichnung, mal eine lebendige Ortsbeschreibung, mal eine sehr bewusst gestaltete Figurenentwicklung.
Selbstverleugnung kann man es nennen, wenn man es negativ sieht, für mich war es in erster Linie eine enorm wertvolle Horizonterweiterung.
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Zum Weiterlesen:



Zu der Autorin: Die Autorin schrieb schon als Schülerin und hatte sich in den Kopf gesetzt, Autorin zu werden. Inzwischen hat sie unter so vielen Pseudonymen geschrieben, dass sie sich nicht mehr an jedes davon erinnern kann.

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