Mittwoch, 13. Juli 2016

Barock – Memento mori …

In Katrins letztem Artikel haben wir einen genaueren Blick auf das Mittelalter als Literaturepoche geworfen. Viele Literaturgeschichten schließen an das Mittelalter den Barock als literarische Epoche an. Der Bequemlichkeit halber wollen wir dem hier in unserer Artikelserie folgen, wenngleich vorneweg gesagt werden soll: Literarische Epochen sind nie genau abzugrenzen, sondern präsentieren sich als ein Nebeneinander verschiedener geistiger Strömungen, literarischer Techniken und dominierender Stoffe und Themen. 



Zeitgleich oder auch vorausgehend mit dem, was wir heute unter Barock verstehen, verliefen auch die Renaissance und der Humanismus, und nicht zuletzt existierte mit der neulateinischen Literatur eine paneuropäische Gelehrtenliteratur, die international rezipiert wurde und in regem Austausch mit den sogenannten Nationalliteraturen (also der deutschen, der englischen, der französischen Literatur etc.) stand.


Der Begriff „Barock“

Der Begriff „Barock“ stammt eigentlich aus der Kunstgeschichte und bezieht sich dort auf die bildende Kunst, vor allem die Architektur: Man baut schwingende, konkave oder konvexe Formen, Säulenreihen und Kuppeln und verziert alles mit vielen Ornamenten.

Der Begriff wurde später auch auf die Literaturgeschichte übertragen und für die Texte aus derselben Zeit verwendet. Ursprünglich meinte man damit Texte, die sich durch bestimmte Merkmale auszeichnen: Rhetorisierung der Sprache, erhöhte Bildlichkeit und Künstlichkeit der Form. Heute ist diese stilistische Bedeutung aber verschwunden, stattdessen versteht man Barock heute eher als neutralen Begriff für die Epoche zwischen 1600 und dem endgültigen Durchbruch der Aufklärung im 18. Jahrhundert.


Zeitlicher und thematischer Hintergrund

Im 17. Jahrhundert kam es in Europa zu großen Umwälzungen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war längst nicht mehr so stark wie zuvor, durch die von Martin Luther ausgelöste Reformation und die katholische Gegenreformation brodelte es an allen Ecken und Enden – schließlich mündeten diese Zustände in der Kirchenspaltung und der Katastrophe des dreißigjährigen Krieges. Truppen zogen plündernd und mordend durch die Lande, Städte und Felder wurden zerstört, Menschen vertrieben und umgebracht. Die Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich ging von etwa 17 Millionen Menschen auf etwa 10 Millionen zurück!

Es ist damit nicht verwunderlich, dass der Alltag der Menschen vom Überleben geprägt war. Den Tod hatte in dieser Zeit jeder immer vor Augen. Diese Thematik schlägt sich auch in der Dichtung nieder und man hört immer folgende Schlagworte, wenn man vom Barock spricht:

  • vanitas – Vergänglichkeit 
  • Carpe diem – Nutze den Tag! 
  • memento mori – Bedenke den Moment / Bedenke, dass du sterben wirst! 

Die Motive sind in ihrer Ausprägung sehr ähnlich: Im Vordergrund stehen die Nichtigkeit des Menschen, die Vergänglichkeit, dass der Tod unvermittelt jeden treffen kann und auch die Freude am Moment – denn wer weiß, wann der nächste freudvolle Moment kommen wird? Gibt es überhaupt einen weiteren guten Tag?

Beispielhaft für dieses Denken wären etwa die Sonette von Andreas Gryphius, eines davon sei hier kurz wiedergegeben:


Es ist alles eitel.

DV sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut / reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn / wird eine Wiesen seyn /
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht / sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein /
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an / bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten /

Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum / die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist kein einig Mensch betrachten!


Humanismus und Literaturreform

Den Humanismus hatten wir bereits erwähnt: Von Italien ausgehend breitete er sich wie ein Lauffeuer in Europa aus. Man besann sich auf die antiken Klassiker zurück und frönte der Philosophie und Dichtung nach dem Vorbild der großen römischen Autoren. Im Bereich der Lyrik waren dies etwa Horaz, Vergil und Ovid, im Bereich der Prosa folgte man dem großen Staatsmann Cicero.

Die Literatur lehnte sich in ganz Europa an diese antiken Stilideale an, die Humanisten dichteten auf Latein und ahmten in ihren neulateinischen Werken teils sogar in einzelnen Formulierungen ihre großen Ideale nach. Autoren wie Petrarca, Pierre de Ronsard oder Daniel Heinsius übertrugen diese Stilideale auch in ihre jeweiligen Nationalsprachen und gaben damit international den Ton an.

