Samstag, 2. Juni 2018

Dilemma Testleser: Wie sag ich dem Autor, dass ich seine Geschichte nicht mag?

Im Entstehungsprozess eines Buches – von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung – sind Testleser unumgänglich. Sie zeigen dem betriebsblinden Autor auf, wo die Schwächen und Stärken seiner Geschichte liegen und geben Feedback zu ihren Leseeindrücken. So weit, so theoretisch. Die Wahrheit ist, dass nicht jeder Mensch als Testleser geeignet ist und – noch weitaus wichtiger – dass nicht jeder Roman jedem Testleser entspricht, genauso wenig, wie jedes Buch jedem Menschen gefallen kann. Denn: Geschmack ist bekanntlich subjektiv. Auch wenn ich persönlich der Meinung bin, dass dies die Welt bunt und abwechslungsreich macht, ist es mir schon öfters passiert, dass ich genau deswegen in einen Gewissenskonflikt geraten bin, als ich mich als Testleserin für andere Autoren zur Verfügung gestellt habe. 



An dieser Stelle muss ich sagen, dass ich extrem perfektionistisch veranlagt bin und ich – vor allem mit mir selbst – sehr streng sein kann. Wenn ich für jemanden testlese, dann bin ich stets ehrlich. Ich bin davon überzeugt, dass nur jene Ehrlichkeit eine Geschichte zur besten Version ihrer selbst machen kann und ich bin sicher, dass mir da viele zustimmen würden. Außerdem lese ich grundsätzlich nur Geschichten gegen, die mich auch interessieren. Wie soll man schließlich hilfreiches Feedback bieten können, wenn man das Genre nicht mag?

Trotzdem passiert es manchmal, dass ich einen Roman testlese und mich irgendwann regelrecht zum Weiterlesen zwingen muss, weil mich die Handlung einfach nicht mitreißt. Genau dort beginnt auch mein Dilemma: Wie kann ich dem Autor beibringen, dass ich abbrechen möchte, ohne ihm das Gefühl zu geben, seine Geschichte sei schlecht? Wie kann ich trotzdem konstruktives Feedback geben, wenn ich den Roman nicht mochte?

 

Das «wie» ist entscheidend

Ich beobachte in den größeren Sozialen Netzwerken oft, wie Nutzer aneinandergeraten, weil sie sich schlichtweg missverstehen. Sie schaffen es bei Meinungsverschiedenheiten nicht, konstruktiv miteinander zu diskutieren und fühlen sich oftmals persönlich angegriffen, wenn das Gegenüber nicht bei allem zustimmt.

Mal abgesehen davon, dass die Diskussionskultur im Internet einen eigenen Beitrag wert wäre, sehe ich die Ursache dieser Eskalationen vor allem in misslungener Kommunikation. Im Gegensatz zum realen Leben haben wir im Netz keine Möglichkeit, Nuancen in unsere Aussagen einzubauen: Gestik, Mimik und Tonfall fallen völlig weg und auch Emojis können unter Umständen falsch interpretiert werden.

Neben der richtigen Wortwahl sollte man also bei einem negativen Testleserfeedback darauf achten, (sofern möglich) mit dem Autor persönlich zu sprechen. So können Missverständnisse verhindert und Fragen direkt geklärt werden. Zudem empfiehlt es sich, anzumerken, dass die Eindrücke, die man beim Lesen hatte, rein subjektiver Natur sind und lediglich die eigene Meinung darstellen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist in meinen Augen, dass man sich nicht zu sehr aufs Negative fokussieren sollte. Gerade, wenn man die Geschichte abgebrochen hat, gibt es vermutlich einige Dinge, die nicht gestimmt haben. Natürlich ist es wichtig, diese mitzuteilen, aber man sollte nie vergessen, auch die guten Punkte zu erwähnen (denn die gibt es immer!). So hinterlässt man beim Autor nicht den Eindruck, er habe alles falsch gemacht und zeigt ihm stattdessen realistisch seine Stärken und Schwächen auf.

Zu guter Letzt ist natürlich auch die Formulierung das A und O, um ein Feedback zu geben, durch das sich niemand angegriffen fühlt. Wichtig ist es, alle seine Aussagen gut und vor allem nachvollziehbar zu begründen, damit der Autor von ihnen profitieren kann. Also nicht: «Ich finde diese Figur total unglaubwürdig», sondern «Ich finde diese Figur unglaubwürdig, weil…». Darüber hinaus – und das sollte eigentlich selbsterklärend sein – spielt auch die Wortwahl eine große Rolle. Eine «lahme Handlung» ist dasselbe wie «eine Handlung, die nur langsam ins Rollen kommt», aber dennoch können die beiden Formulierungen ganz anders empfunden werden.

Im Endeffekt sind Empathie und die Fähigkeit, seine Meinung begründen können, der Schlüssel zum Erfolg. Eine solche Situation ist weder für den Autor, noch für den Testleser angenehm. Genau deshalb ist eine gute Kommunikation so wichtig, damit beide Seiten mit einem positiven Gefühl aus dieser Erfahrung herausgehen können.

Fazit: Manchmal ist es unumgänglich, unangenehme Nachrichten zu überbringen. Dennoch – oder vielleicht genau deshalb – ist es umso wichtiger, diese so zu verpacken, dass das Gegenüber sie nachvollziehen kann und sich nicht angegriffen fühlt. Aufeinander eingehen und einander zuhören sind in diesem Fall die wichtigsten Elemente für eine gelungene Kommunikation.

Habt ihr euch auch schon mal in einer ähnlichen Situation wiedergefunden? Wie seid ihr damit umgegangen? 


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Zum Weiterlesen:
 


Evelyne Aschwanden wurde bereits als Kind vom Schreibvirus erfasst und erschafft seitdem fantastische und teils verrückten Welten auf Papier. Als Meisterin der Prokrastination und hoffnungslose Träumerin zwitschert sie unter @EvelyneC_A über die Höhen und Tiefen des Autorenlebens.






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