Mittwoch, 20. Juli 2016

Schreiben mit Kind – Spagat zwischen Organisation und Improvisation

Schokoflecken auf der Tastatur und Kuscheltiere zwischen den Recherchebüchern – für Autoren mit Kindern ist das Alltag.
Doch nicht nur der Arbeitsplatz muss verteidigt werden, auch die Arbeitszeit wird regelmäßig von den kleinen Monstern bedroht.
Schreiben mit Baby und Kleinkind – wie das gelingt und wie mein Alltag so aussieht, darüber möchte ich heute sprechen.



Wenn unterbrechungsfreie Arbeitszeit Mangelware wird

Als ich mich hingesetzt habe, um diesen Artikel zu schreiben, war es kurz nach sieben Uhr in der Früh. Das Kind war satt, beschäftigt und für mich fing die Arbeitszeit an. Eigentlich.
Doch nach den ersten zehn Minuten hörte ich ein Scheppern und Sekunden später das Tapsen kleiner Füße. Der Kakao war umgefallen. Also habe ich mit einem Lappen bewaffnet die erste Zwangspause des Tages eingelegt.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es bis zum Ende des Artikels noch eine ganze Menge mehr werden würden. Denn da waren der DHL-Bote, ein Missgeschick im Badezimmer, ein verschwundenes Kuscheltier, eine lebensmüde Hummel und der plötzliche Wunsch meines Kindes, sich ganz nach Vorbild der Hobbits ein zweites Frühstück zu gönnen.

Egal wie gut ich vorausplane und wie geschickt meine Beschäftigungsmanöver sind, wenn ich mit dem Kleinkind allein bin, ist unterbrechungsfreie Schreibzeit Mangelware. Mehr als zehn Minuten bis zur nächsten Störung ist in der Regel nicht drin.
Da heißt es natürlich Ruhe bewahren, nicht demotivieren lassen und sich dem Patchworkschreiben widmen: Hier ein Absatz, da ein paar Zeilen.
Das braucht eine ganze Menge Konzentration. Mir ist es mehr als einmal passiert, dass der gerade ausgedachte grandiose Satz im Chaos eines Pipiunfalls verloren ging. Deshalb trifft man mich auch manchmal mit Kugelschreibergekritzel auf dem Arm an. Denn irgendwo muss ich meine Gedanken ja festhalten, wenn ich zum nächsten Notfall durch die Wohnung renne. 

Aber wie funktioniert das nun am besten – Schreiben mit kleinem Kind im Haus? Ich habe mit befreundeten Autoren gesprochen, die ebenfalls kleine Kinder haben und ein paar Tipps gesammelt.


Souverän sein in der Doppelrolle als Autor und Elternteil

Wer zu Hause arbeitet hat zunächst einmal keine klare Trennung von Arbeit und Familie. Diese Trennung muss erst einmal geschaffen werden – sowohl räumlich als auch geistig.
Das Schwerste ist, der ganzen Familie beizubringen, dass man arbeitet, auch wenn man „nur“ im Nebenzimmer oder drei Meter entfernt am Schreibtisch sitzt.

Wer zuhause schreibt, sollte sich einen „Arbeitsbereich“ schaffen, der von der „Wohnwelt“ abgetrennt ist. Nach Möglichkeit einen eigenen Raum, ein Büro, eine Schreibstube oder wie auch immer man sie nennen will. Ein eigenes Reich, nur für das Schreiben.

Es sollten nicht überall Manuskriptseiten oder Notizen herumliegen. Einerseits sind sie dann ein gefundenes Fressen für die Kinder und andererseits liegt dadurch überall „Arbeit“ herum und das erschwert auf Dauer das Abschalten und Ausruhen. Und alle Eltern wissen, wie nötig das ist.
Fertig beschriebene Zettel und Notizblöcke, Rechebücher und Insirationshilfen sollten also in den Arbeitsbereich wandern.
Was übrigens gerne herumliegen darf, sind leere Notizzettel. Am besten diese kleinen, die nicht viel Platz wegnehmen oder stören, daneben ein Minibleistift. Und das ganze in jedem Raum, in dem euch schon mal eine Idee angesprungen hat und ihr nicht wusstet, wie ihr sie im Alltagschaos festhalten sollt. 

