Samstag, 2. September 2017

Bernsteinfarbene Flüssigkeit am lauen Sommerabend - Über Attribute, Metaphern und Originalität

Für Autorinnen und Autoren ist es gar nicht so einfach, den richtigen Ton für den Text zu finden. Denn er soll so vieles sein: fesselnd, aber nicht übertrieben. Geistreich, aber nicht plump. Er soll sich von anderen Texten unterscheiden, was Neues bieten – aber wurde nicht schon alles irgendwann einmal gedacht und aufgeschrieben? Wo sollen dann noch Originalität und Esprit herkommen?




Oft stolpere ich beim Lektorat oder natürlich auch beim privaten Lesen über Formulierungen, die immer wieder vorkommen, die eigentlich witzig-spritzig gemeint sind –„mal was anderes“ eben –dabei aber schon arg strapaziert wurden und bei den Leserinnen und Lesern bestenfalls ein müdes Lächeln, schlimmstenfalls ein genervtes Aufstöhnen provozieren.
Ein Beispiel: Manche Krimis sind in diesem gewissen ironisch-lustigen Tonfall geschrieben, der Ermittler hat das Verrucht-Witzige zwischen Humphrey Bogart und Columbo. Dann warte ich schon darauf, dass er sich irgendwann mal einen Drink gönnt. Und dann kommt sie. Die „bernsteinfarbene Flüssigkeit“. Immer ist Whiskey damit gemeint (obwohl Cognac und Brandy meines Wissens die gleiche Farbe haben, was eine sprachliche Ungenauigkeit bedeutet, aber sei es drum). Sobald der Ermittler einen Whiskey trinkt und die Autorin oder der Autor anfängt, nach Synonymen zu suchen, kommt nach dem „Scotch“ unweigerlich irgendwann die „bernsteinfarbene Flüssigkeit“. Man mag mir gerade anmerken, dass ich davon etwas genervt bin ;)
Ähnliches gilt an Sommerabenden. Sie sind immer „lau“. Sie sind nie warm oder kühl, sie sind immer „lau“. Natürlich ist völlig klar, was damit gemeint ist, man spürt beim Lesen geradezu die leicht warme Brise, die am Sommerabend über die Haut streichelt. Dennoch: Das stetig Laue störtmittelfristig. Noch schlimmer ist es, wenn der Sekt an lauen Sommerabenden „perlt“. Ja nun, was soll er denn wohl sonst tun, der Sekt? Sofern er nicht abgestanden ist, kann er gar nicht anders als perlen. Höchstens schäumen.
Nun hat Mutti Lektorin mal geschimpft. Und das, obwohl die Autorinnen und Autoren sich doch so viel Mühe geben: Der Text soll unverwechselbar sein, seinen eigenen Charakter haben, nicht blutleer werden, keine Wortwiederholungen aufweisen, denn dann gäbe es ja schon wieder Schimpfe aus dem Lektorat. Lektoren und Wortwiederholungen verhalten sich ähnlich wie der Teufel und das Weihwasser. Also kann die Lösung nicht sein, immer nur „Whiskey, Whiskey, Whiskey“ zu schreiben. Synonyme müssen her. Möglichst neue, jungfräuliche sozusagen. Aber alles, was schon mal gedacht wurde, wurde auch schon mal aufgeschrieben. Und wir stehen wieder am Anfang. Na toll.
Die Lösung, die ich in solchen Situationen immer vorschlage, lautet: Dosierung. Ein Text darf passagenweise sachlich, geradeaus und einfach nur erzählend sein – natürlich nicht langweilig. Damit aber der Gesamteindruck stimmt, muss der Leser nicht mit einem Feuerwerk der Synonyme und der erzwungenen Adjektive verwöhnt werden. Highlights setzen reicht.
Angenommen, man hat eine rein deskriptive Passage zu Papier gebracht und Textfluss und Spannungsbogen verlangen nun nach einem dichteren, atmosphärischeren Absatz. Nun darf die Autorin oder der Autor sich austoben. Wie kann man das zu Beschreibende neuartig, interessant, ja auch poetisch ausdrücken? Es gilt nun, die Adjektive einfach mal neu zu mixen und zu experimentieren.
Es gibt einen sehr poetischen Text von Konstantin Wecker (das „Liebeslied“), den ich bei solchen Diskussionen gern als Beispiel heranziehe:

„Ich möchte am Abend mit dir auf fremden Balkonen sitzen. Das Licht wäre mollig und die Luft nicht mehr grell.“

Mancher Lektor mag nun aufschreien: „Licht kann nicht mollig sein und Luft auch nicht grell.“ Wörtlich genommen stimme ich dem zu. Aber wenn man sich diese Worte einmal auf der Zunge zergehen lässt, spürt man dann nicht die Stimmung, das sanfte Licht und den warmen, streichelzarten Lufthauch auf der Haut? Und das ganz ohne lauen Sommerabend.
Wenn in sorgfältig dosierten Abständen solch ein sprachliches Highlight kommt, ein poetischer Tupfen nur, dann kann man es sich durchaus leisten, dass der Ermittler synonymlosen Whiskey trinkt oder einfach nur Sekt. Ein Sommerabend ist dann einfach nur ein Sommerabend – der Leser weiß schon, wie er sich den vorzustellen hat, denn er kennt Sommerabende ja aus eigener Erfahrung. Ist der Sommerabend nicht lau, dann ist das eine Extra-Meldung wert. Jemand darf auch mal einfach nur im VW Golf fahren, nicht im „Wolfsburger Qualitätswagen“. Und als Autorin oder Autor hat man immer wieder die künstlerische Freiheit, mit Worten zu spielen, zu komponieren und neue Bilder zu erfinden – einfach mal loslegen, rumspinnen und mit Worten zaubern. Nicht jede Idee, die sich den Weg auf das Papier bahnt, muss gut sein. Vieles ist sicherlich dann doch für Ablage P. Aber ganz bestimmt findet sich die eine oder andere Perle, die als Highlight dem Text den richtigen Ton verleiht.

Schreibaufgabe: Wortemixer spielen. Erstelle für dich eine Mindmap, in der du Substantive mit Adjektiven oder Substantive mit Substantiven kombinierst, die eigentlich gar nicht zusammen passen. Aber wissen wir nicht alle, was eine „Phrasendreschmaschine“ ist oder was „Wortetorten“sind, die man sich gegenseitig ins Gesicht wirft? Du wirst merken, dass sich manchmal eine ganz besondere poetische Komponente und Harmonie ergeben.


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Zum Weiterlesen:


Katrin schreibt nicht, sie lässt schreiben und verleiht als Lektorin den Texten den letzten Schliff. Was sie liest, rezensiert sie gern auf https://nowheremansbuecherschrank.wordpress.com/

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