Wollen HorrorautorInnen Angst verbreiten?
Wie aber erzeugt man Angst?
Eine interessante Theorie – und wohl eines der Kernprobleme für HorrorautorInnen bei der Erzeugung von Angst – ist die von Stephen King über das Monster hinter der Tür: Meistens ist die Angst des Lesers vor dem Unbekannten größer als die Angst vor dem, was bspw. hinter einer Tür lauert, also vor etwas Konkretem. Lange kann man Leser mit dem Unbekannten fesseln, aber die Auflösung, die irgendwann kommen muss, ist ein Fallstrick für die Geschichte, da sie leicht mit Enttäuschung einhergeht. Was also tun, wenn man die Tür endlich öffnen muss, hinter der sich das mysteriöse Monster verbirgt? Die Tür auch nur einen Spalt breit zu öffnen, heißt für King, dass für den Leser das Ungewisse Gestalt annimmt und er das Gefühl bekommt, damit umgehen zu können. Die Angst wird konkreter und Bewältigungsstrategien können gefunden werden. King rät aber keinesfalls dazu, die Tür geschlossen zu lassen. Er selbst würde sie irgendwann aufreißen und seine Karten offen auf den Tisch legen. Als HorrorautorIn muss man so lange an seiner Geschichte feilen, bis der Leser vor dem offenbarten Monster ebensolche Angst verspürt wie vor der unbekannten Bedrohung. King schlägt vor, mit diesen verschlossenen Türen, mit der Angst vor dem Unbekannten, zu spielen und die Neugier des Lesers auszunutzen, ehe man zur Auflösung kommt.
Ein wichtiges Instrument zur Erzeugung von Angst ist also die Lesererwartung. Sie zu übertreffen kann zu besonders spannenden und gruseligen Lesemomenten führen. Mehr dazu beim Abschnitt „Twist“.
Es lohnt sich auf jeden Fall, neue Wege zu gehen. Durch Genremix, Konventionsbruch oder vielleicht sogar gänzliche neue Ideen erlebt der Leser eine neue Art von Horrorgeschichte, die es eher schafft ihn zu erschrecken als eine Geschichte nach einem altbekannten Schema. Ob Monster, Protagonist oder Setting – Einfallsreichtum lohnt sich.
Setting
Der Ort, an dem eine Gruselgeschichte spielt, ist prinzipiell frei wählbar. Ein Strand im Sonnenschein, ein Jahrmarkt oder ein Friedhof können gleichermaßen zum Schauplatz des Horrorromans werden, sofern sie zum Plot passen und dessen Voraussetzungen erfüllen.
Ungewöhnliche Orte bieten dem Leser Abwechslung von der Norm und erhöhen dadurch schnell das Lesevergnügen. Gerade positiv besetzte Orte können einen Kontrast zum Schrecken darstellen, den man mit dem Plot, der Atmosphäre und den Figuren trotzdem schaffen kann. Vielleicht ist gerade das ein Kinderzimmer, ein Ort der Geborgenheit, eine besonders gruselige Kulisse und der staubige, von Spinnennetzen verkleidete Keller lässt so manche Leser gähnen.
Im Sinne von Chekhov´s Gun sollte die Möglichkeit nicht ausgelassen werden, kleine Details im Setting einzustreuen, die später relevant werden. Kleinigkeiten können den Leser auf eine Fährte bringen oder dem Protagonist, vielleicht sogar dem Bösewicht, einen Vorteil verschaffen.
Plot
Atmosphäre
Wie aber schafft man Horroratmosphäre?
Vor allem durch die Sinneseindrücke der Figuren kann man einen Ort lebendig machen. Auch der sprachliche Stil spielt eine Rolle. Er sollte an die Zeit, das Figurenmilieu und das Geschehen angepasst und bildreich sein, wobei auf ausgediente Metaphern und langweilige Vergleiche verzichtet werden sollte. Es lohnt sich neue, atmosphärische Bilder zu finden. Eingestreute Gänsehautmomente und Details, die für einen späteren Twist dienlich sind, runden die Atmosphäre ab.
Auch und gerade bei Horrortexten gilt: Show, don´t tell.
