Mittwoch, 2. März 2016

»Du kannst das sowieso nicht!« - Vom Umgang mit dem inneren Kritiker

»Du kannst das nicht!«, »Das will doch keiner lesen!«, »Alle anderen schreiben schneller als ich«, »Wenn ich nicht so schnell so viele Bücher wie Poppy verkaufe, habe ich eh versagt!«, »Das kann doch jedes Kindergartenkind besser als ich.« 


Jeder kennt das vermutlich in irgendeiner Form: Eigentlich möchte man anfangen zu schreiben, doch dann meldet sich diese innere Stimme, die einem die Idee schlecht redet oder das eigene Können abspricht. Anstatt motiviert die ersten Sätze zu schreiben, passiert nichts.

Doch woher kommt dieser innere Kritiker und gibt es etwas, das man gegen ihn tun kann?

Der innere Kritiker ist eine Stimme, die uns oft schon seit der Kindheit begleitet. Sie ist die Personifizierung all der Ratschläge, die wir mit auf den Weg bekommen haben. Selbst wenn es auch viel Lob gab, ist das, was hängen bleibt, die Kritik: Die Ermahnung zu Vorsicht, Anpassung und Fehlerlosigkeit (»Schreib gute Noten, sonst wird nie was aus dir«, »Mach dich nicht schmutzig«, »Was sollen denn die Leute denken?«, »Der Hans kann das aber besser als du«). Evolutionär gesehen ergibt das Sinn. Ein Fehler konnte früher schnell mal das Leben kosten. Doch gerade in kreativen Berufen bremst uns ein zu starkes Fehlerbewusstsein eher aus.

Je unnachgiebiger wir mit uns selbst ins Gericht gehen, desto weniger Anlass geben wir anderen, uns zu kritisieren. Doch wenn der Druck zu groß wird, kippt das Ganze schnell: Wenn wir uns nichts trauen, es gar nicht erst probieren, kann auch nichts schiefgehen.

Und genau das ist die Aufgabe des inneren Kritikers: Eigentlich will er uns vor Schaden bewahren. Wir sollen uns nicht blamieren, unsere Sache gut machen und möglichst einen positiven Eindruck hinterlassen. Eigentlich meint er es also gut. Doch wie bekommen wir es hin, einen Kompromiss mit dem inneren Kritiker einzugehen?

1. Nicht alles glauben, was wir denken

Heinz Erhardt hat angeblich mal gesagt: »Sie dürfen nicht alles glauben, was sie denken.« Das ist eine wunderbare Faustformel für den Umgang mit dem Kritiker. Unser Verstand produziert permanent Gedanken. Das ist sein Job und den macht er meistens auch ganz gut. Doch nicht alles, was er produziert, ist die Wahrheit. Auch wenn es sich meistens so anfühlt. Es ist allerdings möglich, sich von seinen Gedanken zu distanzieren und sie als genau das anzusehen, was sie sind: Gedanken. Nicht mehr und nicht weniger.

Der innere Kritiker lässt oft kein gutes Haar mehr an uns: All das, was wir bereits geschafft haben, gerät für den Moment in Vergessenheit. Aber das, was der innere Kritiker uns einredet, ist nicht die ganze Wahrheit, es ist nur eine Stimme, die wir jahrelang verinnerlicht haben. Wenn wir an den Punkt kommen, an dem wir erkennen, wer da spricht, können wir gegenhalten und uns in Erinnerung rufen, was wir bereits alles geschafft haben. Das baut Distanz zu den destruktiven Gedanken auf.

Eine andere gute Möglichkeit, sich von dem Kritiker zu distanzieren, besteht darin, ihn sich bildlich vorzustellen. Sieht er vielleicht aus wie ein verkniffener Anwalt mit Monokel? Hat er eine näselnde Stimme? Ich finde ja auch, dass Fräulein Rottenmeier aus Heidi oder Fräulein Knüppelkuh aus Matilda wunderbare Vorlagen abgeben.
Schaut mal hier http://actblog.de/wie-du-mit-defusion-deine-grenzen-ueberwindest/ für mehr Informationen über Distanzierungstechniken vorbei oder holt euch eines der vielen Bücher zum Thema ACT (Akzeptanz und Commitmenttherapie) oder Buddhismus bzw. Achtsamkeit.

