Mittwoch, 27. Juni 2018

Wenn die Leidenschaft zum Stress wird – Schreiben im Überlebensmodus

Während ich hier sitze und diese Zeilen schreibe, denke ich, dass mich das ja eigentlich schon wieder viel zu sehr stresst und ich mir lieber eine Pause gönnen sollte. Aber zugleich ist das Thema dieses Artikels zu wichtig, weil es jeden von uns treffen kann.

Zunächst einmal: Schreiben ist wichtig und macht Spaß. Wir schreiben, um dem Alltag zu entfliehen, Probleme zu bewältigen, Erlebnisse aufzuarbeiten und weil die Ideen in unserem Kopf danach verlangen, rausgelassen zu werden. Wir schreiben, um uns mitzuteilen, damit die Welt einen Anteil an den Geschichten in uns hat. 




Doch Schreiben kann auch ungesunde Ausmaße annehmen. Es kann zu einer Obsession werden, zu einer Fixierung, zu einem Zwang, aus dem man nicht mehr ausbrechen kann. Gerade wer mehrere Projekte hat, kennt das vielleicht: Während man an dem einen schreibt, hat man schon unzählige Ideen für das nächste. Ein weiteres Projekt befindet sich in der Überarbeitung und will abgeschlossen werden, damit man es zu den Testlesern schicken kann. Man muss Prioritäten und Deadlines setzen, um alles bewältigen zu können. Meine Kollegin Mel hat zu der Problematik mehrerer Projekte vor einer Weile diesen tollen Artikel geschrieben.

Aber jedes noch so gute Zeitmanagement und jede noch so eiserne Disziplin helfen uns nicht weiter, wenn wir sie, ohne es zu bemerken, zu einem selbstzerstörerischen Extrem treiben. Angesichts des uns angeborenen Streben nach Perfektionismus und dem Balanceakt zwischen Brotjob, Studium, Familie, Vernetzung mit Kollegen und der eigentlichen Berufung (dem Schreiben) kann das übel nach hinten losgehen.

Seit ich vor einigen Jahren die Schreibcamps rund um den NaNoWriMo entdeckt habe, war mein Schreibjahr straff durchorganisiert: Der Juli und die angrenzenden Monate gehörten dem Nebenprojekt, der Herbst dem großen Hauptprojekt (beides mehrteilige Reihen). Im Winter und Frühjahr wurde das Hauptprojekt überarbeitet, unterbrochen vom Camp-NaNoWriMo im April, in dem ich das Projekt aus dem vergangenen Sommer überarbeitet habe. Und im Sommer ging der ganze Kreislauf erneut los.

Um diese Schreibcamps herum habe ich alles andere organisiert. Ich hatte einen sehr genauen Plan, wann ich mit welchem Projekt wie weit sein musste, um zur gegebenen Zeit Luft für das nächste zu haben. Um in dieser Zeit nicht von anderen Störfaktoren aus dem Konzept gebracht zu werden, habe ich zu schreibende Artikel für meinen Blog und das Schreibmeer und die in jener Zeit online gehenden Kapitel meiner laufenden Stories mehrere Wochen im Voraus fertiggestellt. Dasselbe galt für Urlaubszeiten, in denen ich ungestört an meinen Projekten arbeiten wollte: Alles, was ich vorab erledigen konnte, habe ich vorab erledigt. Auch wenn das bedeutete, dass ich mehrere Tage lang morgens um vier aufstehen musste. Zähne zusammenbeißen, durchhalten, fleißig sein und hinterher habe ich Zeit für das, was wirklich wichtig ist.

Eine ganze Weile hat das wunderbar funktioniert. Zumindest dachte ich das. Mir war nicht einmal bewusst, dass meine Nächte irgendwann immer zu kurz waren. Dass andere Menschen und Aktivitäten, an denen ich Freude fand, zu Nebensächlichkeiten – ja schon fast Störfaktoren wurden. Es gab einfach immer zu tun. Und bevor die Arbeit nicht erledigt war, konnte ich nicht entspannen und mich auf die schönen Dinge des Lebens einlassen. Dabei sind es doch genau diese, von denen wir unsere kreative Energie schöpfen.

Ich war, ohne es zu wissen, gefangen in einem Teufelskreis. Der Körper geht in eine Art Überlebensmodus, der dafür sorgt, dass wir funktionieren. Aber in diesem Zustand übersehen wir die Warnzeichen, die er uns sendet: Fixierung, Gereiztheit wenn etwas nicht nach Plan verläuft, Unkonzentriertheit, Unruhe, Verspannungen. Je länger dieser Zustand andauert, desto ungesünder wird das. Mit der Zeit wird man anfälliger für gesundheitliche Probleme. Bei den einen geht es schneller, bei den anderen braucht es länger.

