Kennt ihr das? Ihr wartet ungeduldig auf die Fortsetzung eurer Lieblingsbuchreihe, doch anstatt brav an den Schreibtisch gefesselt zu schreiben, bis das Buch fertig ist, postet euer Lieblingsautor lustige Alltagsanekdoten auf Facebook, zockt Computerspiele, liest Bücher, produziert Serien, engagiert sich für wilde Wölfe oder schreibt andere Bücher? Und werdet ihr dann auch immer ungehalten, weil er doch gefälligst erst den neuen Band zu Ende schreiben soll, bevor er etwas anderes machen darf?
Sicher haben wir alle uns schon einmal auf diese Weise geärgert.
Aber kennt ihr auch die andere Seite?
Schreibt man selbst und hat man bereits eines oder mehrere seiner Werke auf die eine oder andere Weise veröffentlicht, so gerät man mit dieser anderen Seite zwangsläufig in Bekanntschaft. Mit dem Druck, mit den Selbstzweifeln, mit der Erwartungshaltung der Leser und den Erwartungen, die man an sich selbst stellt. Und mit den Schreibblockaden und wie einem das Leben auf jede erdenkliche Weise in den Schreibfortschritt reingrätscht.
Das alles sind regelrechte Killer für die eigene Kreativität. Und es trifft einen, egal ob man Bestseller-Autor, Newcomer, Self-Publisher oder, wie in meinem Fall, Fan-Fiction-Autor ist.
Bei mir fing es an, kurz nachdem ich vor vier Jahren die ersten Kapitel meiner Fanfiction-Reihe online gestellt habe. Auf einmal hatte ich Feedback zu meinen Geschichten inklusive der Erwartungen der Leser. So fruchtbar dieser Austausch ist, so sehr Autor und Leser davon profitieren, so sehr kann er auch berauschen und damit vom Schreiben ablenken. Und so sehr kann er einen auch unter Druck setzen, besonders wenn man wie ich Perfektionist ist. Ein Leser sagte mir damals, dass ich mit den ersten Kapiteln die Messlatte verdammt hoch angesetzt hätte und er jetzt nicht anders könnte als die folgenden Kapitel daran zu bemessen. Und ich dachte nur mit wachsender Panik: „Oh mein Gott!“
In der Zeit, die darauf folgte, wurde der Trubel nicht weniger, obwohl man meinen sollte, dass ich mich daran gewöhnt habe. Bei jeder Veröffentlichung einer neuen Geschichte oder einem neuen Kapitel ist die leise Furcht da: „Wird es gefallen? Wird es zerrissen? Interessiert es die Leser überhaupt?“
Die Verunsicherung kommt gratis, sobald das Feedback einmal ausbleibt und je nachdem, wie schlecht ich gerade darin bin, mich abzugrenzen, blockiert das meinen Schreib- und Kreativitätsfluss. Dazu kommt der Austausch mit Lesern, Social Media und die tausendste Überarbeitung, um meinen Lesern nun ja nichts Halbgares vorzusetzen. Mittlerweile verbringe ich gefühlt die Hälfte der mir zum Schreiben zur Verfügung stehenden Zeit mit Dingen rund ums Schreiben, um meinen Lesern eine möglichst qualitativ hochwertige Geschichte zu bieten. Die Erwartungshaltung ist beidseitig: Ich bin bestrebt, dass ihnen gefällt, was ich schreibe (auch wenn ich mich nicht nach ihnen richte, sondern schreibe, was ich selbst gerne lesen würde), und sie möchten eine spannende und ansprechende Geschichte mit möglichst kleinen Wartezeiten serviert bekommen. Und damit ist der Interessenkonflikt vorprogrammiert. Eine gute Geschichte braucht Zeit. Ein Leser braucht zum Lesen nur den Bruchteil der Zeit, die der Autor für das Schreiben gebraucht hat. Und dann ist wieder warten angesagt.
Es ist beruhigend und deprimierend zugleich, dass ich nicht alleine bin. Vielen, mit denen ich mich über dieses Thema unterhalten habe, geht es ähnlich. Mein Lieblingsautor unterhält einen regen Kontakt zu seinen Fans. Auf diese Weise lässt er sie an seinem Schreibprozess und seiner Arbeitsweise teilhaben, postet aber auch häufiger lustiger Anekdoten aus seinem Alltag mit zwei Kleinkindern. Die Fans finden das super, aber unter gefühlt jedem zweiten Post kommt ein Kommentar á là „in der Zeit, die du auf Facebook postest, könntest du auch schreiben“ oder „die 1000 Wörter, die du für diese Buchrezension geschrieben hast, hättest du mal besser in das Buch gesteckt, auf das wir alle (und ganz besonders ich) so sehnsüchtig warten.“ Also Austausch mit den Lesern ist super, aber bitte schneller schreiben?
