Samstag, 1. Oktober 2016

Schriftsteller und Lektorat – der Beginn einer wunderbaren „Freindschaft“

Neu im Schreibmeer: Die Schreibmeer-Kolumne. Einmal im Monat dürfen unsere Autoren unter diesem Deckmantel aus den Tiefen des Schreibmeers blubbern.




Am Anfang war das Wort. Aber wenn der Autor sieht, dass es gut ist, ist es nicht etwa so, dass er den Griffel beiseitelegt, das Ganze binden lässt, es verkauft und reich und berühmt wird …

Dann geht es erst richtig los. Überarbeitung eins, Überarbeitung zwei, Überarbeitung unendlich. Betaleser eins, Betaleser zwei, Betaleser trölfzig. Und dann: das Lektorat.

An dieser Stelle soll gar nicht weiter darauf eingegangen werden, ob und warum ein Lektorat für einen Autor ein Must-have ist – über dieses Thema wurde in der Vergangenheit sowieso schon viel geschrieben und gestritten.


Der Lektor, das unbekannte Wesen

Aus meiner Warte kann ich erst mal nur sagen, was ein Lektor NICHT ist (obwohl es mir auch schon mehrfach so unterstellt wurde): Nein, ich bin kein verhinderter Schriftsteller, der aus Mangel an Talent und Können leider „nur“ Lektor wurde und daraus zwei Psychosen entwickelte: a) den überheblichen Ewigbesserwisser, der jeden Text nur kaputtmachen kann, oder b) den Killer, der das Manuskript nur kaputtmachen will – aus Neid, weil er es selbst nicht so gut kann.

Für mich persönlich kann ich jedenfalls in Anspruch nehmen: Ich bin kein verhinderter Schriftsteller. Ich bin gar kein Schriftsteller, denn das Schriftstellern liegt mir nicht. Das sollen bitte die Autoren machen. Ich bin derjenige, der gut mit fremden Texten umgehen kann, stilistische Besonderheiten findet, Ungereimtheiten im Plot entdeckt und sie mit Vorschlägen (ja, es sind nur Vorschläge, keine diktatorischen Befehle) ausbügelt.


Von Hebammen und Hintergrundarbeitern

Oft bleibe ich in einem bestimmten Bild: Wenn das Buch das Baby ist, ist der Autor die Mutter. Ich bin dann die Hebamme. Das Bild mag ich sehr gern, denn es trifft ein paar wesentliche Punkte.
  • Im Prozess des Werdens, Entstehens und Reifens halte ich dem Autor das Händchen. Ich ermutige, bekämpfe Zweifel, leiste Erste Hilfe am Text, wenn es gar nicht vorwärts gehen will, stehe Rede und Antwort und bin immer ansprechbar.
  • In der „heißen Phase“ bin ich da, wo ich gebraucht werde. Ich baue letzte Korrekturen ein, suche nach vielleicht übersehenen Stolperfallen. Ich fiebere mit, wenn der Erscheinungstermin in greifbare Nähe rückt, ich bin einer der ersten Menschen, die das fertige Buch aus der Zellophanhülle befreien und aufschlagen, und mit klopfendem Herzen lese ich ein paar Wörter. Ich freue mich unbändig, dass es gelungen ist und wünsche ihm ganz viel Erfolg.
  • Hinterher: Ich räume auf. Ich sichere die Daten, drucke Dokumente aus, die ich archivieren muss, sortiere alles in die passenden Ordner, lösche, was ich aus Datenschutzgründen nicht behalten darf. Das Leben des Autors und seines Buches geht nun ohne mich seinen Gang.
  • Dann: Ich schaue aus der Ferne zu. Wie sind die Bewertungen, was tut sich in Leserunden? Ich bleibe am Ball, auch wenn ich unsichtbar bin. Aber wenn ein von mir lektoriertes Buch es im Ranking weit nach oben schafft oder einen Leserpreis gewinnt (ja, auch das ist schon passiert ;) ), dann bekomme ich das mit. Und ich gratuliere dem Autor zum Erfolg und mache mir heimlich, still und leise auch einen Sekt auf.
  • Die Glückwünsche bekommt der Autor, ihm wird auf die Schulter geklopft, er steht im Rampenlicht. Und da gehört er auch hin – nicht ich. Ich bin nicht die Mama. Aber als Geburtshelfer des Buches hänge ich emotional auch irgendwie mit drin.


