Mittwoch, 22. November 2017

Ich schreibe, also bin ich – über das autobiographische Schreiben



Während meines Studiums saß ich in einem Seminar und wir sprachen über den damals wohl umstrittensten norwegischen Autor. Er schilderte ungeschönt die Alkoholexszesse seines Vaters, berichtete über die Ereignisse nach dessen Tod, veröffentlichte intimste Familienangelegenheiten und betrieb (für mein Gefühl) übertrieben geschmacklose Selbstdarstellung. Mittlerweile ist dieser Autor auch in Deutschland bekannt, vielgelesen und -besprochen: Karl Ove Knausgård.




Ich habe den ersten Band seiner als Roman bezeichneten autobiographischen Reihe „Min kamp“ (in Deutschland als „Sterben“ bekannt) nur in Auszügen gelesen. Auf mich hat der Autor keinen positiven Eindruck hinterlassen und ich weigere mich vehement, seine Bücher zu lesen, obwohl mir der Beginn von „Sterben“ bezüglich auf Schreibstil und Inhalt mehr als gut gefallen hat – in der norwegischen noch mehr als in der deutschen Fassung.

Auch damals habe ich mich gedanklich stark damit beschäftigt, wie sehr man als Autor in seinen Werken steckt. Während meines Studiums habe ich so einige skandinavische Autoren kennengelernt, die nicht nur durch ihre Bücher ein faszinierendes Werk geschaffen haben. Unter anderem auch den Autor Claus-Beck Nielsen. Er inszenierte zum Beispiel seinen eigenen Tod oder löschte seine Identität aus, um das dänische Sozialsystem zu kritisieren.

So ist Autor sein für mich nicht nur schreiben; dahinter steckt eine ganze Identität, die man aufrechterhalten muss oder kann. Natürlich spielen einem die sozialen Netzwerke damit vorteilhaft in die Karten. Man kann viel zeigen, muss es aber nicht. Und damit verschwimmt eine Grenze, die es früher so nicht gab. Jeder Autor kann sich so also selbst inszenieren und sich außerhalb seiner Werke zeigen. Eine Adriana Pupescu, die in den sozialen Netzwerken ihre nerdige Persönlichkeit auslebt, oder eine Laura Newman, die durch ihr Video-Tagebuch eine ganz besondere Nähe zu ihren Lesern schafft. Wir lernen den Menschen hinter den Büchern kennen.

Wie echt ist das #reallife?

Im Optimalfall sind wir authentisch in unserem (Online-)Marketing, denn nichts anderes ist das, was wir im Internet treiben, wenn wir es ganz stumpf herunterbrechen. Ja, auch ich selbst möchte mich nicht verstellen und eben so darstellen, wie ich bin. In Youtube-Videos sitze ich mit frisch gewaschenen, zerzausten Haaren vor der Kamera, ungeschminkt, weil ich eben genau so bin. Andererseits überlege ich mir genau, was ich teile und das beeinflusst das Bild, das andere von mir haben. Sie sehen nicht, dass ich mich Hals über Kopf in immer neue Projekte stürze und dabei scheitere, vielleicht schon am Rande eines Burnouts stand – bei ihnen kommt nur das an, was ich auch heraus lasse.

So hundertprozentig echt ist es also nicht, dieses #reallife. Was aber dann?

Es gibt da noch so andere Dinge, die man (un-)wissentlich mit seinen Lesern teilt. Das ganze Auftreten, alles zusammen genommen, zeigt ein Bild, eine Version von einem selbst. Man steht nicht nur mit einem Selfie in der Öffentlichkeit, nicht nur mit einem Roman oder einem Sachbuch, sondern auch mit seiner Meinung. Irgendwann dringen unweigerlich Statements in das Außen, weil man nicht alles für sich behalten kann und auch zwischen den Zeilen seine Meinung kundtut.

Wer mir folgt, der bekommt zwangsläufig mit, welche Lebenseinstellungen ich teile – und das ist auch okay so. Ich möchte auf Dinge aufmerksam machen, ohne an den Pranger zu stellen, sondern stattdessen selbst als Vorbild fungieren, das nicht immer perfekt ist, was auch völlig in Ordnung ist. Fakt ist aber, ich kann es nicht verheimlichen, weil es ein Teil meiner Selbst ist. Und das ist dann auch so richtig real.

