In diesem Artikel werde ich sowohl auf Charaktere in Fanfictions als auch in komplett selbst erschaffenen Geschichten eingehen. Beides hat seine eigenen Vorteile und Herausforderungen. Beherrscht man das eine, so hilft einem das häufig bei dem anderen und zeigt einem neue Sichtweisen auf.
Fanfictions
Fanfictions sind eine hervorragende Übung, um sich in Charaktere hineinzuversetzen. Bei der Umsetzung der Figuren kann man sich an ihrer Vorlage orientieren. Das hat den großen Vorteil, dass man sich die Arbeit spart, selbst einen Charakter zu erschaffen. Zugleich bedeutet das jedoch auch, dass man sich sehr intensiv mit der Vorlage auseinandersetzen muss, um die Figuren authentisch wiederzugeben.
Wie schaffe ich es, dass mein Charakter nicht ooc wird?
Eine genaue Kenntnis des Originalcharakters ist ebenso wichtig wie die Fähigkeit, sich in ihn hineinzufühlen. Dazu müsst ihr über das Lesen des Buches oder das Schauen des Filmes oder der Serie hinausgehen. Sammelt sämtliche Informationen über den Charakter, die ihr finden könnt, und analysiert sein Verhalten. Hilfreich sind dabei Fragen wie zum Beispiel: Wie spricht der Charakter? Wie werden sein Aussehen und seine Persönlichkeit beschrieben? Wie steht er zu den anderen Figuren? Was ist über seine Vergangenheit und sein Leben jenseits der Handlung bekannt? Welche Vorlieben und Eigenheiten hat er?
Diese Informationen könnt ihr irgendwo in einem Textdokument oder auf Zetteln in einer hübschen Schachtel sammeln oder euch die Textstellen mit Post-Its im Buch markieren. Wie ihr das macht, ist ganz euch überlassen. Ich habe für meine Fanfictions ein riesiges Textdokument mit Fakten aus den Büchern, zu denen ich schreibe. Viele Informationen über die Charaktere habe ich dagegen im Kopf oder weiß, an welcher Stelle ich nachschlagen muss, weil ich die Bücher inzwischen nahezu auswendig kenne.
Die Antworten auf die oben aufgeführten Fragen helfen euch dabei, ein Gefühl für die Figur zu bekommen. Doch bevor ihr das Buch auseinandernehmt, fangt mit einer einfachen Übung an: Stellt euren inneren Kritiker unbedingt ab (warum erkläre ich gleich) und schreibt mit jenem Charakter die Szene, die euch gerade vorschwebt. Ruft euch dabei das Gefühl ins Gedächtnis, das ihr habt, wenn ihr diesen Charakter im Buch erlebt. Dieses Gefühl ist eine ungeheure Hilfe beim Schreiben und beim späteren Überarbeiten eurer Fanfiction. Wenn ihr es euch durch diesen Prozess hindurch bewahren könnt, dann seid ihr auf einem guten Weg, dass diese Figur authentisch ist und bleibt. Allerdings ist hier auch Vorsicht geboten, falls ihr für diesen Charakter schwärmt (siehe dazu auch Traum-Monat-Artikel „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“). Es ist wichtig, dass ihr euch von euren Phantasien löst und ihn so agieren lasst, wie es zu ihm passt, und nicht so, wie ihr es gerne hättet. Das gilt übrigens auch – oder sogar ganz besonders – für seine sexuellen Vorlieben. Alles, was nicht auf den ersten Blick mit der Vorlage vereinbar ist, muss wohlbegründet sein.
Warum ich vorhin wollte, dass ihr euren inneren Kritiker abschaltet: Eure ersten Versuche werden alles andere als authentisch sein. Es hilft jedoch nichts, sich davor zu drücken oder nach drei Absätzen aufzuhören, weil sich der Text so grottig liest und ihr euch fragt, was diese Typen in eurem Text mit euren Lieblingen gemacht haben. Meine ersten Versuche waren auch grottig. Es ist wichtig, dass ihr nicht aufgebt und weiterschreibt. Ihr könnt die Szene hinterher immer noch löschen oder überarbeiten. Das ’Gefühl’, von dem ich gesprochen habe, müsst ihr vom Lesen des Buches auf eure Geschichte übertragen. Ihr werdet sehen, nach einigen Versuchen wird euch das leichter fallen.
Ich habe meine ersten Versuche übrigens alle aufgehoben und sie später den Lesern zur allgemeinen Belustigung in einem Bonuskapitel zur Verfügung gestellt. Den Charakter weiterentwickeln
Nachdem ihr euch eingeschrieben und das Gefühl für diesen Charakter vom Original auf eure Fanfiction übertragen habt, könnt ihr diesen nun von seiner Vorlage weiterentwickeln. Im Laufe der Geschichte wird sich euer Charakter zwangsläufig verändern, so wie er sich im Laufe des Buches verändert hat. Nur, dass ihr seine Entwicklung jetzt selbst in der Hand habt. Damit habt ihr zugleich die verantwortungsvolle Aufgabe inne, dafür zu sorgen, dass er nicht aufhört, er selbst zu sein.
Fiktive Charaktere sind für den Leser immer unvollständige Persönlichkeiten. Jeder fiktive Charakter hat unbeleuchtete Facetten und unbekannte Kapitel in seiner Vergangenheit. Als Leser könnt ihr nicht wissen, ob der Autor dafür eine Lösung geschaffen hat. Oft ist es so, dass der Autor mehr über seine Figuren weiß als der Leser, denn so kann er sie authentisch umsetzen. Für euch gilt dasselbe. Für eure Fanfiction braucht ihr jedoch nicht die Absichten des Original-Autors zu kennen, ihr könnt euch eure eigenen Erklärungen für diese unbeleuchteten Facetten und unbekannte Kapitel eures Charakters überlegen. Einzige Bedingung: Sie muss mit allem, was ihr über den Charakter zusammengetragen habt, vereinbar sein. Sollte diese nicht aus dem Kanon erschließbar sein, so solltet ihr sie innerhalb der Geschichte gut begründen.
