Mittwoch, 18. Oktober 2017

Fanfiction und Eigenleistung – geht das überhaupt?

In Gesprächen über Fanfiction wurde ich schon häufiger mit der Frage nach der Eigenleistung konfrontiert. Wie zahlreiche Klischees scheint dies ein allgemeines Vorurteil zu sein, welches vermutlich aus der Tatsache resultiert, dass Fanfictions auf einem Fremdwerk basieren. Und es ist an der Zeit, damit aufzuräumen.



Eigenleistung bedeutet, dass man etwas aus eigener Kraft und eigenem Können schafft. Das Gegenteil davon wäre das Plagiat. Sprich: von jemand anderem abzuschreiben. Damit sollte eigentlich schon klar sein, dass Fanfiction kein Abschreiben sein kann. Natürlich bedient man sich bei bereits existierenden Charakteren und einem fremden Setting, aber da hört es auch schon auf. Denn das ist nur die Grundlage für eine Geschichte, die der eigenen Phantasie entspringt.

Kleiner Funfact: Schreibe ich einen historischen Roman oder einen Roman mit Bezug zum aktuellen Weltgeschehen, bediene ich mich auch an etwas bereits Existentem. Ob reale Persönlichkeiten, über die ich recherchieren muss, historische und politische Bezüge, Kulturen – es ist alles schon da. Selbst wenn ich einen Roman schreibe, der in unserer Welt spielt, aber aus eigenen Figuren besteht, sind da immer noch die Welt und der kulturelle Rahmen, in dem sich die Handlung bewegt. Einziger Unterschied zu Fanfiction: Man verletzt keine Urheberrechte und darf das Buch verkaufen.

Aus dieser Perspektive betrachtet wären Geschichten, die nicht auf etwas bereits Existierendem basieren, nur in Fantasy und Science Fiction möglich. Und selbst diese Annahme ist scheinheilig. Denn auch dort lehnt man Kulturen und politische Systeme gerne an solche an, die es auf unserer Welt gibt oder gegeben hat. Und das hat Vorteile, wie z.B., dass dies es dem Autor ermöglicht, auf abstrakter Ebene Gesellschaftskritik zu üben. Und es geht noch weiter: Selbst Charaktere sind häufig von anderen Charakteren inspiriert. So basiert einer meiner absoluten Lieblingscharaktere auf Odysseus und ist trotzdem keine billige Kopie. Im Gegenteil: Basierend auf seiner Vorlage hat der Autor einen eigenständigen und unglaublich spannenden und facettenreichen Charakter erschaffen, der nur in einigen wenigen Eigenschaften dem moralisch fragwürdigen Helden der Antike ähnelt. Tatsächlich fällt es nur auf, wenn man beide Werke kennt.

Tatsächlich basiert viel mehr auf bereits existierenden Geschichten, als den meisten Menschen vermutlich bewusst ist. Man denke nur an die zahlreichen Star Wars Romane, die das sogenannte Extended Universe bilden. Sie spinnen die Handlung nach den Filmen fort und füllen Lücken zwischen den einzelnen Filmen und Serien, erzählen die Abenteuer von Nebencharakteren oder spielen lange vor den Filmen selbst. Und bei all dem erfinden die Autoren eigene Charaktere und eigene Welten innerhalb der weit, weit entfernen Galaxie. Doch auch Romane, die auf Märchen, Sagen und Mythen basieren und diese neu erzählen oder als Grundlage nehmen, fallen in diese Kategorie. Man muss nicht einmal Fan sein, um sich etwas davon zu bedienen und darüber zu schreiben. Vielleicht ergänzt es einfach nur die eigenen Ideen oder das Thema fasziniert einen so sehr, dass man darüber einen Roman schreibt.

Man ist also nicht zwingend ein Fan und die rechtliche Grundlage erlaubt einen Verkauf. Damit hören die Unterschiede aber auch schon auf.

Weder in diesen Beispielen noch bei Fanfiction geht es darum, etwas zu kopieren, sondern eine Vorlage zu nehmen und ausgehend von dieser etwas Eigenes zu schaffen. Schließlich kann man das Rad nicht neu erfinden.

