Samstag, 11. November 2017

Wenn das Leben Dir Zitronen gibt – mach Limonade daraus

„Alles Schlechte hat auch sein Gutes.“ So sagt man zumindest. Als krisenerfahrenes Stehaufmännchen bzw. -frauchen kenne ich viele solcher Weisheiten. Man bekommt sie – gefragt oder ungefragt – von Freunden oder Verwandten um die Ohren, wenn man ihnen verzweifelt sein Leid klagt und einfach nur Mitgefühl anstatt „kluger Ratschläge“ möchte.

Doch der Kern dieser Weisheiten ist wirklich wahr – eine Krise kann eine Chance sein – manchmal muss man sich nur überraschen lassen …




Meine aktuelle Krise ist bedingt durch chronische Unzufriedenheit im Job. Details zu geistiger Unterforderung und fehlender Wertschätzung spare ich mir an dieser Stelle.
Ein Ratgeber, ein Buch, sollte mir den Weg durch den Sinnkrisen-Dschungel weisen, mir die Augen für meine wahre Berufung öffnen.

So brach ich auf und begann diese Reise in der Hoffnung, meinen Traumberuf zu finden. Ich startete bei meiner Ausbildung, dachte über Fähigkeiten und Talente nach. Man fragte mich, wofür ich mich begeistern kann und wie ein perfekter Tag für mich aussehen würde. Schließlich ließ mich ein Kapitel zurückblicken auf meine Kindheit. Was habe ich als Kind gerne getan? Was habe ich gespielt, womit habe ich mich beschäftigt? Was würde mein 8-jähriges Ich sagen, wenn es mich heute sehen würde?

Es würde wohl in Tränen ausbrechen oder einen Tobsuchtsanfall bekommen. Mein 8-jähriges Ich war zur Hälfte Draufgängerin und zur Hälfte Träumerin. Die Draufgängerin, die auf Bäume und Hausdächer geklettert ist, halsbrecherische Stunts mit Fahrrad oder Inline-skates hingelegt hat und immer mit den Jungs mithalten wollte, tobt sich heute sportlich auf dem Mountainbike oder in der Kletterhalle aus. Aber die kleine Träumerin blieb auf der Strecke. Die Künstlerin. Die Kreative. Die Malerin. Die Geschichtenschreiberin. Ich konnte träumen und ich konnte schreiben. Meine lebhafte Fantasie und mein bunter Wortschatz ließen damals meine Grundschullehrerinnen staunen.

Doch dann nahm das Leben seinen Lauf und die humanistische Bildung mir meine Kreativität. Anstatt Erlebniserzählungen zu schreiben, musste ich plötzlich nur noch Sachtexte analysieren oder Geschriebenes anderer interpretieren. Meine letzte Geschichte habe ich im Alter von 15 verfasst - Eine Liebesgeschichte ohne happy end.

Meine Leidenschaft für Geschichten und das Schreiben habe ich aus den Augen verloren, wie einen Freund aus Kindertagen.

Doch jetzt, vor ein paar Wochen, da hat dieser verloren geglaubte Freund wieder an meine Tür geklopft. Ein unerwarteter Besuch. Erwartet habe ich jemand anderen, erwartet habe ich meinen Traumjob. Aber wie gesagt, manchmal muss man sich überraschen lassen.

Nun saß ich also da, mit meinem Sandkastenfreund, dem Schreiben. Zunächst haben wir beide etwas gefremdelt. Kein Wunder, hatten wir uns doch 20 Jahre lang nicht mehr gesehen. Stück für Stück haben wir uns wieder angenähert, sind wieder in Kontakt getreten und haben uns wieder kennengelernt. Wir haben uns gegenseitig gefragt „wer bist du heute?“, „was machst du so?“, „haben wir noch Gemeinsamkeiten?“, „macht es Sinn, unsere Freundschaft wieder neu zu beleben?“ Vor allem ich hatte meine Zweifel. Kann ich mich darauf noch einlassen? Habe ich überhaupt Zeit für diesen neuen, alten Freund? Wird er mein Leben bereichern können, so wie einst? Mein alter Freund, das Schreiben, war da weniger skeptisch. “Lass es uns versuchen“, hat er mir verführerisch ins Ohr geflüstert, „wenn es nicht funktioniert, gehe ich einfach wieder. Du hast nichts zu verlieren.“ 

Manchmal muss man sich überraschen und zu etwas hinreißen lassen. Mein Jugendfreund ist nun wieder Bestandteil meines Lebens. Wir fühlen uns sehr wohl miteinander, wir sehen uns fast täglich. Das Schreiben bereichert mich heute wie damals.

Jeder von uns hat einen alten Freund aus Kindertagen, den er aus den Augen verloren hat. Sei es das Schreiben, Malen, Tanzen, Musizieren oder was auch immer. Es lohnt sich, einmal zurück zu schauen – auch wenn man gerade nicht in einer Krise steckt. Es kann sehr bereichernd sein, wieder Kontakt zu solchen Sandkasten- und Jugendfreunden aufzunehmen.

An meiner beruflichen Situation hat sich noch nichts geändert, doch sie hat meine Leidenschaft aus Kindertagen zurück in mein Leben gebracht. „Alles Schlechte hat auch sein Gutes.“ Meine Kreativität und mein Schöpfergeist wurden neu beflügelt. Jetzt entwickle ich Ideen, spiele mit Worten, spinne mir Geschichten zurecht, kreiere Charaktere und beschäftige mich mit dem Handwerkszeug des Schreibens. Die Beziehung zu meinem Freund aus Kindertagen ist heute reifer als damals. Plotten oder nicht plotten? Wie kann ich eine Geschichte strukturieren? Wie schreibe ich anschaulich? Wie schreibe ich spannend? All das ist zwar Neuland für mich, aber ich liebe es, Neues zu lernen. Es fordert meinen Geist, meinen Intellekt. Meine Gedanken kreisen nicht mehr jeden Tag darum, warum mein Job mich so nervt und ob ich mich woanders bewerben sollte. Viele Ideen habe ich im Büro, manchmal nehme ich mir auch die Zeit, sie sofort in Worte zu fassen und beginne zu schreiben.



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Zum Weiterlesen:


Laura spielt leidenschaftlich gerne Golf und lässt sich als frischgebackene Erneut-Autorin darin coachen, gute Texte zu schreiben.


2 Kommentare:

  1. Ja, das ist gut erklärt, Schreiben als einen alten Freund zu sehen...so ist es auch bei mir. Und das Treffen tut soooo gut;)

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  2. Wunderbar. Hoffentlich hält diese Freundschaft bis zum Lebensende. Sie erfordert zwar viel Kraft, Fürsorge und Vertrauen, aber sie führt zum Glück.

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