Jegliche Arbeitsutensilien sollten für Kinderhände nicht erreichbar sein. Das Manuskript genauso wenig wie der Tacker. Wer sein Büro nicht abschließen kann, der investiert am besten in eine Kindertür, die in den Rahmen eingeklemmt wird. Ich selbst hatte Jahre lang so eine Tür im Einsatz. Verteidigt also euren Arbeitsbereich. Kinder brauchen da von Anfang an klare Grenzen. 

Auch feste Bürozeiten sollten verteidigt werden, so gut es geht! Nicht nur den Kindern gegenüber, sondern auch vor dem Partner. Wer ernst genommen werden will, der muss sich zunächst selbst ernst nehmen. Besonders Kinder merken sich Ausnahmen und gewöhnen sich daran, dass Mami auch zur Arbeitszeit mal schnell einen Kakao macht. Lasst es gar nicht erst so weit kommen! 

Teilt eure Deadlines mit! Ganz egal, ob es sich hierbei um Abgabefristen vom Verlag oder eure selbst gesetzten Ziele handelt – das Mitteilen solcher Fristen hilft euch selbst und eurer Familie dabei, das Schreiben ernst zu nehmen und auf Ablenkungen zu verzichten.


Schmutzwäsche und Kinder müssen auch mal warten 

Allgemein plädiere ich dafür, endlich entspannter zu werden, was den Haushalt angeht. Niemand braucht das perfekt saubere Haus. Es bleibt viel mehr Zeit, für die Dinge, die wirklich wichtig sind und aus Erfahrung weiß ich, dass keiner es am Ende übel nimmt, wenn mal ein kleines Chaos herrscht. Nicht der Partner, der ja selbst keine Zeit hatte, um es zu beseitigen, und auch nicht die Kinder, denen es meist gar nicht auffällt. 

Nicht nur der Haushalt, auch die Kinder müssen lernen zu warten, bis Papa oder Mama mit dem Schreiben fertig sind. Ein sehr schwieriger Punkt ist natürlich bei kleinen Kindern das „Sich-selbst-beschäftigen“. Hier braucht es Strategien und Tipps für jedes Wetter. Zum Glück sind im Zeitalter des Internets davon ausreichend online zu finden, sodass nur danach gesucht werden muss. Allerdings sollten Eltern sich nicht nur mit den Beschäftigungsvorschlägen auseinandersetzen, sondern vor allem mit Artikeln zur Umsetzung und wie man einem Kind das Alleinespielen stressfrei näher bringt. Sonst ist schnell Frust angesagt. 

Bei Babys ist das einfacher, die schlafen noch viel. Mein Tipp dazu: Tragetuch. Einfach das Baby vor den Bauch schnallen und ab an den Schreibtisch. Hat das Baby Koliken empfehle ich statt Bürostuhl einen Sitzball, denn auf dem lässt es sich hervorragend wippen. 

Gehen die Kinder schon in den Kindergarten ist der Vormittag natürlich ideale Schreibzeit. Nehmt euch da bloß nicht den Haushalt vor! Auch wenn er oft wichtiger erscheint, ist es mit einem herum hüpfenden, kreischenden Kind viel einfacher die Wäsche zu machen, als sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Kinderfreie Zeit sollte in erster Linie Schreibzeit sein! (Oder natürlich Zeit für den Partner.)

An dieser Stelle ein kleiner Trost für alle frustrierten Kleinkindeltern: Mit zunehmendem Alter der Kinder wird es leichter! Wirklich! Durchhalten, dann gibt es Stück für Stück mehr Freizeit zurück. 


Am Ende hilft nur Improvisation

Wenn alle Stricke reißen, dann spiele ich auch mal mit meinem Sohn „Büro“. Er hat einen eigenen Schreibtischstuhl für Kinder, einen eigenen kleinen Schreibtisch, oder bekommt einen Platz zum arbeiten auf meinem. Es ist natürlich nicht ruhig oder stressfrei und besonders viel schaffe ich dann nicht - aber ein wenig Text ist besser als gar kein Text. 