Figuren in Horrorgeschichten
Die Antagonisten sind böser, durchtriebener, stärker und oft geheimnisvoller angelegt als in belletristischer Literatur. Auch der Bösewicht kann menschlich und für den Leser in seinem Tun nachvollziehbar dargestellt werden, je nach Geschichte sollte man jedoch entscheiden, ob man das überhaupt möchte.
In Horrorromanen fällt auf, dass es oft einige Nebenfiguren gibt, deren hauptsächliche Daseinsberechtigung darin besteht, im Verlauf der Geschichte umgebracht zu werden. Diese Figuren können dennoch mit speziellen Merkmalen und auch einer Funktion/Aufgabe versehen werden. Wenn der Leser sie zu mögen beginnt, wird ihm deren Tod nicht mehr egal sein.
Generell geht es darum menschliche, authentische Figuren zu erschaffen, mit denen der Leser mitleidet und um sie bangt, was man nicht dadurch erreicht, dass man dem Leser Haar- und Augenfarbe jeder einzelnen Figur nennt. Eigenarten und spezielle Merkmale in guter Dosierung erreichen mehr. Und wie wäre es einmal mit einem Antagonisten, bei dem der Leser mitfiebert, ob er seine bösen Pläne erreichen kann?
Monster-ABC
Vampire: Ein Vampir ist die Vermenschlichung von bösen Mächten. Für King, der als Prototyp des Vampirs Dracula nennt, fallen auch Zombies in diese Kategorie. Ein wichtiges Merkmal dieser Gruppe ist also der Kannibalismus, den der Vampir als veränderter Mensch durch das Bluttrinken ausübt.
Werwölfe: In Stevensons „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ kann man äußerlich das Monster in Mr. Hyde nicht erkennen, trotzdem bezeichnet King ihn als Werwolf, da der gute Dr. Jekyll sich in den Bösewicht verwandelt. Es geht also um das Böse im Menschen, das äußerlich nicht sichtbar sein muss, und dessen Verwandlung dahingehend. Schon ein Rollenwechsel genügt, um in diese Kategorie zu fallen, wie es in „Psycho“ der Fall ist, wenn Norman Bates in die Rolle seiner toten Mutter schlüpft.
Das Ding ohne Namen: Kings Beispiel hierfür ist Frankensteins Monster, aber auch außerirdische Wesen oder klassische Monster fallen unter diesen Begriff. Sie können unterschiedlichste Merkmale bezüglich Stärke, Intellekt, Anatomie und Fähigkeiten aufweisen, auf jeden Fall sind sie nicht oder nicht mehr menschlich.
Geister: Spukgeschichten müssen sich nicht auf die Heimsuchung durch einen Verstorbenen beschränken. Auch böse Häuser können in die Kategorie Geister fallen. Es geht um paranormale Geschehnisse, um übernatürlichen Kontakt, was Gefahren für den Protagonist birgt.
Spannungsbogen
Den Horrorroman kann man mit einem plötzlichen, oft blutigen Einstieg beginnen, um dem Leser anfangs schon zu zeigen, was auf ihn zukommt. Im Gegenteil ist es aber auch möglich, erst den Rahmen festzulegen und alles und jeden einzuführen, bevor dann der Knall stattfindet. Daraufhin wird der Spannungsbogen gespannt. Ein Spiel mit Nebenhandlungen und Rückblenden ist möglich, die den Hauptplot unterbricht und/oder erweitert. Nach immer spannender werdender Handlung, kann der Horrorautor am Schluss dem Leser ein Happyend komplett oder teilweise versagen, was in anderen Genres wie dem Liebesroman oft auf deutliche Ablehnung stößt. Auch damit, wie vollständig die Auflösung für den Leser gestaltet wird, kann experimentiert werden.
Generell spielt man mit dem Leser, indem man Fragen in die Geschichte streut, die er sich stellen wird, die aber erst zu einem späteren Zeitpunkt im Handlungsverlauf beantwortet werden. Bei deren Beantwortung werden wiederum noch größere/dringendere Fragen offensichtlich. Dabei zu beachten gilt, welches Wissen der Leser bereits hat, bzw. was er vermutet und wie dringend sein Bedarf ist, die Fragen endgültig beantwortet zu bekommen.