2. Eigene Maßstäbe anlegen

Oftmals setzen wir uns unter Druck, weil wir unfaire Vergleiche »nach oben« anstreben. Das heißt, wir vergleichen uns mit den Besten auf einem bestimmten Gebiet (»Sowas wie Game of Thrones kann ich nie schreiben.«, »Wie soll ich denn jemals so viele Bücher rausbringen wie Poppy J. Anderson? Ich bekomme ja nicht mal eins fertig.«, »Sprachlich so schön schreiben wie Kerstin Gier? Bei mir klingt das eher nach Grundschulaufsatz!«). Und das ist ganz schön unfair. Schließlich hatten auch Profis viele Jahre Vorlaufzeit und sind vermutlich schon länger dran als wir. Hohe Ziele zu haben kann nicht schaden. Aber wenn sie uns überfordern, weil wir denken, wir müssen das alles jetzt, sofort, genauso gut hinbekommen, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Wenn man dann bemerkt, dass andere auch kämpfen, dass es sogar den ein oder anderen gibt, der noch langsamer und sprachlich vielleicht sogar etwas holpriger schreibt, stehen wir plötzlich gar nicht mehr so schlecht da.

3. In den Urlaub schicken

Wie schon gesagt, behindert uns der Kritiker bei der kreativen Arbeit, hat aber auch eine gute Seite. Er ist sehr analytisch, findet Fehler und geht ziemlich offen mit Kritik um. Wie wäre es also mit einem Deal? Während wir schreiben, schicken wir ihn auf eine einsame Insel (dort kann er dann dem Servicepersonal sagen, wie ein Mojito richtig zubereitet wird, wie man Bettlaken korrekt faltet und Sonnenschirme optimal aufstellt), zum Korrigieren darf er dann wiederkommen und uns über die Schulter schauen.

Wenn sich der Kritiker bei dir meldet, kannst du dir das ruhig bildlich vorstellen. Frag ihn, was er von dem Deal hält. Dulde keine Widerworte und setz ihn in den Flieger! Dann mach es dir am Laptop gemütlich und schreib. Du wirst sehen, es ist viel einfacher, wenn du deinen Kritiker in sicherer Entfernung am anderen Ende der Welt weißt.

4. Mach ihn zu deinem Freund (oder wenigstens konstruktivem Arbeitskollegen)

Eigentlich will er doch nur helfen, auch wenn er sich dabei ziemlich plump anstellt. Versuche, ihn zu verstehen wie einen etwas seltsamen Freund, der vielleicht ab und an mal übers Ziel hinaus schießt und brüllt, wie sehr er dich hasst, anstatt zu sagen, dass er das letzte Gummibärchen gerne selber gegessen hätte. Versuche, herauszufinden, was er möchte, und seine Ansprüche abzuschwächen. Statt »Ich muss perfekt sein«, lieber »Ich gebe mein Bestes und wenn ich nicht weiter komme, frage ich jemanden, der mir helfen kann«. Klingt doch schon gleich nicht mehr so beängstigend, oder?

 

Übung:

Schreibe die Sätze auf, die dich häufig am Schreiben hindern. Beängstigend, oder? Dann gib den Satz in ein Übersetzungsprogramm ein, übersetzte ihn auf irgendeine Fremdsprache (z.B. https://translate.google.com/). Dann lass diesen Satz wieder zurückübersetzen. Und? Klingt das nun immer noch so bedrohlich?

Ein Beispiel gefällig? Ich nehme mal die Sätze, dich ich oben bereits verwendet habe:
»Sowas wie Game of Thrones kann ich nie schreiben.«, »Wie soll ich denn jemals so viele Bücher rausbringen wie Poppy J. Anderson? Ich bekomme ja nicht mal eins fertig.«, »Sprachlich so schön schreiben wie Kerstin Gier? Bei mir klingt das eher nach Grundschulaufsatz!«

Das Ganze auf Russisch und wieder zurück übersetzt heißt: »Sowas wie kann ich Game of Thrones Nie Schreiben.«, »Wie soll ich denn jemals so Viele Wie Bücher rausbringen Mohn J. Anderson? Bekomme Ich Nicht kleiner Eins und Fertig.«,» Sprachlich so Wie schön Schreiben Kerstin Gier? Bei Mir das nach Eher klingt Grundschulaufsatz!«

Französisch: »So etwas wie Game of Thrones konnte ich nie schreiben.« »Wie soll ich jemals so viele Bücher rausbringen Poppy J. Anderson? Ich bin nicht einmal eine Tatsache.« »Sprachlich so schön schreiben wie Kerstin Gier? Mir scheint es eher wie die Grundschule testen! »
Also mein Liebling ist ja: »Ich bin nicht einmal eine Tatsache!« :-)

Probiert es einfach selber mal aus! 


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Sabrina bloggt außerdem auf: http://sabi-writing-whatever.com/


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