Das übliche „Zeiten setzen - hinsetzen - schreiben“ wird mit Kindern aber oft nicht so funktionieren, wie es gern in zahlreichen Ratgebern propagiert wird. Diese Ratgeber sind wirklich gut, aber für Eltern, die mit kleinem Kind zu Hause bleiben, oder gar Alleinerziehende, schlicht nicht umsetzbar. Selbst mit gesetzten Schreibzeiten, der besten Kinderbeschäftigungsstrategie und der Unterstützung der Familie. 
Da ist das Kind plötzlich verletzt, die Nachbarin klingelt an der Tür oder ein Termin muss notgedrungen in die Arbeitszeit verschoben werden. Nicht alles lässt sich vermeiden. Täglich kommt etwas dazwischen. Wichtig ist, sich davon nicht zu sehr frustrieren zu lassen. 

Wie viel Flexibilität man zulässt und auch verträgt ist von Autor zu Autor natürlich unterschiedlich. Solange man sich dabei wohl fühlt, ist ein hohes Maß an Flexibilität hilfreich. Ich habe nichts gegen Planung mit festen Zeiten und Schreibplätzen – Planung ist wichtig, ohne Planung läuft nichts –, aber wer sich auf seine Planung versteift, der wird bei Abweichungen immer frustriert sein und alles hinschmeißen wollen. Und diese miese Laune ist nicht nur schlecht für eure Gesundheit, sondern auch schlecht für eure Kreativität, und damit für euer Schreiben.

Wenn etwas gar nicht so läuft wie geplant und die komplette Schreibzeit verloren scheint, habt ihr alles Recht der Welt euch darüber zu ärgern. Aber ärgert euch kurz und dann denkt nach! Euch zu ärgern wird nichts an den geplatzten Plänen und der verlorenen Schreibzeit ändern.
Die einzigen, die jetzt noch etwas ändern können, seid ihr: Ihr könnt improvisieren!


Ihr müsst es wollen

Das ist der Knackpunkt. Ihr müsst es wollen. Sonst wird es niemals funktionieren.
Es ist passiert: Die Schreibzeit ist verloren, Kinder und Partner haben durch unerwartete Wünsche und Termine den Tagesplan komplett über den Haufen geworfen. Weitere Zwischenfälle machen das Einhalten eurer geplanten Zeiten unmöglich. Eure Schreibzeit ist so gut wie verloren.
Was nun? Improvisieren und die Schreibzeit retten!
Dafür ist keine Zeit übrig? Doch, wenn Ihr dafür andere Punkte streicht.
Hier zeigt sich dann: Ist euch das Schreiben wichtig genug, um Punkte eurer To-Do-Liste auf die Folgetage zu verschieben? Ihr müsst es wirklich wollen!
Seid ihr vielleicht zu träge und bequem, um schnell umzuplanen und doch noch Schreibzeit herauszukratzen? Ist das Schreiben wichtig genug, um solche Umständlichkeiten auf euch zu nehmen? Ihr müsst es wirklich wollen! 


Springt über euren Schatten

Für viele der schwierigste Punkt – aber der wichtigste. 
Verabschiedet euch von den utopischen Vorstellungen des Schreibens und eurer Schreibzeit. Verabschiedet euch vom Bild des ruhigen Schreibzimmers, in dem ein dampfender Tee, eine Kuscheldecke, eure Lieblingsmusik und unendliche ungestörte Stunden auf euch warten. So wird es nie sein, und wenn ihr auf die perfekten Umstände wartet, dann werdet ihr nie mehr zum Schreiben kommen. 

Es wird keine laute Schreibmusik geben, wenn das Baby im Nebenzimmer schläft. Es gibt keine Garantie auf eine ungestörte halbe Stunde, wenn eine müffelnde Windel darauf wartet, gewechselt zu werden. Ihr seid nicht Hemmingway – ihr seid Eltern. Lasst die romantischen Vorstellungen vom Schreiben ziehen und schafft euch neue an!

Es kann doch eine wunderbar amüsante Herausforderung werden, sich zum Ziel zu setzen, in allen Lebenslagen schreiben zu können. 