Ich glaube, wenn man wirklich für das Schreiben brennt und eine starke Meinung vertritt, dann kann man sie gar nicht aus dem Schreiben heraushalten. Aber nicht nur das; auch eine starke Affinität zu etwas kann einen Einfluss auf das Schreiben nehmen. Jetzt kann man sich natürlich fragen, ob das ein Problem ist oder nicht.

Für mich ist dieses Phänomen in erster Linie eine faszinierende Erkenntnis: Erstens wird mir dadurch bewusst, wie viel Menschen über meine Texte über mich erfahren. Zweitens befriedigt dieses Wissen meinen Hang zum Voyeurismus – und den hat zweifellos jeder Mensch in irgendeiner Ausprägung. Ich weiß, ich kann mich als Autor nicht hinter meinen Texten verstecken – auch nicht, wenn ich wie Karl Ove Roman auf meine Autobiographie drucken lasse. Meine These ist, dass alles in seiner Reihe wahr ist. Ich meine nicht objektiv wahr, sondern (s)eine Wahrheit.

Die Wahrheit hinter der Wahrheit

Auch wenn mein Notendurchschnitt vom Abitur nicht dazu gereicht hat, Psychologie zu studieren, hatte ich in der Oberstufe das Glück, so einige psychologische Dinge zu lernen. Unter anderem, dass jeder Mensch eine andere Wahrnehmung hat – das es so ist, merke ich auch in meinem Alltag immer wieder. Bei der Wahrnehmung geht es nicht unbedingt nur um den Moment, sondern auch um die Erinnerung. Viele Dinge sind durch die verschiedenen Erfahrungen und persönliche Prioritäten verschwommen oder scheinen besonders scharf. Wir haben uns unsere Vergangenheit manchmal so oft selbst erzählt, dass wir dieser Version besonders viel Glauben schenken – obwohl jemand anderes sie ganz anders erlebt haben kann. Meiner Erfahrung nach weichen die Versionen umso stärker von einander ab, je emotionaler diese Momente waren.

Darum ist es, meiner Meinung nach, Autoren nicht möglich, sich von ihren Werken zu distanzieren; mit anderen Worten: Es ist ihnen nicht möglich, nicht autobiographisch zu schreiben.

Wenn das nur so einfach wäre …

Weil es gesund ist, sich jeden Tag weiterzuentwickeln (ich möchte hiermit nicht behaupten, dass es jeder Mensch auch tut), können Überzeugungen sich aber auch ändern oder verschärfen. Das hat zur Folge, dass der Autor hinter einem Text nicht mehr der gleiche ist, der er war, als er diesen Text verfasst hat.

Natürlich kann man pauschal Autoren verurteilen und sie boykottieren, weil sie eine Meinung in ihren Werken vertreten, die einem selbst nicht passt, oder weil sie Dinge getan haben, die man selbst nicht gutheißt, auch wenn sich auf dem ersten Blick in den entsprechenden Büchern nichts davon entdecken lässt. Denn, wenn man will, lässt sich in jedes geschriebene Wort ein nationalsozialistischer Hintergrund oder eine antifeministische Sichtweise hineininterpretieren.

Was können Autoren also tun, um sich selbst zu schützen, um sich nicht angreifbar zu machen, weil sie eine Meinung vertreten?

Nichts. Nur schreiben. Schreiben. Schreiben. Oder es ganz lassen. Denn unsympathisch zu sein und kritisiert zu werden, das ist das berufliche Risiko. Damit müssen wir lernen umzugehen, aber wir müssen uns auch dessen bewusst sein, dass wir mit all unserem Tun das öffentliche Bild von uns prägen – jedoch niemals kontrollieren.

Aber bei allem, was wir tun, sollten wir nie vergessen, wer wir wirklich sind, sonst könnte es leicht passieren, dass wir zu dem öffentlichen Bild werden, das wir selbst geschaffen haben. Ob das so gut wäre, glaube ich nicht.

Aber verratet mir doch mal, was ihr darüber denkt?
Quelle: http://littleinspiration.com/2013/02/10-inspirational-sayings-free-printable.html
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Zum Weiterlesen:

Tinka Beere liebt es, in andere Welten einzutauchen, und schreibt Geschichten mit einem fantastischen Touch. Darüber hinaus begeistert sie der Austausch mit anderen Autoren, denen sie mit hilfreichen Tipps gerne zur Seite steht. 



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