Dienstag, 1. Dezember 2015

Kolumne: Wir müssen über Politik reden!

Eigentlich will man sich ja in der schönen und besinnlichen Vorweihnachtszeit nicht mit so einem unangenehmen Thema wie Politik beschäftigen. Schon gar nicht, wenn man Autor ist und keine potenziellen Leser und Käufer vergraulen will.



Das Problem ist nur, dass die Welt weder auf irgendwelche Feiertage noch auf Verkaufsabsichten Rücksicht nimmt. Und so passiert es eben, dass einem irgendwann die Realität, sprich die Politik, einholt. Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen: Die Politik ist und bestimmt unser Umfeld. Dass wir davon in Mitteleuropa nicht so viel mitbekommen, liegt an zwei Dingen:
Erstens haben wir ein relativ liberales Gesellschafts- und Rechtssystem. Dieses hat sich erst durch die Erfahrungen zweier Weltkriege und gesellschaftspolitische Umstürze in den letzten fünfzig Jahren herausgebildet, die auch Todesopfer gefordert haben. Viele sehen diese liberalen und sozialen Werte als selbstverständlich an und meinen, dass es die Ausnahme ist, wenn die Verhältnisse nicht so wie bei uns sind. Das Gegenteil ist aber der Fall, wir leben in einer Art Seifenblase, die zu platzen droht.
Zweitens funktionieren politische Entscheidungen, zumindest in den meisten deutschsprachigen Ländern, ohne direkte Verantwortung und Mitwirkung des Volkes. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, fordert aber die Politikverdrossenheit, nach dem Motto »Die da oben machen ja sowieso was sie wollen!«, ja das tun sie vielleicht, aber auch nur, weil sie gelassen werden. Wenn eben gerade einmal die Hälfte der Wahlberechtigten wählen geht, darf man sich nicht wundern, wenn Abgeordnete gewählt werden, die eben nicht den breiten Volkswillen ausführen.

Und an dieser Stelle kommen wir Autoren und generell natürlich alle Künstler ins Spiel. Seitdem es so etwas wie menschliche Kultur gibt, sind Künstler ein moralischer Kompass für die Gesellschaft. Und auch wenn Künstler vielleicht gar nicht als politisch verstanden werden wollen, so werden sie doch eigentlich zwangsweise von ihrer Umwelt so eingeordnet. Nun haben wir den oben beschriebenen Luxus, dass Künstler hier zurzeit relativ frei arbeiten können und wir eigentlich keine größeren politischen Probleme hatten. Aber jetzt bekommen wir eben doch Probleme bzw. die politische Wirklichkeit holt uns ein. Flüchtlinge kommen nach Europa, weil die westlichen Industrienationen jahrzehntelang deren Heimat so runtergewirtschaftet haben, dass den Menschen dort jegliche Existenzgrundlage fehlt. Und auch dies ist eine Schuld der Künstler der letzten Jahrzehnte, die zu diesen Themen geschwiegen und mitgeholfen haben, die Bevölkerung in eine Art medialen, bürgerlichen Ruheschlaf zu wiegen.

Es wirkt dabei nahezu grotesk, dass wir in einer Zeit leben, in der sich große Umbrüche für uns abzeichnen, dass viele Verlage und Autoren, die diese Freiheit eigentlich verteidigen wollen und müssten, gar nichts dazu sagen und auch in ihren Werken darauf nicht eingehen. Jedoch tun dies die rechten und konservativen Künstler wie Akif Pirincci und Xavier Naidoo, die eben unsere liberale und soziale Gesellschaft beseitigen wollen, umso mehr. Es ist daher kein Wunder, wenn sich Vereinigungen wie PEGIDA als Sprachrohr einer stummen Masse sehen, wenn ihre prominenten Parteigänger viel mehr und offener ihre Ansicht teilen als die Gegenseite. Besonders Schriftsteller scheinen sich schwer zu tun, den rechten geistigen Brandstiftern entgegenzutreten. Es ist zwar echt gut und löblich, wenn z.B. ein Markus Heitz so ein gutes und wichtiges Werk wie »Kommando Flächenbrand« veröffentlicht, aber es müssten mehr sein und werden. Denn vielleicht bedrohen heute noch Flüchtlinge angeblich unsere Kultur, aber gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, fordert z.B. ein Höcke von der AfD, dass die deutsche Gesellschaft und Kultur »männlicher werden müsse«. Und dann sollte sich z.B. eine Kerstin Gier und ihr Verlag mal fragen, ob ein Buch wie »Müttermafia« noch in so einer Gesellschaft Platz hätte.

»Ist das jetzt nur hysterisches Geschwurbel eines radikalen Antifaschisten?«, fragt ihr euch vielleicht. Nein, das ist es nicht. Gerade aktuell steht die AfD des zuvor erwähnten Höcke bundesweit bei 10% der Wählerstimmen und ist somit drittstärkste politische Kraft in Deutschland. An dieser Stelle sollten sich viele Autoren und Verlage fragen, ob sie nicht doch lieber unsere jetzige Gesellschaft und Werte verteidigen wollen, oder vielleicht lieber in ein paar Jahren jede Veröffentlichung vor einem Gremium vorlegen wollen, dass entscheidet, ob ein Werk »dem gesunden Volksempfinden« zu Gute kommt oder ob es »die gesunde Entwicklung der Jugend« gefährdet. Und ja, Verlage und Autoren können sehr viel tun, denn eure Fans orientieren sich an euch. Ihr könnt die Unentschlossenen motivieren und die Entschlossenen zum Zweifeln bringen.

Ob wir es wollen oder nicht: Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Auswirkungen der globalen Krisen, die wir und besonders unsere Eltern- und Großelterngeneration zu verantworten haben, erreichen uns. Aber es liegt an uns, mitzubestimmen, wie wir mit diesen Auswirkungen umgehen, und in was für einer Gesellschaft wir leben wollen.

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