Nur der deutschsprachige Raum hinkte hier hinterher: Hier blieb eine solche Blüte und Rückbesinnung auf die Antike zunächst aus. Diese Erkenntnis der eigenen Rückständigkeit führte schließlich zu einer vor allem patriotischen Bemühung um eine Reformation der Sprache – es wurden Sprachgesellschaften zur Pflege der deutschen Sprache gegründet, etwa 1617 die sogenannte „Fruchtbringende Gesellschaft“, 1623 die „Aufrichtige Tannengesellschaft in Straßburg“ oder 1644 der „Pegnesische Blumenorden“ in Nürnberg, um nur einige wenige zu nennen.

Ein großer Name dieser Sprachreformationszeit ist Martin Opitz. Mit seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ 1624 versuchte er, die deutsche Sprache auf ein Niveau zu hieven, auf dem man mit der internationalen Literatur konkurrieren könnte. Die Sprachgesellschaften nahmen diese Bemühung auf und bereiteten ihr den Weg. Man folgte der Sprache und Literatur, wie sie Petrarca und die Humanisten bereits vormachten. Poesie verstand man als einen Teil der Redekunst und so ist Dichtung dieser Zeit auch mit rhetorischen Stilmitteln durchdrungen.

Man war vor allem von strengen Formvorgaben begeistert: Das Sonett tritt seinen Siegeszug an, es kommt zu einer regelrechten „Sonettewut“ in der deutschen Literatur. Das Emblem entsteht aus der Epigrammdichtung heraus und verbindet Bild und Text zu einer Gattung.


Neue Formen und Themen

Francesco Petrarca hat mit seinen Liebesgedichten, den Canzoniere, die Liebesdichtung in Europa geprägt wie kein anderer. Die Hoffnungslosigkeit der Liebe, die Klage darüber, die Resignation, der Zwiespalt des Verliebten zwischen der Verehrung und der Begierde sind vorherrschende Elemente. In der Rezeption verschwindet aber oft das individuelle Element, das Petrarca auszeichnete, und stattdessen treten starke Stereotype hervor.

In dieser Zeit kommt im deutschen Raum auch der Roman auf. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatten sich in den anderen europäischen Literaturen die Romane als Gattung etabliert, nun zog der deutschsprachige Raum nach. Vorherrschend waren hier zunächst Übersetzungen fremdsprachiger Werke, an die sich bald die Produktion eigener Werke anschloss: Schelmenromane, Schäferromane, auch historisch-höfische Romane entstanden. Letztere zeichnen dabei das Bild eines gehobenen Standes, erzählen die Liebesgeschichten von Herrschern und Adligen, wobei Liebesgeschichten gleichzeitig auch immer mit Staatsaffären verknüpft sind.

Der Schelmenroman hingegen zeichnet die Welt von unten: Der Erzähler blickt als gemeiner Mensch reuig auf sein Leben zurück, zeigt einzelne Entwicklungsphasen auf, kommentiert sein Handeln und kann so einen satirischen Blick auf die Welt werfen und ihre Fehler aufzeigen.

Ganz anders der Schäferroman: Hierbei handelt es sich um kleine moralisierende Liebesgeschichten mit meist unglücklichem Ausgang, wobei die Liebe hier im privaten Bereich verortet wird.


Und und und …

Wir schließen hier ab. Weiters wichtig wären in dieser Zeit etwa das Theaterwesen mit seinem Gegensatz aus Jesuitendramen und Wandertruppen, die Strömung der Mystik oder die Kirchenlieder. Für all das haben wir hier leider kaum Platz.

Halten wir stattdessen fest: Der Barock ist eine sehr gegensätzliche Zeit. Einerseits geprägt von Krieg und Katastrophen, dem Tod und der Vergänglichkeit, andererseits dominiert vom Humanismus, der von Italien ausgeht und die antiken Stoffe und Formen wieder in ganz Europa populär macht.


Schreibaufgabe: Versucht euch an einem Sonett über die Vergänglichkeit nach dem Vorbild von Gryphius!


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Zum Weiterlesen:



Florian ist Kurzgeschichten-Autor, Weltenbauer, Story-Telling-Enthusiast und Latinist. Er veröffentlicht regelmäßig Kurzgeschichten auf dem Tintenfleck und bloggt über fiktive Welten auf der Weltenschmiede.



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