Samstag, 21. Oktober 2017

Alles FanFiction?

Hinlänglich ist vermutlich bekannt, dass ich keine wirkliche Ahnung von der Materie habe. Meine einzige selbstgeschriebene FanFiction ist über Harry Potter und Draco Malfoy und – ja – sie bedient eines der stärksten und am häufig genanntesten Klischees über FanFictions. Glücklicherweise – und bei meinen ersten eigenen Geschichten sehe ich das ein bisschen anders – ist sie irgendwo auf Datenträgern gelandet, auf die ich dank modernster Technik nicht mehr zugreifen kann. Aber dass es da draußen Menschen gibt, die FanFictions als wichtigen Teil ihres Lebens sehen, habe ich in meiner Umfrage erfahren dürfen. Und gerade dieser Fakt hat mich besonders gefreut.




Als ich das Schreibmeer gegründet habe, stieß irgendwann auch unsere liebe Sonea dazu und ich bewundere sie nach wie vor für ihren Ehrgeiz, Geschichten zu schreiben, sich in Charaktere hineinzufühlen und nahezu ihre gesamte Freizeit dafür zu opfern, ohne dafür auch nur einen einzigen Cent zu bekommen. Sie ist nicht nur Autorin dieser Geschichten, sie lebt diese auch. Unschwer zu erkennen an ihrem Profilbild auf den Social-Media-Kanälen und der besonderen Namensgebung ihrer herzallerliebsten Stubentiger.

Eine Welt, die mir also völlig fremd ist, ist für andere so ein großer Lebensinhalt, dass ich ihn selbst kaum fassen kann. FanFiction hat viel mit Leidenschaft zu tun und wenn sonst nichts, dann haben wir „normale“ Autoren wenigstens das mit FanFiction-Autoren gemeinsam. Denn genau das sind auch sie: Autoren – wie übrigens meiner Meinung nach jeder, der Verfasser von eigenen Texten ist, egal welcher Form, ob nun als Gedicht, Lied, Fantasy-Epos oder auch FanFiction. Und sogar das Tagebuchschreiben wird von einem Autor ausgeführt. Zumindest wird Anne Frank höchst selbst als Autorin des Werkes angegeben ;-)

Dreht sich in diesem Monat alles um FanFiction, möchte ich scheinbar ein bisschen aus der Reihe tanzen und mir die Autoren, Schöpfer eigener Welten und Charaktere ansehen. Woher kommen die Ideen für die sonderbar konstruierten Welten? Die Inspirationen für die schrulligen oder liebenswerten, verhassten oder geheimnisvollsten Figuren?

Ist es nicht so, dass auch Autoren sich gern durch andere Geschichten oder sogar durch Orte und Mitmenschen inspirieren lassen? Macht es einen Unterschied, nur weil sie dann im fertigen Werk einen anderen Namen tragen oder ausdrücklich in einer Zeit oder Welt spielen, die nicht unserer entspricht. Vielleicht liegt es an meiner eigenen Bubble und mir kommt es nur so vor, dass Autoren sich besonders häufig auf Pinterest herumtreiben, Serien suchten und allen möglichen Merch-Zeug von einem bestimmten Film haben müssen. Sind nicht sie auch etliche Jahre später noch total addicted? *hust* Harry Potter *hust*

Ich möchte ja keinen anderen Autor in Verlegenheit bringen. Bleiben wir also mal bei mir. Ich liebe das Spiel Sims und habe schon seit Jahren ein Projekt geplant, das aus rechtlichen Gründen wohl niemals umgesetzt werden dürfte und auch sonst einen immensen Aufwand bedürfte, das den Alltag eines Sims in Romanform begleitet. Damals wie heute erscheint mir die Idee genial – und vermutlich bin ich nicht die Einzige, die darauf gekommen ist.

Nächstes Beispiel: Kennt ihr den Film – wahlweise auch das Buch – „Die Legende der Wächter“? Ich fand ihn atemberaubend schön und was dachte sich mein junges Autorenhirn (nicht direkt, aber ein paar Jahre später), eben auch eine Geschichte über Eulen zu schreiben. Klar würde meine Geschichte anders sein und im Prinzip hat sie nichts mit dem Film zu tun, außer, dass ich ihr den Arbeitstitel „Zeitwächter“ gegeben habe und dass es eben um Eulen geht.

Das ist doch normale Inspiration, irgendwoher muss man sich ja seine Ideen holen, denkst du? Klar, und darum ist es auch so schwer zu sagen, wo FanFiction eigentlich anfängt, meiner Meinung nach. Ein hilfreicher Gedanke begegnete mir auf der BuchBerlin 2015 beim
Verlag in Farbe und Bunt in dem Buch „With Love Mary Sue – Das Phänomen Fanfiction“.
„Fanfiction (auch bekannt unter dem Namen Fan-Fictiom, Fanfic, FF, Fanfiktion oder Fangeschichten) ist kein neues Phänomen […] Der Aufschwung des Internets in den 1990er Jahren rückte nur ins breite Licht der Öffentlichkeit, was vermutlich seit Beginn des geschriebenen Wortes begeisterte Anhänger eines bestimmten fiktiven Stoffes oder berühmter Personen betrieben haben […] Der Begriff dafür […] geht bis ins Jahr 1903 zurück und beschrieb anfangs noch sehr leidenschaftliche Sport-Anhänger. Beileibe nicht jeder, der sich einem Fandom zugehörig fühlt, schreibt Fanfiction. Aber wo es Fandom gibt, gibt es auch Fanfiction. Und zwar schon seit ewigen Zeiten.“

Soviel dazu.


Wo fängt FanFiction eigentlich an?