Interessanterweise habe ich noch nie gehört, dass einem historischen Roman mangelnde Eigenleistung unterstellt wurde. Dafür umso häufiger schlechter Recherche. Denn hier wird sehr viel Wert darauf gelegt, das Leben der Menschen von damals möglichst authentisch wiederzugeben. Und auch bei den Büchern aus dem Extended Universe ist mir das noch nie untergekommen. Aber ein Fanfiction-Autor, der Wert auf Authentizität zum Original legt, kann nichts?


Aber zurück zu Fanfiction:

Auch beim Schreiben einer Fanfiction geschieht nichts anderes. Fanfictions entstehen aus den Ideen und Phantasien, die man zu seinem Lieblingswerk hegt. Sie entstehen aus den Alternativen, die nie geschrieben wurden. Aus den Charakteren, die nicht überlebt haben. Aus Fortsetzungen und Vorgeschichten, aus dem Füllen von Lücken und dem Aufgreifen von Themen, die im Original nur angerissen wurden, die man selbst jedoch absolut faszinierend findet. Es geht um das Leben von Träumen, wie darum, mit dem Lieblingscharakter zusammen zu sein oder Charaktere zu verkuppeln, die im Original niemals zusammenkommen würden. Und damit schafft man etwas Eigenes.

Früher hätte ich mich beleidigt gefühlt, hätte mir jemand mangelnde Eigenleistung unterstellt. Heute habe ich für solche Menschen ein nachsichtiges Lächeln übrig. Sie wissen es schließlich nicht besser.

Als jemand, der seit acht Jahren an der alternativen Fortsetzung ihrer Lieblingstrilogie, inklusive neuen Figuren und einer Erweiterung des Worldbuildings wie z.B. von Orten und Kulturen, die im Original nur angerissen werden, schreibt, muss ich mir diesen Schuh nicht anziehen. Ich habe Nebenfiguren ausgearbeitet und Charakterzüge diverser Figuren anhand der über sie existierenden Informationen extrapoliert, wo es nötig war. Irgendwann kam noch die Vorgeschichte eines Charakters hinzu und auch diese erforderte Worldbuilding und das Ausarbeiten von Figuren, die im Original nur namentlich erwähnt werden. Und alles, was man hinzu erfindet, muss zum Original passen. Ich weiß auch von anderen Autoren, die das so machen. Eigentlich lässt es sich gar nicht vermeiden.

Aber auch Geschichten, die während des Originals spielen und Lücken füllen oder die Abenteuer eines Nebencharakters beschreiben, haben einen hohen Anteil von Eigenleistung. Natürlich gibt es Berührungspunkte mit dem Original und diese helfen, die Geschichte in die Gesamthandlung einzuordnen. Und selbst bei Fanfictions, die parallel zum Original spielen und sich um einen Nebencharakter drehen, hat man sehr viel Spielraum für dessen eigene Geschichte. Manchmal ist dabei das Verknüpfen der Fanfiction mit dem Original hier die eigentliche Herausforderung – ein Problem, von dem gewiss auch schon der eine oder andere Autor aus dem Extended Universe gestanden hat.

Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Fanfiction-Autoren, die das Original nacherzählen – etwa aus der Sicht eines anderen Charakters – ohne dabei viel Eigenes einzubringen. Manchmal sind sogar die Gedanken kopiert und der Charakter läuft nur mit der Handlung mit. Das zu lesen macht zumindest mir nicht nur keinen Spaß, weil es von mangelnder Originalität zeugt, sondern kann unter Umständen auch einen Regelverstoß bedeuten. Archive wie Fanfiktion.de haben strenge Regeln bezüglich Eigenleistung und Plagiat. Werden solche Geschichten entdeckt, werden sie gesperrt, bis der Autor sie regelkonform umgeschrieben hat. Denn Plagiate mag man auch in der Welt der Fanfictions nicht.


Fazit

Eigenleistung fehlt dann, wenn man eine Geschichte einfach nur nacherzählt. Das nennt man Plagiat. Fanfiction plagiiert nicht. Fanfiction erzählt jene Geschichten, die das Original nicht erzählt. Und wenn man das gut machen will, muss man auch hier gründliche Recherche betreiben. Man muss das Original in all seinen Details kennen, um eine wirklich gute Fanfiction zu schreiben und das Setting glaubhaft zu erweitern. Denn eine wirklich gute Fanfiction zu schreiben, ist verdammt viel Arbeit.


Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.


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