Mittwoch, 22. März 2017

Reden wir doch mal übers Wetter …

Ach, das Wetter. Immer wieder gut für ein bisschen Smalltalk, oder für eine ausgewachsene Meinungsverschiedenheit. Viel zu warm für diese Breitengrade. Viel zu kalt für diese Jahreszeit. Und überhaupt, warum regnet es schon wieder?

Und damit meine ich nicht nur die aktuellen Gegebenheiten draußen vor dem Fenster, sondern auch die in Romanen und Geschichten. Selbst in der Literatur ist Wetter ein dauerpräsentes Thema, und eines, das häufig zur Diskussion einlädt.

 


Beispiel gefällig?

Vor einigen Jahren – als ich noch ausschließlich auf Englisch schrieb – stellte ich eine Kurzgeschichte online zur Diskussion. Ich wollte vor allem wissen, ob die Reaktionen meiner Protagonisten realistisch und verständlich wären, doch das meiste Feedback bekam ich zu ein paar unscheinbaren Zeilen, die sich in der heutigen deutschen Version so lesen:

Ich betrete das Wohnzimmer. Und da bist du. Stehst einfach nur da, und schaust in tiefer Konzentration aus dem Fenster. Als hättest du mich nicht bemerkt. Als wäre dort draußen etwas, das deine ganze Aufmerksamkeit erfordert. Der Regen hat aufgehört, aber die Wolken hängen immer noch am Himmel. Bedeutungsvoll, schwer und dunkel. Grau.

Ja, ich weiß. Eine Figur dabei zu zeigen, wie sie ‘gedankenverloren aus dem Fenster schaut’, ist ein absolutes Klischee. Das war mir beim Schreiben auch bewusst. Wenigstens standen diese Sätze in der Mitte der Geschichte und nicht am Anfang, wo sie noch ein wesentlich größeres Klischee erfüllt hätten. Trotzdem erwartete ich beinahe, dass mich jemand in den Kommentaren darauf hinweisen würde, und legte mir in Gedanken bereits eine Verteidigung zurecht.

Doch zu meiner großen Überraschung wurde der ‘Fenster’ Teil komplett ignoriert, und stattdessen etwas ganz anderes kritisiert: „Du benutzt hier das Wetter, um die Stimmung deiner Figur zu zeigen. Das würde ich unbedingt rausnehmen, solche überstrapazierten Klischees verwendet heute kein Autor mehr.”

Mit diesem Feedback hatte ich nicht gerechnet, weil diese Passage ja gar nicht das Wetter draußen vor dem Fenster beschreiben sollte, sondern vielmehr metaphorisch gemeint war. Die beiden Figuren in der Geschichte hatten vorher einen heftigen Streit, und ich wollte dieses Gefühl von “der Streit ist vorbei, aber die Stimmung ist immer noch gedrückt” bildhaft darstellen.

Und nun war ich verunsichert. Hatte ich einen Anfängerfehler gemacht? Ist eine Wettermetapher genauso schlimm wie eine echte Wetterbeschreibung, und ist beides auf jeden Fall zu vermeiden?

Geschichtlich gesehen hat die Erwähnung, ja sogar die Betonung von Wetter eine lange Tradition in der Literatur. Bereits in den Theaterstücken der Antike wurden Sturm und Gewitter erwähnt, um die Allmacht und den Zorn der Götter sichtbar zu machen. Und in der Romantik führte kein Weg an ausführlichen Wetterbeschreibungen vorbei, weil diese gleich zwei Zielen dienten: zum einen sollten sie die Schönheit und Macht der Natur zu zeigen, zum anderen – was noch viel wichtiger war – die Stimmung der Figuren wiederspiegeln und verdeutlichen. Daher gab es jedes Mal einen gewaltigen Sturm, wenn ein Streit ausbrach, und traurige Verabschiedungen fanden fast immer im strömenden Regen statt.