Bei mir hat es ganze zwei Jahre gedauert, bis mein Körper anfing, sich aktiv gegen meinen ungesunden Lebensstil zu wehren. Ich stand so unter Strom, getrieben von meinem eigenen Perfektionismus, dass ich die mentale und körperliche Erschöpfung erst nach der vierten Virusinfektion innerhalb eines halben Jahres wahrgenommen habe. Dabei wären ein bisschen weniger Perfektionismus und ein bisschen mehr Schlaf mehr gewesen. Das Autorenhirn treiben die absurdesten Dinge um. Ich war getrieben von der Angst, Leser zu verlieren, und dem Bestreben, dass meine Schreibe eines Tages gut genug ist, um Geld mit „richtigen“ Büchern zu verdienen. Ich hatte zwei Vollzeitjobs: das Schreiben und meinen Brotjob. Mir fiel nicht einmal auf, dass ich beide nur noch ungenügend erledigen konnte. Ich war so gefangen in dieser Mühle, dass mich auch erste gesundheitliche Probleme nicht aufhalten konnten. Dann lag ich eben mit Grippe auf dem Sofa und habe einfache Überarbeitungsaufgaben erledigt, solange mein Kopf mitmachte. Denn in ein paar Wochen wartete schon die nächste Deadline.

Dabei ist es doch eigentlich logisch: Stress und Schlafmangel sind die größten Feinde der Kreativität. Rational weiß ich das. Es anzunehmen, ist eine andere Sache. Ich erinnerte mich an Zeiten, in denen ich morgens beim Joggen ganze Handlungsstränge zusammenspann. Ich erinnerte mich an Zeiten, in denen ich im Büro über einem IT-Problem brütete und aus dem Nichts eine Idee für mein aktuelles Projekt kam. Was war der Unterschied zu jetzt? Der Druck war geringer. Ich war entspannter. Ich habe nicht von einer Deadline zur anderen gelebt.

Immer wieder heißt es, man muss täglich schreiben, sonst wäre man kein richtiger Autor. Ich persönlich halte das für Quatsch, da es manchmal einfach nicht möglich ist und der Kopf Pausen zur Regeneration braucht. Das Leben besteht nicht nur aus Schreiben. Und auch wenn ich nicht auf altkluge Schreibweisheiten gehört habe, so habe ich doch zumindest selbst das Bestreben, täglich an meinen Projekten in irgendeiner Weise zu arbeiten. Als würde ein Urlaub vom Schreiben uns Zeit kosten.

Ich denke, ich spreche nicht nur für mich, wenn ich sage: Wir machen uns selbst den größten Druck. Wir denken, wir verlieren Zeit, wenn wir uns einmal nicht mit unseren Schreibprojekten beschäftigen. Als würde uns alles davonlaufen, wenn wir nicht fleißiger sind. Als würde unser Leben davon abhängen, ob das Buch diesen oder nächsten Monat rauskommt. Ohne, dass wir es bemerken, haben die kleinen grauen Herren uns im Griff. Denn wir verlieren die meiste Zeit, wenn wir weiter machen, obwohl Körper und Geist schon lange aufbegehren.

Die Zeit läuft uns nicht davon, weil wir denken, dass es auf einen Monat ankommen würde. Die Zeit läuft uns davon, weil wir es durch unser Verhalten zulassen. Weil wir durch den Stress, den wir uns selbst machen, verlernen im Augenblick zu leben.

Ich mache mir jetzt weniger Stress. Mein Social Media Leben ist auf das Nötigste reduziert, die Deadlines für meine Projekte sind weiter und flexibler. Wenn die Zeit bis zu einem Schreibcamp nicht ausreicht, um ein Projekt vorher abzuschließen, mache ich einfach mit dem weiter, an dem ich gerade arbeite. Wenn ein Projekt länger braucht, bevor es an die Testleser geht, dann ist das okay.

Es ist wichtig, sich selbst Grenzen und Prioritäten zu setzen. In unserem digitalen Zeitalter, das unsere Leben durch Dinge wie Social Media beschleunigt, sogar mehr denn je. Allerdings sollten diese flexibel sein. Es ist kein Weltuntergang, wenn ein Projekt länger dauert. Im Gegenteil.



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Zum Weiterlesen:






Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.






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