Mittwoch, 21. November 2018

NaNoWriMo extrem: fünf Tage – ein Roman – das Experiment

Die Idee zu meinem Experiment kam mir, als ich irgendwann einsehen musste, dass ich es nicht schaffe, das Raum-Zeit-Kontinuum zu durchbrechen, egal, wie sehr ich mich bemühe. Ich kämpfte mit einem Problem, das wohl wirklich die allermeisten Autoren kennen: akuter Zeitmangel. Neben Vollzeitjob, Familie, Sport und so lächerlich unwichtigen Dingen wie Schlaf und Nahrungsaufnahme blieben mir immer weniger wache Stunden, um mich dem Schreiben zu widmen. Ich bin nämlich jemand, der sich gar nicht erst an den Laptop zu setzen braucht, wenn er schon weiß, dass er nur 30 Minuten Zeit zum Tippen hat. Ich brauche etwas, um in den Flow zu kommen, mich in diese andere Welt meines Buchs hineinfallen zu lassen und die Kreativität zu aktivieren.





Nachdem mein Debütroman endlich erfolgreich veröffentlicht worden war, wollte ich mich einer der anderen Ideen widmen, die seit Langem in meinem Gehirn herum waberten und nach Aufmerksamkeit schrien. Aber ich kam schlicht nicht dazu. Als ich eines Tages meinen Blick, mit größer werdender Verzweiflung, über meinen Kalender schweifen ließ, entdeckte ich etwas Ungewöhnliches. Ich hatte mir für den Oktober noch fünf Tage Urlaub eingetragen. Das war meine Chance, das Zeitfenster, das ich herbei fantasiert hatte, ein Zeichen. In diesen fünf Tagen würde ich Roman Nummer zwei schreiben!

Die Vorbereitung

Ich gab mich gar nicht erst der Illusion hin, zu Hause in Ruhe schreiben zu können. Ich brauche zwar meist eine Weile, um aus meinen Fehlern zu lernen, aber diesmal war mir glasklar: Wenn ich zu Hause bliebe, würde ich bis mittags schlafen, Fenster putzen, Ablage machen, Freunde treffen, in Bars gehen, shoppen … und am Ende der Woche hätte ich eine Wohnung, so klinisch rein, dass man am offenen Herzen operieren könnte, einen Haufen neuer Klamotten und immer noch keinen Roman. Außerdem hatte ich schon lange davon geträumt, mich zum Schreiben in ein kleines Haus am See zurückzuziehen, mit einem Rotwein den Sonnenuntergang zu beobachten. Wie eine richtige Autorin!
Ich fing an, Google zu befragen, gab wahllos Begriffe wie „Cottage“, „Haus am See“, „Landhaus“ ein – und war baff. Da gab es wirklich eine ganze Menge. Vorausgesetzt man wollte mit einer Gruppe von circa 15 Leuten einreiten, die sich die Kosten teilen konnten oder man hatte schon den ein oder anderen Bestsellerroman geschrieben und bekam bei dem Gedanken, 150 Euro pro Tag zu zahlen, keine akute Schnappatmung so wie ich. Ich änderte meinen Plan, in völligem Eremitentum zu leben, ein wenig und fragte eine gute Freundin, die praktischerweise seit vielen Jahren eine meiner Testleserinnen ist, ob sie nicht Lust, Zeit und Geld hätte, mich zu begleiten. Zum Glück hatte sie … alles drei. Zusammen nahmen wir airbnb und Co noch einmal etwas genauer unter die Lupe und ich senkte meine Ansprüche ein wenig. Statt einem Haus am See reichte mir auch eine Wohnung am Whirlpool. Und die fanden wir dann auch. In Holland, gar nicht weit weg vom Ijsselmeer – was ja im Prinzip auch nur ein sehr großer See ist.
Für den Roman an sich bereitete ich nicht viel vor. Ich bin keine Plotterin, kann nicht gut schreiben, wenn ich schon weiß, wo die Geschichte hingeht. Stattdessen lasse ich lieber die Figuren erzählen und entscheiden. Daher waren die Charaktere auch das einzige, das ich schon klar vor Augen hatte. Außerdem einen grob skizzierten Spannungsbogen und die Idee, einen Roman zu schreiben, der sich ein wenig stärker an der Heldenreise orientiert als der vorige. Der Laptop war verstaut, die Fingerkuppen eingecremt, das Auto getankt … es konnte losgehen.