Natürlich sind diese Epochen schon lange vorbei, aber die Tradition lebt auch heute noch weiter. Ich bin mir sicher, dass jeder auf Anhieb mindestens ein Dutzend Filme nennen kann, bei denen ein Gewitter oder einen Sonnenstrahl genau im richtigen Moment auftaucht. Und wenn ein solcher Moment gut umgesetzt ist, kann das gezeigte Wetter auch ganz erheblich zur Stimmung beitragen. Was wäre zum Beispiel ein Horrorfilm ohne Blitz und Donner? Und es geht auch subtiler: im Film „Sophie Scholl – die letzten Tage“ werden nicht nur Licht und Schatten, sondern auch Sonnenlicht und Wolken ganz gezielt eingesetzt. Sophie steht im Gefängnis oft am Fenster und betrachtet den Himmel, wenn sie nach Kraft sucht. Als man die Geschwister zum Gerichtsgebäude führt und nach der Urteilsverkündung wieder herausbringt, ist der Himmel jeweils bewölkt. Erst als Sophie ihrer Hinrichtung entgegengeht, sehen wir die strahlende Sonne wieder - in Anlehnung an ihre berühmten letzten Worte „Die Sonne scheint noch.“ und als Zeichen, dass sie ihren inneren Frieden gefunden hat. 




Daneben gibt es auch Schreibratgeber, die ganz überzeugt dazu raten, Wetter nicht nur zu erwähnen, sondern bewusst zu verwenden. Schließlich macht es die Geschichte nicht nur realistischer, sondern bietet auch die Chance, den Leser quasi nebenbei, zwischen den Zeilen, über den Zustand der Figuren informieren. ‚Show, don’t tell‘, sozusagen.

Trotz dieser vielen positiven Beispiele gibt es aber auch Regisseure und Autoren, die um jeden Preis auf jede Spur von Wetter verzichten möchten. Warum? Nun, weil ihnen wieder und wieder gesagt wurde, dass solche Darstellungen und Beschreibungen nicht nur veraltet sind, sondern ein absolut zu vermeidendes Klischee darstellen, ja gar eine Bevormundung. Dass sie den Zuschauer oder Leser mit den Augen rollen lassen, ganz nach dem Motto: „Musste das jetzt sein? Wir hätten es auch ohne diesen Hinweis verstanden, wir sind ja nicht blöd.“

Wer hat denn nun Recht? Ist die Beschreibung von Wetter ein zu vermeidendes Klischee, eine unglaubliche Bevormundung oder ein erzählerisches Mittel, das große Chancen bietet?

Meiner Meinung nach liegt die Wahrheit – wie immer – in der Mitte.

Zuallererst einmal ist Wetter unbestritten eine gute Möglichkeit, einen Roman oder eine Geschichte realistischer zu machen. Es ist einfach ein Teil des Lebens, den jeder kennt. Daher kann eine gute Beschreibung dem Leser auch helfen, eine Szene oder einen Ort lebendiger vor Augen zu sehen. Natürlich sollte der Einsatz sparsam erfolgen, denn häufige lange Beschreibungen - egal von welchen Gegebenheiten - können die Handlung erheblich bremsen und somit beim Leser für Frust und Langeweile sorgen.

Dasselbe gilt auch, wenn man das Wetter benutzt, um einen Einblick in den Zustand oder die Stimmung der Figuren zu geben, oder um einer Szene eine tiefere Bedeutung zu verleihen. Zusätzlich spielt in diesem Fall auch Feinheit und Raffinesse eine Rolle. Um die Wirkung zu erhalten, sollte man sich solche ‘bedeutungsvollen Beschreibungen’ für Momente aufsparen, wo sie wirklich angebracht sind. Und man sollte immer darauf achten, dass sie zum eigenen Schreibstil und zur Geschichte an sich passen. Ein romantisch-detailreich beschriebener Sonnenuntergang passt nicht zu einem eher kühl-nüchternen Schreibstil, und außerhalb von Fantasy gibt es eher selten Schneestürme mitten im Sommer.

Ganz besonders wichtig ist auch die Originalität. Statt eines bekannten und oft benutzten Klischees oder einer Formulierung, die man in jedem zweiten Roman findet, sollte man versuchen, eine eigene Idee umzusetzen, die dem persönlichen Stil und der aktuellen Handlung entspringt. Es geht um die Erschaffung von Stimmung, Atmosphäre, Gefühl – und nichts ist da ungeeigneter als ein plumpes „Er weinte, und der Himmel weinte mit ihm“.

