Samstag, 17. Oktober 2015

„Dann fick dich doch selber!“ - Selbstbefriedung als Charakterisierungsmittel

Wenn es ein Thema gibt, das für jeden noch alltäglicher ist und über das die meisten Autoren noch weniger gern schreiben als Sex, dann ist das Selbstbefriedigung. Das liegt wohl besonders daran, dass viele Autoren denken, dass sie zu viel über sich selbst und ihre Vorlieben preisgeben würden – oder es ist ihnen einfach unangenehm, weil es gesellschaftlich verpönt ist. Viele halten es auch für unwichtig, ähnlich einer Beschreibung des Stuhlgangs, weil es eben so alltäglich ist oder es keine für die Geschichte relevanten Erkenntnisse mit sich bringt. Es könnte auch die Angst mitschwingen, dass es ein billiges Mittel ist, um das Buch zu vermarkten, nach dem Motto „Sex sells“.


Gehen wir die Argumente einzeln durch. Wenn wirklich davon ausgegangen werden würde, dass die Autoren zu viel mit ihren Werken über sich selbst aussagen würden, dann hätten viele Horror- und Thrillerautoren ein ziemlich starkes gesellschaftliches Problem. Das mit dem gesellschaftlichen Ruf ist eine Sache, die jeder mit sich selbst ausmachen muss, aber wer sich über Selbstbefriedigung aufregt, gibt auch viel von sich selbst preis. Was das Vermarktungsmittel angeht: Es ist eine Frage, wie und wo man es darstellt. Auch auf den ersten Seiten kann es als Werbemittel legitim sein, wenn es zu der Geschichte passt. Wenn ihr irgendwo mitten im Buch die Masturbationsszene unterbringt, ist dieser Vorwurf sowieso hinlänglich. Bleibt noch der letzte Punkt: „Es ist unwichtig für die Handlung.“ Dass das nicht so ist, soll in Folgendem gezeigt werden.

Masturbationsszenen finden sich besonders häufig – wer hätte es gedacht? - in Erotikromanen, und interessanterweise auch in Horrorliteratur. Die Funktion der Selbstbefriedigung ist aber in beiden Genres dieselbe: Charakterisierung. Dabei sind zwei Dinge wichtig:

  • Wie befriedigt sich die Person selbst. 
  • An wen oder was denkt sie dabei. 
Diese beiden Informationen geben uns ein tieferes Verständnis eines Charakters. Es ist ein Unterschied, ob jemand Hilfsmittel – wenn ja: welche? - benutzt oder reine Handarbeit vorzieht. Eine unerfahrene Frau, wird wohl keine Monsterdildos benutzen. Ist es ein reinlicher Mann, dann wird er in ein Taschentuch ejakulieren. Wenn nicht, dann könnte er es einfach laufen und eintrocknen lassen. Ist der Charakter ein Draufgänger, dann wird er sich auch mal gern in der Öffentlichkeit bzw. an einem Ort, an dem er erwischt werden könnte, es sich selbst besorgen. In der Erotikliteratur gibt es zum Beispiel die anfangs noch verschüchterte und verklemmte (junge) Frau, die ihren Traummann trifft und sich danach unbeholfen und vorsichtig selbst Abhilfe beschafft. In der Horrorliteratur nimmt dann die durchgeknallte Serienmörderin auch gerne abgetrennte Körperteile zu diesem Zweck.
Bei den Vorstellungen des Masturbationsprotagonisten ist es ähnlich. Kann die Person nur an eine andere dabei denken, selbst Pornos werden langweilig? Oder träumt sie eigentlich von einer wilden Orgie oder einer anderen Person dabei, obwohl die Person sich in einer glücklichen Beziehung wähnt? Diese Informationen geben dem Leser Hinweise auf die verstecken Wünsche und inneren Konflikte der Charaktere. Interessant ist dann für den Leser, wie der Charakter die Masturbation im Nachhinein bewertet. Ekelt er sich? Ist sie überrascht? Oder dreht er sich einfach um und schläft ein?

Die meisten Leser werden sich jetzt fragen: „Schön und gut, aber wir sind keine Horror- oder Erotikautoren!“ „Umso besser!“, sage ich. Der Täter in einem Krimi oder Thriller kann seit seiner Tat nicht mehr masturbieren, weil er ständig das Opfer vor seinem inneren Auge sieht, wenn er sich entspannt und die Augen schließen will? - Dann ist er wohl eindeutig von Reue getrieben. Träumt sie sonst brave Ermittlerin bei der Selbstbefriedigung eigentlich von hartem Gang Bang? Dann steckt wohl doch mehr in ihr, wie der Leser vermuten wird.
Der edle Prinz liebt und bewundert die Prinzessin, die vom bösen Drachen entführt wurde und die er unbedingt befreien will. Aber wenn er sich nachts allein in den Betten der Gasthäuser vergnügt, in denen er auf dem Weg zum Drachenhort nächtigt, denkt er an den starken Krieger, der ihn auf seiner Queste begleitet. Liebt er die Prinzessin eher als Schwester oder auf eine rein romantische Weise oder ist der Krieger ihm zurzeit einfach nur näher?
Ich sehe durchaus ein, dass dieses Mittel im Bereich der Jugendliteratur schwierig ist. Ich halte es aber dennoch für legitim, weil Sexualität in dieser Lebensphase eine sehr wichtige, wenn nicht gar die wichtigste Rolle spielt. Man könnte hier jetzt wieder die Pädophilie-Keule schwingen, aber in diversen Teeniefilmen- und Komödien werden auch Sex- und Masturbationsszenen von minderjährigen Figuren gezeigt oder angedeutet, auch wenn die Schauspieler meistens volljährig sind.

Ich denke, die Stoßrichtung, wenn ich mir dieses kleine Wortspiel erlauben darf, ist deutlich geworden. Ich gebe zu, dass es ein Stilmittel ist, dass auch nicht überstrapaziert werden sollte. Also maximal zwei Masturbationsszenen pro Roman sollte es geben, nicht mehr, es sei denn, es handelt sich natürlich um einen Erotik- oder Horrorroman.

Vielleicht konnte ich euch einen kleinen Anreiz geben, der Charakterisierung über Masturbation eine Chance in eurem nächsten Projekt zu geben.

Aufgabe: Schreibt eine Masturbationsszene.

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