Argh!
Bei solchen Kommentaren erwacht meine innere Furie zum Leben. Ich habe selbst schon dumme Kommentare erhalten, die in eine ähnliche Richtung abzielen. Und ich bin nicht einmal Vollzeitautorin, ich schreibe Fanfiction. In meiner Freizeit. Neben einem Vollzeitjob. Aber selbst, wenn ich Vollzeitautorin wäre, stünde ich vor den Problemen, die jeden Autor betreffen. Schreiben ist eine kreative Tätigkeit. Und damit funktioniert sie nicht, wie ein Alltagsberuf, den man morgens beginnt, die anstehenden Arbeiten erledigt und abends Feierabend hat und nach Hause geht. Der schriftstellerische Geist ist rastlos und will gefordert werden. Alles ist Recherche und Inspirationsquell. So etwas wie Feierabend gibt es für uns nicht. Meistens kommen sogar dann die besten Ideen, wenn man sich mit etwas völlig anderem beschäftigt. Und genau das ist der Knackpunkt.
Kreativität kann man nicht erzwingen. Kreativität kommt, wenn man sie freilässt. Und Freilassen bedeutet Abstand vom Schreibtisch und den Schreibwerkzeugen. Es bedeutet, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, aus dem Schreiballtag rauszukommen und sich die Gehirnwindungen durchpusten zu lassen. Um neue Ideen zu bekommen, muss man sich mit anderen Dingen beschäftigen, Bücher lesen, Filme und Serien schauen oder Musik oder Natur auf sich wirken lassen. Als Autor tut man all diese Dinge immer mit mindestens einem analytischen Auge. Manche verfolgen Interessen, die auf den ersten Blick überhaupt nichts mit dem Schreiben zu tun haben, in Wirklichkeit jedoch Recherche sind. Unsere Welt und ihre Geschichte bieten so unglaublich viele Anregungen, wenn man nur einmal den Blick vom Schreibtisch löst und sich umsieht.
Aber wenn man die ganze Zeit an seinem Schreibdokument klebt, kann man sich nicht weiterentwickeln, kann nicht an seinen Erfahrungen wachsen, welche unweigerlich in die eigenen Geschichten einfließen. Dabei ist genau das so wichtig, wenn man sich aus Autor entwickeln und weiterhin gute Geschichten schreiben will. Natürlich ist das Zeit, in der man nicht schreibt. Aber es ist gut investierte Zeit. Zeit, die wir brauchen, um den Schreibfluss am Leben zu erhalten. Und es hat einen weiteren Vorteil: Es löst Schreibblockaden und ermöglichst uns, das Problem, über dem wir gerade brüten, aus einem abstrakteren Blickwinkel zu betrachten.
Sicher gibt es auch Autoren, die alle sechs Monate ein neues Buch rausbringen. Die energiegeladen genug sind, um so viel in so kurzer Zeit zu schreiben. Allerdings kann man diesen Zustand nicht ewig aufrechterhalten. Irgendwann brennt man aus.
Nicht zuletzt kommt es auch auf die Art der Geschichte an. Je umfangreicher und komplexer ein Werk ist, umso größer ist die Herausforderung, die dieses an den Autor stellt. Und umso schwieriger ist es, sich nach einer Unterbrechung wieder in das Werk hineinzufühlen. Epische Erzählungen neigen dazu, auszuarten. Es entstehen immer mehr Handlungsstränge, über die man die Kontrolle behalten muss, die zusammengeführt und beendet werden müssen. Oder die man bewusst klein zu halten versucht, um das Gesamtwerk nicht aufzublähen. Und das kostet Zeit, will man es sorgfältig machen. Denn was nützt es, durch den Schreibprozess zu hasten, nur um ungeduldige Leser zufriedenzustellen? Das Ergebnis ist ganz sicher weder für die Leser noch für einen selbst zufriedenstellend.