Wo wir gerade wieder von Regen sprechen: Während des NaNoWriMo 2016 habe ich an einem Projekt gearbeitet, das eben dieses Wort bereits im (Arbeits-)Titel trägt. Der Grund dafür ist, dass Regen in der Geschichte häufig erwähnt wird und über die Wetterbeschreibung hinaus zu einer Art Symbol wird. Nein, er steht hier nicht einfach für Traurigkeit, Verzweiflung oder Drama. Es geht weniger um den Regen selbst als um die Haltung ihm gegenüber; er wird sozusagen zu einem Beweis dafür, wie sich die Einstellung des Protagonisten im Verlauf der Geschichte verändert.

Am Anfang betritt der Protagonist ein ihm fremdes Land, von dem er nur Negatives gehört hat und dem er sich daher überhaupt nicht verbunden fühlt. Unter anderem soll es dort ständig regnen - was teils stimmt, und teils einer ‘sich selbst erfüllenden Prophezeiung’ gleichkommt - und ihm einen weiteren Grund liefert, der seine Vorurteile rechtfertigt. Er schimpft also über das Wetter, wenn es eigentlich Land und Leute sind, die er ablehnt.

Doch je mehr Zeit er dort verbringt, je mehr er sieht und erfährt, desto mehr merkt er – sehr zu seiner Überraschung – dass seine ursprüngliche Haltung engstirnig und unbegründet war. Und dann verliebt er sich auch noch in eine Person, die in diesem Land geboren und sehr von ihm geprägt ist. Nach und nach erhält so der Regen eine andere Bedeutung für ihn, und an einem Punkt der Geschichte ist er dann gar verwirrt und verärgert, dass es eben nicht regnet: Er verlässt einen Gasthof, und wurden von strahlendem Sonnenschein empfangen. Ein gutes Zeichen für seine Rückreise nach Hause, und dennoch kann er nur daran denken, wie falsch sich das anfühlte. In einer späteren Szene wird daraus sogar noch Bedauern: Warum regnete es immer noch nicht? Er vermisste den Regen.




Natürlich geht es bei seinen Gedanken nicht länger ums Wetter. Der Regen, das fremde Land, die Person, die er liebt – sie sind inzwischen so eng verbunden, dass sie teilweise sogar eins werden. Wenn er also vorgibt, den Regen zu vermissen, dann ist es in Wirklichkeit so, dass ihm eine ganz bestimmte Person fehlt. Nur, dass er letzteres niemals offen aussprechen oder zugeben würde.

Man kann sagen, das sei zu subtil. Oder man kann sagen, es handle sich immer noch um ein offensichtliches Klischee. Über Geschmack lässt sich bekanntlich immer streiten – genauso wie über das Wetter.

Und wie ist das bei euch? Verwendet ihr Regen, Sonnenschein oder andere meteorologische Phänomene bewusst in euren Geschichte, oder lasst ihr diese ganz weg? Stören euch solche Beschreibung als Leser, findet ihr sie wertvoll und interessant, oder fallen sie euch nicht einmal auf? 


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Zum Weiterlesen:



Stella Delaney ist in einem beschaulichen kleinen Dorf im fränkischen Weinland aufgewachsen, lebt aber nach einem längeren Zwischenstopp in England bereits seit einigen Jahren in der Schweiz, zusammen mit ihren drei Katzen. Brot und Katzenfutter verdient sie als Lehrerin für Englisch, Deutsch und Allgemeinbildung an einer Berufsfachschule. Ihr Studium der Anglistik/Germanistik hat sie zuvor mit Jobs wie Kindermädchen, Kellnerin, Kinoangestellte und Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache finanziert, und nebenbei Erfahrung als Märchenerzählerin, freie Journalistin, Übersetzerin und Buchkritikerin gesammelt. Derzeit schreibt sie hauptsächlich Kurzgeschichten, arbeitet aber auch an verschiedenen Romanprojekten. Mehr hierzu aufwww.stelladelaney.ch


2 Kommentare:

  1. Wetter habe ich auch vor ein paar Jahren verbloggt, ich glaube, wir sind uns einig: https://feuerblut.wordpress.com/2014/09/03/warum-man-manchmal-trotz-einschlagiger-tipps-mit-dem-wetter-einsteigen-sollte/
    Und dein Beispiel von der Verbindung "Regen" - "Land" - "Liebe" klingt schön und poetisch <3

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    1. Hab mir gerade deinen Text durchgelesen und mich total wiedergefunden :) Wie sagt man doch so schön: "Great minds think alike."

      Vielen Dank <3

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