Meine neue Motivation – der All-Time-Writer

Ich meine damit nicht, dass ihr euch einfach in jeder Situation ans Schreiben setzen und eure Kinder einfach ignorieren sollt. Ich möchte dazu ermutigen, es trotz Kindermusik aus den Lautsprechern, der Spielzeugpolizeisirene hinter eurem Rücken und dem im Tütü durch den Raum tanzenden Töchterchen zu versuchen. Schnappt euch einen Stift und ein Notizbuch und schreibt. Jedes Wort zählt! Wenn ihr am Ende eines schrecklich anstrengenden Tages trotz aller Umstände 300 Wörter mehr von eurem Roman zu Papier gebracht habt, werdet ihr ungeheuer stolz auf euch sein.

Wo schreibe ich?
Ich schreibe am Schreibtisch.
Ich schreibe auf dem Sofa oder am Sofatisch.
Ich schreibe beim Essen.
Ich schreibe auf dem Klo.
Ich schreibe beim Kochen neben dem Herd.
Ich schreibe auf dem Bett - ob morgens nach dem Aufwachen, mittags mit dem Kind oder abends im Dunkeln.
Ich schreibe auf der Spieldecke - während KiKa läuft und die Autos und Bauklötze neben mir klappern.
Ich schreibe auf dem Spielplatz.
Ich schreibe beim Spazierengehen auf dem Dach des Kinderwagens.
Ich schreibe im Auto (als Beifahrer, sonst nur mit Diktierfunktion) oder in Bus und Bahn. 

Ich habe eine Art Sport daraus gemacht, in den seltsamsten Momenten zu schreiben.
Ich amüsiere mich über jede neue Idee, die tatsächlich funktioniert und habe richtig Spaß dabei. 

Liebe schreibende Eltern, macht euch nicht fertig, nur weil euer Roman oder der neue Blogpost noch immer nicht fertig ist. Diese Zeit wird kommen. Solange ihr fleißig dabei bleibt und euch nicht demotivieren lasst macht ihr es großartig.

Aufgabe:
Du bist Mutter oder Vater und würdest gern mehr schreiben?

Plane den Tag grob, aber halte nicht stur daran fest. Mache deine Schreibzeiten und Fristen vor Familie und Freunden deutlich!
Schaffe dir ein eigenes Schreibreich, dass von den Kindern nicht überfallen werden kann!
Mache dir klar, dass du es wirklich schaffen willst! 
Überlege, in welchen Alltagssituationen du schreiben könntest - sei kreativ! 
Besorge dir gute Notizblöcke und Stifte!
Geh das Vorhaben entspannt und mit Humor an! 

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Zum Weiterlesen:



Madita bloggt außerdem auf Federkiel

4 Kommentare:

  1. Sehr schöner Artikel, dem ich an wirklich vielen Stellen zustimmen konnte. Manchmal ist es wirklich eine Gratwanderung, aber Du hast recht: sobald sie älter sind, wird es besser - spätestens in der Pubertät ;)

    Viele Grüße
    Sandra

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    1. Danke! Schön, dass er dir gefallen hat. Bei uns ist es grade besonders schwer und ich freue mich unglaublich auf den Kindergartenplatz.
      Liebe Grüße, Madita

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  2. JA, sehr passend! Vieles kenne ich gut :) Was man überhaupt nicht tun sollte: Sein Kind auf den Schoß nehmen und schreiben - auch wenn es im ersten Moment wie eine Erleichterung wirkt, weil der kleine Schatz dann für eine Weile Ruhe gibt. Hab schon mal einen Text abgegeben, bei dem meine Kleine mitschreiben wollte, und das Ergebnis war: Tief in den Zeilen lag ein dkfasdfjkhfdkjfhasdf verborgen ;)

    Viele Grüße!
    Tristan

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    1. Hehe, das kenne ich auch. Mein Sohn hat mir nicht nur diverse Zusatzwörter in den Text gehauen, sondern auch schon mal einen großen Absatz gelöscht, dessen Fehlen ich erst beim Korrigieren bemerkte.
      Danke für den lieben Kommentar und viel Erfolg noch!
      Liebe Grüße, Madita

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