Samstag, 12. November 2016

Schattenseiten des NaNoWriMos

Mit dem zwölften November kommt dieser Beitrag sicherlich zu spät, um Werbung für den NaNoWriMo zu machen. Das ist kein Problem, denn das will er auch gar nicht. Viel mehr möchte er einmal einen kurzen Blick auf ein jährlich wiederkehrendes Phänomen werfen, das im Schatten des National Novel Writing Months immer wieder auftritt: Die Diskussionen über Sinn und Zweck des Events, wenn nicht gar die Kritik daran.


Wenn einer eine Meinung hat …

… dann ist es manchmal besser, wenn er nicht gleichzeitig einen Twitter-Account besitzt. Denn dann müssen nämlich alle seine Meinung lesen. Wohin das führen kann, zeigen uns die jüngsten Ereignisse gewisser Wahlkämpfe diesseits und jenseits gewisser Teiche.


Weltweite Vernetzung als Motor

Kritiker werfen der Welt von heute immer gerne vor, dass sie nur noch übers Internet kommuniziere und sozial vereinsame. Das mag man sehen wie man will, aber der Reiz des NaNoWriMo ist gerade diese Partizipation und weltweite Vernetzung von Gleichgesinnten, die sich nicht nur auf die offizielle Homepage beschränkt, sondern vor allem der Social-Media-Rummel drumherum: Man verabredet sich auf Facebook zu Wordwars, vergleicht seine täglichen Zahlen und Statistiken, man kann auf Twitter an sogenannten Wordsprints teilnehmen, auf Youtube existieren zahlreiche Videos, V-Logs, Songs und sogar ein Musical zum NaNoWriMo (googelt das mal, ich finde es herrlich!), ein ausgeflippter Kanadier zeichnet seit Jahren sogar Comics parallel zum Event … und außerdem kann man wunderbar in Status-Meldungen von seinen Erfolgen und Niederlagen berichten. Denn was ist schöner? Gelobt und bewundert werden oder kollektiv jammern? Beides hat seinen Reiz.
Aber das hat auch seine Schattenseiten.


Durchgehende Beschallung

Ich persönlich verstehe diese Sogwirkung des NaNoWriMo sehr, sehr gut. Vor Jahren stand ich dem Event skeptisch gegenüber, damals im fernen 2010. Ich hatte mich frisch an der Uni inskribiert, alles in meinem Leben war aufregend und neu und auch anstrengend: Denn für so ein Studium muss man als unerfahrener Erstsemestler doch ziemlich ranklotzen. Und so dachte ich mir: 50.000 Wörter in einem Monat schreiben? Die spinnen doch. Und außerdem kann man als Künstler eh nicht auf Knopfdruck loslegen, wo bleibt denn da die Kreativität, die Inspiration, der Musenkuss?

Aber ich konnte mich dem NaNoWriMo nicht verschließen. Auf allen Kanälen brannte ein wahres Feuerwerk der Begeisterung ab, täglich überschlug sich die kreative Welt mit noch tolleren Events, Partys, Write-Ins, Online-Treffen und und und. Ich musste einfach dabei sein.

Und ich schaffte es auch. Mit knapp 50.000 Wörtern schlitterte ich über die Ziellinie. Das Manuskript, das dabei entstand, habe ich bis heute nicht überarbeitet, muss ich ehrlicherweise hinzufügen. Aber der Monat war einfach nur der Wahnsinn. Selten habe ich so vor Kreativität und Tatendrang gesprüht.

Und heute ist wieder NaNoWriMo. Und der Sog beginnt wieder. Dieses Mal bin ich – nicht zum ersten Mal – nicht als aktiver Teilnehmer dabei. Heute ist mein Leben wirklich zu voll, als dass ich mir die Teilnahme leisten könnte (ob der Tauglichkeit dieser Ausrede mag man sich natürlich streiten ;-) ).

Und so fällt mir erneut eine der größten Schattenseiten des NaNoWriMo auf: Er ist einfach überall. Mein Twitter ist so gut wie unbenutzbar. Ich lese meinen Stream schon gar nicht mehr, denn außer Wordcounts und #NaNoWriMo-Status-Posts scheint es nichts mehr zu geben. In einem Schreibforum, in dem ich sonst sehr gerne bin, lasse ich mich seit 12 Tagen kaum noch blicken. Es geht auch dort nur noch um das Eine.

Versteht mich nicht falsch: Ich finde es toll, was ihr da macht. Es ist einfach nur herrlich, diese kreative Energie zu sehen und diese Motivation und Begeisterung und all die Kraft, die ihr mobilisiert. Ihr schreibt 50.000 Wörter in einem Monat und ihr habt nicht weniger als meinen größten Respekt. Ich ziehe meinen Hut vor euch!

Aber bitte verlangt nicht, dass ich mir ansehe, was ihr da treibt. Denn es interessiert mich einfach nicht.

Mitmachen kann ich nicht. Zuschauen führt nur dazu, dass ich wieder daran denke, dass ich selbst nicht mitmachen kann. Und da ich genug zu tun habe, interessiert es mich auch nicht, ob ihr schon wieder 24 Wörter im Rückstand seid. Im Gegenteil: Das Gejammere nervt tierisch.
Und euer Gejubel macht mich höchstens neidisch.