Der Lektor als Sparringpartner

Was will ich damit eigentlich verdeutlichen? Die Beziehung zwischen Schriftsteller und Lektor, die wunderbare „Freindschaft“, ist etwas Besonderes. Manchmal entwickelt sich ein freundschaftliches Verhältnis daraus, weil die Chemie stimmt und man spürt, dass man am gleichen Strang zieht. Wenn dann zum Beispiel am Sonntagmittag eine panische Whatsapp kommt: „Ich hab da und da einen anderen Text mit einem ähnlichen Detail im Plot gefunden, meiner ist dann doch ein Plagiat! Hilfe, das ganze Manuskript ist kaputt!“ – dann ist auch mein Sonntag gelaufen. Ich bin nicht mehr entspannt auf dem Ausflug in den Tierpark oder so – ein Teil von mir ist beim Text und überlegt, wie man die literarische Kuh vom Eis bekommt. Meine Gedanken arbeiten dann immer – ganz abseits von bezahlten Normseiten. Und wenn dann kurz vor Mitternacht die Erleuchtung kommt, stehe ich auf und arbeite. Sehr zum Leidwesen des Partners. Aber hey, there's no business like Buchbusiness!

Manchmal geht das aber auch nicht so gut. Dann kracht es zwischen Schriftsteller und Lektor, und es klappt einfach nicht. Die Vorstellungen sind zu unterschiedlich, die Kritikfähigkeit auf beiden Seiten stimmt nicht – auch das ist dann wie in einer Freundschaft: Man zieht einen Schlussstrich. Macht eine Endabrechnung über die geleistete Arbeit, wünscht sich gegenseitig alles Gute und legt das Projekt ad acta. Das ist dann weder die Schuld des Autors noch die des Lektors – es passt einfach nicht. Das kommt bei menschlichen Beziehungen schon mal vor. Sicherlich gibt es einen anderen Lektor, mit dem die Arbeit besser passt und bei dem das Projekt die Blütezeit erreicht, die es verdient hat.


Nicht nur zum Applaudieren auf der Welt

Wenn die „Freindschaft“ aber stimmt, dann darf es umgekehrt auch mal krachen. Man muss nicht immer einer Ansicht sein, man kann auch im Widerspruch wachsen. Oft entstehen dann ganz neue Sachen, die dem Text neuen Drive geben. Auch das gibt es in der „Freindschaft.“

Man ist immer im Miteinander und im Gegenüber. In dieser Spannung können im Text die tollsten Dinge passieren. Und wenn man trotz mancher Kontroverse nach dem Projekt das Gefühl hat, dass man etwas Gutes hat entstehen lassen, kann man sich verabschieden mit einem „Bis zum nächsten Mal“ – auch wenn es garantiert wieder anstrengend wird.





Die Schreibmeer-Kolumne. Einmal im Monat dürfen unsere Autoren unter diesem Deckmantel aus den Tiefen des Schreibmeers blubbern.

6 Kommentare:

  1. Schöner Beitrag, danke.
    Der Autor, das sensible Wesen, mag selten Kritik (ich nehme mich da nicht aus). Ich habe aber auch schon selbst lektoriert (für eine Fachzeitschrift- keinen Roman) und weiß die Arbeit eines Lektors daher zu würdigen. Harte Arbeit, wenig Lohn...
    Viele Grüße
    Erin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank für das Lob, das freut mich sehr. Viel Arbeit, wenig Lohn ... Nun ja, vor allem aber auch: wunderschöne Arbeit. Und der Weg zur ersten Million ist doch sowieso der beste ;)

      Löschen
  2. Am besten gefiel mir der Vergleich mit der Hebamme - das Manuskript als Baby - einfach genial gut. Vielen Dank für diesen wirklich guten Beitrag.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank für das Feedback. Es freut mich, dass dieser Vergleich guten Anklang findet. Ich mag ihn auch sehr und nutze ihn, wo immer ich kann, um meine Arbeit zu erklären.