Tag 1

Das Haus war großartig und unsere Vermieterin ein richtiges Sahnebonbon. Sie hatte uns bereits einen Vorrat an Schokolade und Kaffee dagelassen, den Wein haben wir selbst mitgebracht. Der Whirlpool auf der Terrasse des kleinen Häuschens, von dem wir die untere Etage gemietet hatten, war heiß, sauber und funktionstüchtig … nichts stand mir mehr im Weg! Ich knackte mit den metaphorischen Fingerknöcheln, öffnete ein brandneues, reinweißes, jungfräuliches Word-Dokument und fing an. Anfänge sind für mich normalerweise mit am Schwersten. Der Anfang muss sitzen und knallen, sonst legen sowohl potenzielle Verlage als auch Leser das Buch schneller aus der Hand als ich „Das kommt alles noch!“ schreien kann. So viel ist mir bewusst. Und normalerweise reichte bisher allein dieses Wissen, um mich um den Anfang herumschleichen zu lassen. Was insofern blöd ist, als dass ich jemand bin, der den Anfang braucht. In der Uni habe ich viele Leute kennengelernt, die die Einleitung zu einer Hausarbeit am Ende schreiben – und ich habe sie immer bewundert. „Ich muss ja erst einmal wissen, was ich alles geschrieben habe, damit ich das mit in die Einleitung fließen lassen kann“, war ihr Argument. Bei mir ist es umgekehrt: Ich muss wissen, worüber ich schreiben will, damit ich es schreiben kann und nicht völlig abdrifte – so wie jetzt gerade zum Beispiel. Entschuldigung.
Es lief also gut an, die Wörter flossen aus meinen Fingern, meine Freundin hatte sich aufgemacht, die Gegend zu erkunden und mir blieben jede Menge Zeit und Ruhe. Zwei Stunden und zehn Seiten später klappte ich den Laptop zufrieden zu. Mein Schreibziel von 60 Seiten hatte ich zwar nicht ganz erreicht, aber das würde ich am nächsten Tag einfach nachholen.

Tag 2

Der Tag war grau und bewölkt und ich fühlte mich leicht … neben der Spur … von etwas zu viel Weißwein im Whirlpool am Abend zuvor. Meine Freundin schlief noch, aber ich bin morgens am Kreativsten, habe mich deshalb mit Jacke und Kaffee auf die Terrasse verzogen und starrte den Laptop an – er starrte zurück. Hey, ich musste an dem Tag nur knapp 100 Seiten schreiben … die Erkenntnis lähmte mich. Ich ging erst einmal duschen. Eine Stunde später, mit einem frischen, dampfenden Kaffee, versuchte ich es erneut. Meine Freundin war mittlerweile in die kleine Innenstadt des Örtchens aufgebrochen, um sich etwas umzuschauen.
Und siehe da, ganz gemächlich kamen ein paar Worte auf das virtuelle Papier. Allerdings ging mir das Ganze viel zu langsam. Bei der Geschwindigkeit würde ich mein Ziel nicht einmal annähernd erreichen. Als ich mich zwei Stunden später mit meiner Freundin zum Lunch traf, hatte ich circa drei Seiten hinzugefügt. Noch dazu bekam ich eine Absage für einen Freelance Job, der eine nette Finanzspritze bedeutet hätte. Ich war frustriert. Der Nachmittag brachte nicht viel Neues – leider auch nicht in meinem Word-Dokument. Nach dem gut gelungenen Start, tat ich mich schwer damit, alle Handlungsstränge zu eröffnen, nicht zu wirr zu werden, Abstand zu meinem Geschriebenen zu gewinnen und zu reflektieren. Gegen späten Nachmittag gab ich auf. Schreibziel wieder nicht erreicht, Frustlevel hoch.

Tag 3

Ich stand früh auf. Draußen war es sonnig und warm und ich hatte beschlossen, meinen Kopf freizupusten. Einige werden mich jetzt vielleicht seltsam ansehen, aber das kann ich tatsächlich am Besten beim Laufen. Der monotone Bewegungsablauf sorgt dafür, dass auch in meinen Gedanken eine gewisse Ruhe einkehrt. Am liebsten höre ich dabei übrigens Disney. Es ist faktisch unmöglich, in der Sonne laufen zu gehen, Disney-Lieder zu hören und danach immer noch schlechte Laune zu haben. Ungefähr bei der Hälfte traf ich einen Entschluss: Ich musste mein Ziel re-evaluieren. Die Hälfte meines Schreiburlaubs war bereits vorbei, die Hälfte meines Romans aber noch nicht geschrieben – und wenn ich nicht die nächsten zwei Tage mit dem Kopf über dem Laptop hängen wollte ohne nach rechts und links zu schauen, würde ich das auch nicht mehr aufholen. War das wirklich so schlimm? Was würde passieren, wenn ich mich zwinge? Stünde am Ende wirklich das bestmögliche Ergebnis für meine Geschichte, meine Figuren, meine Leser und mich? Wohl kaum.