Für mich als Außenstehenden ist das die größte Schattenseite des NaNoWriMo und ich glaube, aus ihr wurzelt direkt …


Die Kritik am NaNoWriMo

Sie sind fast so allgegenwärtig wie die euphorischen Wordcounter: Die Kritiker.

„Das hat doch nichts mit Kunst zu tun!“, „Ein richtiger Roman braucht seine Zeit!“, „Ich könnte nie an so einem Mainstream-Event mitmachen!“, „Was da rauskommt, ist doch eh nur Müll!“, „In einem Monat ist es unmöglich einen guten Roman zu schreiben!“, „Nicht einmal Chuck Norris könnte das!“ …


Tweets, Facebook-Postings, Flamewars.

Während die eine Hälfte der Schriftsteller im Internet begeistert schreibt, versucht die andere Hälfte um jeden Preis diese Leistung der anderen Hälfte schlecht zu reden – worauf die erste Hälfte natürlich empört reagiert. Schnell liefert man sich Grabenkämpfe, diskutiert über und dann auch unter der Gürtellinie. Spricht sich gegenseitig die Inspiration und das Talent ab.

Natürlich ist es nicht toll, was da läuft. Aber ich kann die Kritiker verstehen. Ich bin auch genervt von euren ständigen Erfolgsmeldungen und eurem Gejammer. Ich würde euch auch gerne sagen, dass ihr gewaltig einen an der Meise habt. Und wenn ihr vor euch hin heult, würde ich am liebsten sagen: Halt doch die Klappe. Wenn du nicht schreiben kannst, lass es.

Tu ich es? Nein. Aus dreierlei Gründen. Vielleicht der wichtigste: Ich bin viel zu alt für diesen Kram und obendrein zu faul. Ihr nanowrimot? Schön. Kratzt mich nicht. Zieh ich mich für die Zeit halt zurück.
Und dann war ich natürlich auch mal ein Teilnehmer an diesem Wahnsinn. Ich kann euch verstehen. Ich habe damals auch gejammert.
Und last but not least: Es ist doch toll, dass ihr so viel schreibt. Wieso soll ich euch dafür angreifen? Dafür bin ich viel zu gut erzogen ;-)

Aber andere sind vielleicht nicht so zurückhaltend. Haben nicht so viel Verständnis. Oder sind viel genervter als ich es bin. Und für sie ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, mit dieser Sache umzugehen, indem sie euch schlechtreden.

Denn vergesst nicht, liebe WriMos: Ihr leistet gerade unglaubliches. Ihr schreibt einen Roman in einem Monat. Ich kann nur vor Neid erblassen. Ich bin Kurzgeschichten-Autor. 50.000 Wörter sind für mich wahnsinnig viel, eine unerreichbare Schwelle. Ja, ich gebe es gerne zu: Ich bin neidisch. Euer Tun, euer Erfolg erinnert mich an meine Untätigkeit, meinen Misserfolg. Ihr tut euren großen Schritt in eurem Autorendasein. Ich schaue nur zu.
Und natürlich nervt mich das noch mehr.

Und was ist nun einfacher, als dass ich mich auf den Standpunkt zurückziehe, dass ihr alle übereifrige Kiddies seid, dass ihr unser Handwerk nicht versteht, dass ihr nur Schrott fabriziert, klischeetriefende, schwülstige Romane, die sich nicht einmal an der Tanke verkaufen würden und bei deren Anblick der nächste Lektor sofort ins Koma fallen würde. Dass euer Machwerk also nur Müll ist?
Ja, dieser Standpunkt würde mich sehr glücklich machen. Denn dann wäre ich ja der tolle Autor. Der Georg-Büchner-Preisträger in spe, vom Feuilleton gefeiert, von Kritikern gepriesen und in Buchhandlungen bald ausverkauft.

Und das gäbe mir ein unglaublich gutes Gefühl.


Was ich damit sagen will?

Vielleicht, dass wir alle bekloppt sind. Sowohl wir, die wir den NaNoWriMo mitmachen, als auch wir anderen, die wir uns davon bedroht fühlen. Wir alle, die wir Grabenkämpfe führen, haben doch gehörig einen an der Waffel. Wir müssen uns nicht gegenseitig schlechtreden. Wir müssen nur endlich einsehen, dass wir nicht alle gleich sind. Für die einen ist es perfekt, im Sog des NaNoWriMo zu schreiben. Es bringt sie weiter. Andere können gerade mit diesem Druck vielleicht nicht arbeiten. Auch das ist okay.

Aber können wir bitte aufhören, uns deswegen fertig zu machen? NaNoWriMos, ihr nervt mich. Aber nur bis zum 1.12. – danach rede ich gerne wieder mit euch. Und ihr hoffentlich auch mit mir.

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Zum Weiterlesen:



Florian ist Kurzgeschichten-Autor, Weltenbauer, Story-Telling-Enthusiast und Latinist. Er veröffentlicht regelmäßig Kurzgeschichten auf dem Tintenfleck und bloggt über fiktive Welten auf der Weltenschmiede.

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