Twists
Twists sind das Salz in der Horrorsuppe. Besonderen Wert sollte man dabei auf Nachvollziehbarkeit legen. Der Leser erwartet aufgrund der ihm bekannten Details einen bestimmten Ablauf bezüglich Geschichte und der Handlungen der Figuren. Ein Twist besteht daraus, diese Erwartungen absichtlich zu enttäuschen und mit einer unerwarteten, möglichst genialen Wende zu übertreffen, die gleichzeitig schlüssig ist. Eine Wendung, die dem Leser im Nachhinein nicht nachvollziehbar erscheint, die nicht beim erneuten Lesen des vorherigen Textes standhält, kann schlimmstenfalls zu Ablehnung gegenüber der gesamten Geschichte führen.
Twists können unter anderem stattfinden bezüglich der Handlung, des Charakters einer Figur, durch einen unreliable narrator (also durch einen Erzähler, der die Wahrheit selbst nicht kennt oder absichtlich lügt) oder durch das Spiel mit den zeitlichen Ebenen der Handlung. Außerdem kann zwischen einem plötzlichen Twist und einem sich langsam aufbauenden Twist unterschieden werden, wobei bei Letzterem die Skepsis des Lesers bis zur Enthüllung gesteigert wird.
Der sprachliche Stil
Wie jede Geschichte, gewinnt auch ein Horrorroman, wenn der Autor es versteht mit Rhythmus und Sprachmelodie umzugehen. Zu den Spannungshöhepunkten hin wird meist ein Stil verwendet, bei dem die Sätze und Wörter kürzer werden. Beim Leser tritt dadurch eine ähnliche Atemlosigkeit auf, wie sie die Figuren in der jeweiligen Szene erleben. Dabei treten Bilder und das sogenannte Kopfkino vor der Erzählung selbst in den Vordergrund.
Wenn der spannendste Punkt überschritten ist, werden auch die Sätze wieder etwas länger und abwechslungsreicher, vielleicht sogar poetischer, damit der Leser durchatmen kann.
Auch hier gelten die üblichen Richtlinien, an die man sich halten, die man bei Bedarf aber auch (gekonnt) brechen darf. Starke Verben zu benutzen, möglichst aktiv statt passiv zu schreiben und eine dem Leser verständliche Sprache einzusetzen, sind nur wenige dieser Grundregeln.
Ekeleffekte
Ein Horrorroman besteht nicht nur aus der psychologischen Spannung, was geschehen mag oder welcher Schrecken als nächstes auf die Figur und auf einen selbst als Leser zukommt. Neben der Angst ist ein Element, das durchaus zum Horror gehört, der Ekel. Ekeleffekte wie Blut, Gedärme, Verstümmelung oder vermeintlich ekelerregende Tiere (mit entsprechenden Tätigkeiten) nutzen sich allerdings beim Leser schnell ab, wodurch der Autor hilflos in seinem Schreiben wirken kann, als sei etwas Blut sein letztes Mittel, um das Grauen seiner Leser zu wecken. In einem gewissen Maß gehören Ekeleffekte allerdings dazu, die Leser akzeptieren oder mögen eine Portion davon, sofern auch der psychologische Horror nicht zu kurz kommt.
Insgesamt ist eine Horrorgeschichte immer eine Mischung, unterschiedlichster Faktoren. Und genau das ist es, was ich an diesem Genre liebe: Nichts ist vorgezeichnet, sondern es erwartet den Leser in jeder Geschichte stets eine andere Art Horrortrip und die Möglichkeiten seitens der Autoren sind schier unendlich.
Quellen:
Stephen King »Danse Macabre« (engl. Ausgabe, 2010)
Tanja Hanika »Arbeitsbuch für Schriftsteller«
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Zum Weiterlesen:
- Writing Excuses - Master Class #03: Lovecraftian Horror
- Ein Interview mit Tanja Hanika über gruselige Literatur
- Gastartikel: Sex in Horrorgeschichten
Tanja Hanika ist Autorin von Horror- und Schauerromanen und Verfasserin vom »Arbeitsbuch für Schriftsteller«. Geboren wurde sie 1988 in Speyer, studierte in Trier Germanistik und zog anschließend in die schaurig-schöne Eifel, wo sie mit Mann, Sohn und Katze lebt. Seit sie mit acht Jahren eine »Dracula«-Ausgabe für Kinder in die Hände bekam, schreibt sie Gruselgeschichten.
Foto: D. Pfingstmann |
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