Nach dem Lauf ging ich duschen, packte Freundin und Laptop ins Auto und fuhr an den Strand. Wir fanden ein schönes Café direkt am Wasser und sobald ich meinen Laptop aufgeklappt hatte, begann es wieder zu fließen. Ohne den Druck einer Seitenzahl im Hinterkopf entwickelten sich Figuren und Geschichte wie von alleine – und etwas Farbe im Gesicht bekam ich ganz nebenbei. An dem Abend gab ich meiner Freundin die ersten dreißig Seiten zu lesen, arbeitete ihr Feedback ein, besserte nach, diskutierte mögliche Plottwists und versank schließlich mit einem guten Gefühl in den Wellen des Whirlpools.

Tag 4

Da das Konzept am vorigen Tag so wunderbar aufgegangen war und das Wetter immer noch völlig ignorierte, dass wir uns mitten im Oktober befanden (23 Grad und Sonne), nutzten wir auch diesen Tag am Strand. Im Gegensatz zum Tag zuvor, war es in dem stylischen Standcafé allerdings so laut, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Tag 4 war der Samstag, viele Leute hatten frei oder waren über das Wochenende zum Strand gekommen und saßen schon gegen Mittag mit dem ersten Cocktail in der Sonne. Schön für sie, schlecht für mein Buch. Nach zwei Stunden gab ich auf, schlenderte mit meiner Freundin durch die Stadt und fuhr schließlich zurück zu unserem Ferienhaus, wo ich mich dann noch einmal zwei Stunden konzentriert an das Manuskript begab. Am Ende des Tages hatte ich 60 Seiten vorzuweisen.

Tag 5

Der letzte Tag und gleichzeitig Abreisetag. Ich nutzte meine morgendliche Kreativitätsphase, um noch ein wenig zu tippen, und tatsächlich schien mir in dem Moment die drohende Abreise einen letzten Schub zu geben. Als wir unsere Sachen schließlich ins Auto luden und die Heimreise antraten, hatte ich insgesamt 72 neue, glänzende und schimmernde Seiten auf meinem Laptop gespeichert von denen ich vor dem „Urlaub“ nur geträumt habe.

Fazit

Habe ich mein Ziel, einen Roman in fünf Tagen zu schreiben, erreicht? Nein. Da braucht man nichts schön zu reden. Dafür habe ich viel über mich und meine Art zu arbeiten gelernt: Beispielsweise, dass ich nicht länger als drei bis vier Stunden am Stück kreativ schreiben kann ohne das Gefühl zu haben, mich zu zwingen, und dementsprechend mein Text genau dieses Gefühl widerspiegelt. Die Formulierungen werden unreif, die Fehlerzahl höher und ich immer unzufriedener – und das nützt am Ende niemanden. Ich habe auch gelernt, dass ein Whirlpool etwas Wunderbares ist (das wusste ich eigentlich schon vorher, wenn wir ehrlich sind) und dass ich eine richtige Auszeit verbunden mit einem kleinen Urlaub nur jedem empfehlen kann, der sich mit der Schriftstellerei beschäftigt. Als ich nach den fünf Tagen wieder nach Hause kam, konnte ich in aller Seelenruhe meine Fenster putzen, Disney hören und dabei über die nächsten Kapitel nachdenken. 

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Zum Weiterlesen:


Über die Autorin
Lydia Schmölzl, geb. 1989, kommt gebürtig aus Werne, lebt aber seit 2013 in Köln – größtenteils wegen des reichen Angebots an Klamottengeschäften, Kölsch und interessanten Menschen. Wenn sie nicht gerade über neue Schuhe, Tattoos oder Romanideen nachgrübelt, arbeitet sie als freie Texterin und PR-Beraterin und versucht die Welt zu bereisen, ohne sich zu verlaufen. Lydias Herzensthema ist etwas für Herz: Im Bereich ChickLit, Romance und Young Adult fühlt sie sich wohl. Ihr Debütroman „Liebe(r) am Arsch der Welt“ erscheint im Juli 2018 im Ventura Verlag. Außerdem ist sie mit ihren lockeren Kurzgeschichte in Anthologien verschiedener Verlage vertreten. 
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