Mittwoch, 28. September 2016

Ein Hoch auf das schulische Schreiben

In vielen Schreibgruppen und Schreibforen sieht man es immer wieder: Das Schimpfen auf den Deutschunterricht aus der Schule. „Mein Lehrer hat uns nur Quatsch beigebracht!“, „Mein Lehrer hat meinen Stil ruiniert, daran knabbere ich heute noch!“ und „Wie wir in der Schule geschrieben haben ist ja der totale Schwachsinn, das beißt sich total mit Schreibratgeber XYZ!“, so oder so ähnlich lässt es sich immer wieder in entrüsteten Wortmeldungen lesen.



Grund genug, hier in einem Artikel einmal einen Blick auf das schulische Schreiben zu werfen. Gar so unnütz, wie manch einer behauptet, ist es nämlich gar nicht.


Sinn und Zweck des schulischen Schreibens

Das größte Problem liegt vermutlich in der Erwartungshaltung, die so viele Autoren haben. Tatsächlich bildet die Schule nämlich keine Schriftsteller aus, egal wie zentral ein etwaiger Literatur- oder Schreibunterricht auch angelegt sein muss. Die Schule soll uns auf das spätere Leben vorbereiten – ob und wie sie diesem Anspruch gerecht wird, tut hierbei nichts zur Sache. Der Anspruch bleibt. Und er hat fundamentale Konsequenzen: Nur die wenigsten Schüler werden Schriftsteller und folglich gehört es auch nicht zu den Aufgaben der Schule oder des Deutschunterrichts, Schüler zu zukünftigen Literaturnobelpreisträgern auszubilden.

Stattdessen ist die Hauptaufgabe des Deutschunterrichts, eine Handlungsfähigkeit im Hinblick auf Lesen und Schreiben zu gewährleisten. Im Fachjargon bezeichnet man diese Handlungsfähigkeit als Literacy und er umfasst alles, was mit geschriebenem Wort zu tun hat, sei es das Lesen von Büchern, das Schreiben von Einkaufszetteln, das Surfen im Internet, das Kommentieren eines anstößigen Blogposts (wie diesem hier) oder eben das Verfassen einer kleinen Kurzgeschichte.

Was die Schule leisten muss, ist also sehr breit gefächert und umfasst nicht nur literarisches Schreiben.


Lehrstoff – Bloß nichts vergessen!

Was man auch sehr oft im Internet liest, sind diese „Vergiss alles, was du in der Schule gelernt hast, das bringt dich gar nichts!“-Tipps. Man bemängelt, Deutschlehrer hätten die ulkigsten und sinnfreiesten Vorgaben gemacht und damit jegliche Fähigkeit, literarisch zu schreiben, terminiert. Man liest von Reizwortgeschichten, von dem Zwang zum Vermeiden von Wortwiederholungen, von stur anzuwendenden Spannungsbögen und verfehlten Themen. Überall scheint ein Drill zu herrschen, der jegliche kreative Entfaltung zerstört.

Dazu sei zunächst erneut gesagt: Diese Dinge dienen nicht primär der schriftstellerischen Ausbildung, weshalb der Anspruch, dass man dadurch ein besserer Schriftsteller werden sollte, einfach keinen Sinn macht.

Weiters geht es, wie bereits erwähnt, um Handlungsfähigkeit. Und Handlungsfähigkeit setzt eine gewisse sprachliche Bewusstheit voraus, auf der man dann später aufbauen kann. Deutschunterricht legt also Grundlagen und schafft die Bedingungen, an die dann z.B. ein Studium des Kreativen Schreibens an einer Uni anknüpfen kann.

Schauen wir uns etwa die Wortwiederholungen an: In der Praxis artet das oft in Orgien der Verba dicendi aus – sagte, murmelte, flüsterte, rief, schrie, raunte, fragte, hustete, lachte und und und. Denn in Geschichten sprechen viele Menschen und wenn die alle ihre Sätze nur sagen, kommt der Rotstift.

Viele Schriftsteller beginnen ihre Karriere dann damit, sich diese Vielfalt abzugewöhnen, denn seien wir ehrlich: Natürlich ist zu viel Vielfalt übertrieben. Manchmal sagt man etwas halt einfach nur.