FanFiction an sich ist also schon sehr alt. Und wo ich doch so gerne angebe – nicht – ein kleiner Exkurs zurück in meine Unizeit. Ich habe meinen Bachelor in Literaturwissenschaften gemacht, genauer gesagt in der Skandinavistik. Zwar behandelte ich eher die neuere Literatur in meiner Abschlussarbeit, die Märchen von Hans Christian Andersen, aber auch die älteren Werke aus Skandinavien standen auf dem Lehrplan. Besonders gehypt in den letzten Jahren in der Jugendliteratur sind offensichtlich Götter, woran vermutlich auch die Comicverfilmungen ihre Mitschuld tragen. Protagonisten sind mit Vorliebe Thor, aber auch der von vielen so geliebte Loki – ob es an dem Schauspieler liegt, lasse ich jetzt mal außen vor. Vielleicht habt ihr die Mythos-Academy gelesen, die in der Buchcommunity vor einiger Zeit so sehr gehypt wurde? Die werte Jennifer Estep hat sich hier an eben jenem Bösewicht der nordischen Literatur bedient.


Geschichten über Götter sind also keine FanFictions?

Eigentlich doch schon, denn hier bedienen sich die Autoren an bereits existierenden Figuren und Mythen.


Ein Autor ist derjenige, der einen Text aufschreibt – aber heißt das auch, dass er sich den Text ausgedacht hat?

Zurück zu meinem Studium. Das mit der Autorschaft ist übrigens ein ziemlich modernes Phänomen. Nehmen wir beispielsweise die nordische Mythologie, festgehalten in der Snorra-Edda und in der Liederedda. Erstere trägt den Namen des Autoren in sich, aber meines Wissens nach ist es in der Forschung ziemlich umstritten, wer den Prolog zu jenem Werk geschrieben hat. Die Gründe für oder gegen diese Annahme aufzuführen, überlasse ich lieber den Professoren und Doktoren meines Fachbereiches: wer Interesse daran hat, kann sich gern die Diskussionen um die Autorschaft des Prologs der Snorra-Edda zu Gemüte führen, die allesamt nicht sehr unspannend sind.


Schreiben und Autoren im Mittelalter

Uns ist es also wichtig, wer der Autor ist. Ja, es ist sogar strafrechtlich eine heikle Sache, den Verfasser eines verwendeten Textes, nicht anzugeben, wenn man ihn zitiert. Aber das war nicht immer so. Im Mittelalter ist es den Leuten schnurzpipe gewesen, wer einen Text verfasst hat – vermutlich, weil ein Großteil der Bevölkerung eben damit beschäftigt war, den Acker zu bestellen, als Bücher zu lesen. Es scheint, eher der Inhalt zu zählen, als der Mensch dahinter.

Überhaupt wurden beim Kopieren der Texte (meistens von Mönchen, die den ganzen Tag außer beten eh nichts zu tun hatten) möglicherweise einige Dinge anders übermittelt, als im Original geschrieben stand. Wobei das Original vermutlich seit Jahren, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten mündlich übermittelt wurden. Wer schon mal einen mittelalterlichen Text vor der Nase hatte, weiß, dass dort gern mit so einigen Häkchen und Schnörkeln verschiedenste Dinge abgekürzt wurden – Zudem war Pergament selten und teuer. Jeder Zentimeter wurde ausgenutzt und um Löcher oder Verfärbungen herum geschrieben … 


Fassen wir also zusammen

  • FanFiction-Autoren sind keine richtigen Autoren, weil sie sich bei anderen, „richtigen“ Autoren bedienen

Ok.
  • Die „richtigen“ Autoren verwenden eigene Namen und Welten, zu denen die sie aber vorher inspiriert wurden 

… und die Tatsache, dass sich seit Jahrhunderten die immer gleichen Erzählmuster etabliert haben, wirft die Frage auf, wie viel Neues ein Autor in seine Geschichten einbringen kann. Dass dies so gut wie unmöglich ist, scheint vielen mittlerweile klar – was aber (das möchte ich an dieser Stelle betonen) keine offensichtlichen (ob nun als Fingerübung, Lückenfüller oder sonst wie gerechtfertigten) Plagiate rechtfertigt
  • Dass der Autor (sich) in den Mittelpunkt rückt und nicht das, was gesagt wurde, sondern wer es gesagt hat, wichtiger wurde, ist erst ein neueres Phänomen – allerdings durch das Recht auf ein Pseudonym auch wieder ziemlich wischi-waschi in einer rechtlichen Grauzone. 

Eine wirklich spannende Entwicklung, wie ich finde, und anhand der Geschichte ist es vielleicht auch nicht die schlechteste Idee, nachzuvollziehen, wer was wann gesagt hat – Obwohl auch hier einige, spitzfindige Einwände anzubringen wären: Wer hält die Worte fest? Und wer garantiert, dass nicht irgendjemand mit einem Tipp-Ex daran herumgewurschtelt hat …?

Ihr seht, das kann alles sehr mühselig werden. Und besonders ausgeklügelte Spitzfindigkeit wird uns die Frage nach dem „Wo fängt FanFiction an und wo hört sie auf?“ nicht beantworten. Allerdings können wir uns wohl darauf einigen, dass wir alle Autoren sind, die ihre Leidenschaft ausleben. Und wenn sich ein FanFiction-Autor eine Figur ausleiht und ihre Geschichte aus einer anderen Perspektive schreibt, ist er dennoch ein Autor und gehört nicht an den Pranger gestellt. Es gibt gute FanFictions und schlechte, so wie bei allen anderen Genres auch, da muss man niemanden über einen Kamm scheren.


Tinka Beere liebt es, in andere Welten einzutauchen, und schreibt Geschichten mit einem fantastischen Touch. Darüber hinaus begeistert sie der Austausch mit anderen Autoren, denen sie mit hilfreichen Tipps gerne zur Seite steht.

  

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