      Löschen
  3. Der Beitrag ist für mich wertvoll, da er die Innensicht eines Lektors zeigt. Ich hätte für meine selbstveröffentlichten Bücher gerne einen Lektor, aber leider erhöht das bei einem Selfpublisher nicht die Chancen auf einen Publikumsverlag oder erhöht die Verkaufszahlen.
    Wenn ein Lektor einen Roman "entbinden" hilft, sollte er nach meiner Erfahrung a) das Genre und das geschichtliche Umfeld des Romans kennen und b) in etwa das gleiche Alter wie der Autor haben. Meines Erachtens verdient es der Lektor immer, im Impressum oder bei den Danksagungen aufgenommen zu werden. Ist der Roman gut, sollte jeder sehen, wer ihn lektoriert hat. Umgekehrt gilt das Gleiche.
    Auffällig ist meines Erachtens, dass Erfolgsautoren anscheinend wenig auf Lektoren hören. Man sehe sich das Ende von Montecristo (Suter) oder die Story von Die Insel unter dem Meer (Allende) an. Kann ein Lektor einen derart unlogischen Schluss durchgehen lassen oder das Verhaspeln einer Isabel Allende ignorieren? Es würde mich sehr interessieren, ob meine diesbezügliche Ansicht stimmt ;-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dankeschön für diese ausführlichen Gedanken. Darauf möchte ich dann ebenfalls ein bisschen ausführlicher antworten.
      Dass sich ein Lektor im Genre und mit den Hintergründen auskennen muss, sollte ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Jedenfalls käme ich nie auf die Idee, Science-Fiction oder Horror zu lektorieren, oder Geschichten aus der Zeit der griechischen Antike – nicht mein Ding, hab ich keine Ahnung von. Dafür gibt es versierte Kollegen, die den Job zweifelsohne ausgezeichnet erledigen.
      Das Alter ... gute Frage eigentlich, dazu habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Einmal wurde ich bewusst angefragt, weil ich deutlich jünger bin als der betreffende Autor. Er wollte gerade den „jüngeren“ Blick auf den Text. Ansonsten weiß ich es meist gar nicht. Vielleicht ergibt es sich automatisch, wenn die Chemie stimmen soll.
      Zum Punkt Selfpublisher: Es ist unbestreitbar, dass allein durch ein gutes Lektorat die Verkaufszahlen ganz sicher nicht aus dem Stand in die Höhe schnellen werden. Aber ich bin schon der Ansicht, dass ein gutes Lektorat zum guten Ruf des SPlers beiträgt und dass sich dann langfristig ein größerer Erfolg einstellen wird. Allerdings niemals ohne gutes Marketing – da kann das Lektorat noch so gut sein. Umgekehrt ebenfalls: Beim besten Marketing sich wird ein Buch voller Schnitzer vielleicht erst gut verkaufen – das Nachfolgewerk aber ganz sicher nicht. Wobei es natürlich noch andere Optionen gibt, Stichwort versierte Betaleser etc. Aber es ist schon wahr, ich kenne die wirtschaftliche Crux vieler SPler, dass ein Buch kaum die Kosten für Lektorat, Satz, Grafik etc. einspielen wird. Das ist sehr, sehr schade, und ich bin immer bemüht, mit SPlern einen für beide Seiten finanziell machbaren Weg zu finden.
      Ob gerade hochrangige Autoren auf das Lektorat hören? Hmm. Die genannten Bücher habe ich jetzt zugegebenermaßen nicht vor Augen. Da gibt es, denke ich, zwei Punkte. Erstens: Wir wissen nicht, welche Gedankenarbeit hinter dem Text steckt und wie leidenschaftlich Autor und Lektor darüber disputiert haben. Vielleicht war die Stelle, die wir aus Lesersicht seltsam finden, vorher ganz anders, und das Ergebnis ist das Produkt langer Überlegungen hin und her. Zweitens, und das schließt daran an: Die Lesersicht (auch die Lektorensicht) ist immer subjektiv. Ich habe auch schon als Leser Unstimmigkeiten in einem Text gefunden, die ein anderer Leser aber völlig in Ordnung fand. Durchaus, man findet manchmal arge Schnitzer in bereits gedruckten Büchern namhafter Autoren, das kann man nicht leugnen. Aber wir sind alle nur Menschen – vielleicht wurde da schlicht was übersehen.
      Ich hoffe, das war jetzt nicht allzu langatmig – aber es war für mich ebenfalls sehr interessant, über diese Punkte noch einmal nachzudenken.

      Löschen

Wie hat dir dieser Artikel gefallen?