Dazu müsst ihr euren Charakter erforschen und genauer verstehen. Spätestens jetzt wird wichtig, was im Original an Informationen über ihn vorhanden ist. Erforscht seinen Hintergrund: Was war er für ein Mensch, bevor dieses Buch begonnen hat? Hat er ein dunkles Geheimnis? Welche Herkunft hat er? Wie haben ihn vergangene Ereignisse verändert? Was könnte dafür gesorgt haben, dass er zu einem Menschen mit eben dieser Persönlichkeit geworden ist? Wie reagiert er auf Schicksalsschläge? Es schadet nicht, dabei ein wenig den Psychologen zu spielen. Findet psychologische Erklärungen für Verhaltensmuster und überlegt, wie er sich auf Grund der über ihn gesammelten Informationen verhält, wenn ihr ihn in eine neue Situation bringt.
Das ’Gefühl’ für euren Charakter ist dabei sehr hilfreich. Fragt euch immer wieder, ob seine Reaktionen auf Ereignisse und Veränderungen zu ihm passen oder ob eher ein anderer Charakter so denken und handeln würde.
Dieses Spiel könnt ihr übrigens auch treiben, wenn ihr die Vorgeschichte eures Charakters schreiben wollt. Orientiert euch an dem, was ihr über ihn in Erfahrung gebracht habt, und füllt die Lücken in seiner Entwicklung entsprechend aus. Einschneidende Erlebnisse in der Vergangenheit können ihn geprägt haben. Je nachdem, was über seine Persönlichkeit vorher und nachher bekannt ist, könnt ihr herleiten, ob er daran zerbricht oder stärker wird, seine Gesinnung wechselt oder zu einem komplett anderen Menschen wird.
Wichtig ist, dass ihr immer wieder euren Charakter mit der Vorlage vergleicht und eure Umsetzung hinterfragt. Wenn ihr es richtig gemacht habt, dann gibt es einen Wiedererkennungseffekt.
Charaktere in eigenen Geschichten
Im Prinzip gilt für diese nichts anderes als das, was ich euch zur authentischen Umsetzung von Fanfiction-Charakteren erzählt habe. Der große Unterschied ist hier jedoch: Ihr fangt bei Null an.
Was ihr euch in einer Fanfiction mit Hilfe der Vorlage erarbeitet habt, müsst ihr euch hier selbst erarbeiten, was euch jedoch mehr Handlungsspielraum gibt, euren Charakter zu gestalten. Schreibt ihr einen Fortsetzungsroman, so helfen euch auch hier die Tipps für Fanfiction-Charaktere. Überprüft im Laufe des Schreibprozesses, ob sich euer Charakter noch immer mit seiner initialen Umsetzung vereinbaren lässt. Tut er das nicht, so nehmt gegebenenfalls Korrekturen vor.
Auch bei eigenen Figuren ist es wichtig, das ’Gefühl’ zu bekommen und im Laufen der Geschichte zu erhalten. Euer Charakter muss zu Beginn noch nicht ausgearbeitet sein. Startet mit einer Idee, meinetwegen einem Klischee oder Stereotyp. Verleiht ihm die eine oder andere Eigenschaft oder Macke, die ihr von Menschen kennt, die euch vertraut sind. Das hilft euch dabei, euch in den Charakter hineinzuversetzen und erste Szenen mit ihm zu schreiben. Übrigens haben auch diese Szenen den Anspruch, zunächst einmal grottig zu sein. Gebt euch die Zeit, euch in den Charakter einzuschreiben und einzufühlen.
Ob ihr euren Charakter nun vor dem Schreiben plant oder während des Schreibens kennenlernt – bei seiner Weiterentwicklung ist es auch hier wichtig, seinen Werdegang angesichts eurer initialen Idee zu hinterfragen. Würde euer Charakter wirklich so handeln/reagieren? Wenn nein: Gibt es einen Grund, aus dem er so handelt? Auf diese Weise könnt ihr euren Charakter komplexer gestalten und seine Persönlichkeit weiter ausarbeiten.
Egal, ob ihr eine Fanfiction oder eine eigene Geschichte schreibt: Damit eure Charaktere authentisch sind und bleiben, ist es wichtig, ihre Umsetzung und Entwicklung immer wieder kritisch zu hinterfragen und mit der initialen Figur zu vergleichen. Ihr könnt euch dabei getrost auf euer ’Gefühl’ für die jeweiligen Charaktere verlassen. Es gibt euch wichtige Hinweise, ob ihr euch auf dem richtigen Weg befindet.
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Macken finde ich dabei auch sehr wichtig. Es müssen keine riesigen, auffälligen Macken sein - diese können uU. auch nerven, vor allem dann, wenn jeder Protagonist mit einer solch prominenten Macke ausgestattet ist - , es reicht für mich, wenn es Details sind. Die Art, wie jemand verlegen auf der Lippe herumbeisstb (Oder, wie Justus Jonas von den drei ???, nachdenklich die Lippe knetet), Lieblingswörter, Mini-Ticks...
AntwortenLöschenIch persönlich beobachte meine reale Umgebung immer ziemlich genau, muss ich gestehen. Da lernt man einfach das meiste. ;)