Mittwoch, 30. November 2016

Sturm und Drang: Die Revoluzzer unter den Klassikern

Eigentlich ist die Epoche des Sturm und Drang gar keine eigene Epoche, sondern bildet eine Strömung innerhalb der Aufklärung und lässt sich ungefähr auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datieren. Aber wie dem auch sei: Der Sturm und Drang ist so sinnstiftend, aussagekräftig und umfassend, dass man ihn getrost in einem eigenen Artikel vorstellen kann.




Worum ging es beim Sturm und Drang? Wie erwähnt, ist diese Kunstrichtung in die Epoche der Aufklärung eingebettet. Der Appell an die Vernunft als wichtigste Autorität, die Forderung nach eigenständigem Denken und die Öffnung der Kunst für neue, bürgerliche Ideen sind Elemente, die dem Sturm und Drang Vorschub leisten. Denn es sind eigentlich nur kleine, aber logische Schritte: erst das eigene Denken entdecken, dann die eigene Situation reflektieren – und schließlich das Aufbegehren gegen die Obrigkeit. Denn das ist es, was den Sturm und Drang letztlich kennzeichnet: Die „jungen Wilden“ der Literaturszene gingen mit den Autoritäten ins Gericht und sorgten für eine Stimme des bürgerlichen Mittelstandes.


Neu: Der Geniekult. Der Schriftsteller ist jetzt wer.

Hieraus erwuchs ebenfalls ein neues Selbstverständnis der jungen Schriftsteller. Es ging nicht mehr um die reine Regelpoetik, sondern der Autor stellte sich selbst, sein Verständnis und seine Erfahrungen in den Mittelpunkt. Man war nicht mehr der Marionettendichter vor Königs Gnaden, man war selbst wer. Und man durfte das auch mit Fug und Recht, durfte eigene Ideen entwickeln, eigene Intentionen vortragen und die eigene Meinung vertreten. Eben raus aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit – einzig der Stimme des Herzens folgend, wie Herder es beschrieb.


Büchner, Schiller und Co. – Wehe, wenn sie losgelassen

Das große Mittel des Sturm und Drang ist das Drama. Die wichtigsten Dramatiker ihrer Zeit schlossen sich dem Sturm gegen die Autoritäten an: Schillers Räuber und Goethes Götz von Berlichingen verlangten nach Recht und Gerechtigkeit. Aber auch eine andere Richtung wurde neu entdeckt, um die stürmerischen Ideen zu transportieren: nämlich die Lyrik. Man erkannte, dass Lyrik nicht mehr rein schöngeistig zu sein hatte, sondern es auch mal richtig krachen lassen konnte. So darf sich Prometheus in Goethes Ballade selbst gegen Zeus, den Götterfürsten himself, wenden und ihm die Leviten lesen. Wenn das nicht unerhört ist – selbst der größte aller Götter ist den Stürmern und Drängern nicht mehr heilig ...

Aber dann ging es ja erst richtig los. Der Sturm und Drang brachte auch die Studenten auf den Plan, die später auf dem Hambacher Fest auf die Barrikaden gingen und für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit demonstrierten. Der Weg in die Märzrevolution ist vorgezeichnet, denn niemand wollte sich mehr der Obrigkeit unterwerfen. Ein wichtiges Literaturstück dieses Höhepunkts der Bewegung ist der „Hessische Landbote“, ein Flugblatt unter der Federführung von Georg Büchner. Mit seiner Forderung „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ rechnet Büchner gehörig mit der Obrigkeit ab – buchstäblich, denn er prangert die hohen Ausgaben des Großherzogtums Hessen sowie die hohen Steuern an, und zwar auf Heller und Pfennig.


„Empört euch, beschwert euch, und wehrt euch, es ist nie zu spät!“
(Konstantin Wecker)


Was haben nun die alten Dichter aus dem 18. Jahrhunderts an Relevanz für uns heute? Jede Menge! Denn was sie letztlich im Sturm und Drang säten, war die Keimzelle für jede Art von politischer Dichtung. Sie sind die Ahnen von Böll, Grass und Lenz, sie haben die nachfolgenden Schriftstellergenerationen vom Maulkorb befreit, der Obrigkeit gefallen zu müssen. Man darf zürnen, toben und motzen – und womit? Mit Recht.

Heute gehört es gewissermaßen zum guten Ton, wenn ein hochkarätiger Schriftsteller sich gegen gesellschaftliche und politische Missstände wendet. Man wünscht sich geradezu einen großen Denker, einen Rufer und Mahner, der die Gesellschaft aufrütteln und die Welt verbessern will.

In diesem Vorhaben der politischen Meinungsäußerung hat ein Schriftsteller heutzutage viel mehr Möglichkeiten und gleichzeitig viel weniger Risiken. Die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Meinung und der Kunst sorgt dafür, dass man sich als Künstler auch in Sachen Kritik austoben darf. Diese Freiheit zieht sich durch alle Abteilungen der Kunstszene und öffnet die Möglichkeiten für politische Liedermacher, Kabarettisten und alle, die sich künstlerisch und gleichzeitig politisch ausdrücken möchten. Das ist eine großartige Freiheit, die die Herren Büchner, Schiller, Goethe und ihre Zeitgenossen freigekämpft haben.


Daher eine Schreibübung: Werde doch einfach mal politisch. Reg dich auf! Gerate doch auch in eine rechtschaffene Wut über manche Zustände, und schreib es auf. Ob es nun ein Dreiakter wird oder ein Poetry Slam, schreib es einfach. „Ob als Penner oder Sänger, Banker oder Müßiggänger, Ob als Priester oder Lehrer, Hausfrau oder Straßenkehrer, Ob du sechs bist oder hundert, Sei nicht nur erschreckt, verwundert, Tobe, zürne, misch dich ein, Sage nein!“ (Konstantin Wecker).

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Zum Weiterlesen:


Katrin schreibt nicht, sie lässt schreiben und verleiht als Lektorin den Texten den letzten Schliff. Was sie liest, rezensiert sie gern auf https://nowheremansbuecherschrank.wordpress.com/




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