In unserer heutigen Konsumgesellschaft scheint es zur Normalität geworden zu sein, dass Menschen Leistungen verlangen, am besten sogar noch einfordern, ohne diese anzuerkennen. Hauptsache, es kostet nicht viel. Ein Buch, für das der durchschnittliche Autor zwei Jahre braucht, ist innerhalb weniger Tage durchgesuchtet und das nächste soll dann bitteschön schon fertig sein. Am besten gestern. Vielen Lesern ist nicht bewusst, welch enorme Arbeit in einem Buch steckt. Dass der Autor vielleicht Tage, Wochen oder Monate über einer bestimmten Stelle brütet, die die Geschichte maßgeblich verändern wird. Dass zum Schreiben auch Recherche, Überarbeitung, Lektorat etc. gehören. Und dass man sich weiterbilden muss.
Wenn ich erlebe, wie Fans sich darüber echauffieren, dass sich der Release des nächsten Bandes ihrer Lieblingsreihe schon wieder verzögert, verspüre ich jedes Mal den Drang, den Autor zu verteidigen. Sie urteilen nur auf Grund dessen, was sie sehen: Das neue Buch verzögert sich und der Autor macht andere Dinge, anstatt zu schreiben. Und darauf fußt dann ihr Unmut. Einerseits verständlich. Andererseits tut mir das als jemandem, der auf der anderen Seite steht, in der Seele weh.
Die meisten Autoren würden ihre Bücher vermutlich schneller schreiben, wenn sie es denn könnten. Doch die Spezies Autor ist nicht dadurch definiert, dass sie nichts anderes tut, als Bücher zu schreiben. Kreativität ist ein höchst fragiler Prozess, der leicht gestört werden kann, wenn das sensible Autorengemüt etwas belastet. Schreibblockaden entstehen schnell durch Stressfaktoren. Allein der Druck, dass das neue Werk den Lesern gefällt, kann blockierend sein, vor allem, wenn sie am Vorgänger etwas zu bemängeln hatten. Je bekannter ein Autor ist, desto mehr steht er in der Öffentlichkeit, gibt Lesungen und Interviews und tritt auf Conventions auf. Und sobald die eigenen Bücher verfilmt werden und man in der Produktion mit drinsteckt, was für sich genommen eine großartige Sache ist, denn Drehbücher von Romanverfilmungen werden gerne auch mal verpfuscht, wird die Schreibzeit sowieso knapp. Und auch wenn all diese Dinge positiver Stress sind, reißen sie einen ebenso aus dem Schreibprozess heraus.
Es ist wichtig, sich nicht unter Druck setzenzulassen. Sich abzugrenzen. Doch das ist oft nicht leicht, zumal eine gewisse Nähe zu den Lesern für beide Seiten profitabel ist. Und es ist so leicht, durch solche unangebrachten Leserkommentare ein schlechtes Gewissen zu entwickeln, wenn man einmal nicht schreibt. Mir ging es beim letzten Camp-NaNoWriMo so, bei dem ich von meinem ursprünglichen Schreibplan abgewichen bin und etwas anderes geschrieben habe. Ich habe es durchgezogen, ich habe (bis jetzt) keine fiesen Kommentare darauf bekommen. Das Gefühl, die Leser enttäuscht zu haben, hält sich trotzdem hartnäckig. Aber indem ich die Sache durchgezogen habe, fühlt es sich ein kleines bisschen so an, als hätte ich den Teufelskreis durchbrochen.
Wann immer mir Leser begegnen, die versuchen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen oder mich unter Druck setzen, versuche ich ihnen zu erklären, warum ich die Dinge so handhabe, wie ich es tue und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie viel Arbeit in meinen Geschichten steckt. Hier zeigt sich ein Vorteil der Lesernähe: Indem man sie an den Höhen und Tiefen des Schreibprozesses teilhaben lässt, bekommen sie einen Eindruck davon, wie viel Arbeit in ihren Lieblingsbüchern steckt. Schwieriger umzusetzen hingegen ist die emotionale Abgrenzung, womit ich mich selbst sehr schwertue. Vor einer Weile habe ich dazu einmal einen guten Buchtipp bekommen, den ich euch weitergeben möchte, da diese Fähigkeit in allen Lebenslagen hilfreich ist: Bis hierher und nicht weiter von Rolf Sellin.
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Zum Weiterlesen:
- Spannung erzeugen
- Nicht ohne meinen pivotalen Charakter
- Fortsetzungsreihen – häufige Fehler und was man dagegen tun kann
Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.
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