Aber diese Übung leistet etwas ganz anderes: Sie sensibilisiert uns für das Phänomen der Wortwiederholung – etwas, was uns im Alltag als Schriftsteller sehr oft Kopfzerbrechen bereitet.

Oder der Spannungsbogen: Natürlich ist es mühsam, sich stur an die Aufteilung Einleitung – Hauptteil – Schluss zu halten. Aber wer noch nie eine Geschichte geschrieben hat (Und welcher Schüler hat das schon?), der braucht erst einmal eine Anleitung, einen Plan, an dem er sich entlanghangeln kann.

Sonst zäumen wir das Pferd von hinten auf – was natürlich auch eine Idee ist. Man kann Geschichten am Ende beginnen und mit Rückblenden arbeiten. Oder direkt auf dem Höhepunkt beenden und den Schluss streichen. Oder man startet medias in res und schenkt sich die Einleitung. Oder oder oder … aber all diese Dinge können wir nur, weil wir wissen, wie eine Geschichte konstruiert wird. Und das haben wir im Deutschunterricht gelernt.


Lehrer sind keine Schriftsteller

Das zweite Problem: Wir glauben, der Schulunterricht macht uns zu Schriftstellern. Aber dabei übersehen wir eines: Uns bilden keine Schriftsteller aus. Lehrer sind keine Autoren, sie sind Lehrer, ausgebildet in Didaktik, Literaturwissenschaft, Linguistik und natürlich Schreibtechniken. Aber sie haben noch keinen Harry Potter verfasst und wissen auch nicht wie.

Aber das ist in Ordnung. Sie sind dazu ausgebildet, uns unser Literacy zu verschaffen. Und diesen Job machen sie in der Regel gut.

Wer Glück hat, gerät an einen Deutschlehrer, der auch schreibt – und erhält so einen tieferen Einblick in das Schriftstellerhandwerk. Viele Deutschlehrer sind aber auch ausgesprochene Leseratten und könnten euch stundenlang von der großen Literatur vorschwärmen, ohne aber selbst je etwas anderes als die üblichen Textsorten der Schule geschrieben zu haben. Auch das ist legitim.

Sie müssen schließlich keine Schriftsteller sein.

Und wir sollten das nicht von ihnen erwarten.


Fazit

Der Deutschunterricht macht uns handlungsfähig und wir verdanken ihm, dass wir überhaupt wissen, wie wir die einzelnen Buchstaben aneinanderreihen müssen, wie wir einen Text konstruieren, wie wir Attribute einsetzen, wie wir Sätze verknüpfen und wie wir Wortwiederholungen vermeiden – und noch viel, viel mehr.

Der Deutschunterricht macht uns aber nicht zu Schriftstellern, das ist auch nicht seine Aufgabe. Stattdessen legt er das Fundament, dass es uns ermöglicht, weiter zu lernen.


„Vergiss, was du in der Schule gelernt hast!“ ist dabei der blödeste Rat, den ich mir nur vorstellen kann. Wir sollten einander besser raten: „Gut, das hast du in der Schule gelernt. Nun löse dich von der Vorgabe, probiere dich aus und wenn es nicht klappt, dann fang nochmal von vorne an. Denn aus Fehlern lernt man.“

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Zum Weiterlesen:



Florian ist Kurzgeschichten-Autor, Weltenbauer, Story-Telling-Enthusiast und Latinist. Er veröffentlicht regelmäßig Kurzgeschichten auf dem Tintenfleck und bloggt über fiktive Welten auf der Weltenschmiede.



4 Kommentare:

  1. Schön, dass du eine Lanze für den Deutschunterricht gebrochen hast, Florian. Mein Deutschlehrer hat durch kreative Projekte, die damals im Profilkurs in der 11. Klasse noch möglich waren, meine Lust am Schreiben tatsächlich gesteigert. Natürlich kann auch das Gegenteil der Fall sein - wie so vieles eben an den Lehrern hängt.

    Viele Grüße,
    Patricia

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    1. Natürlich steht und fällt alles mit dem Lehrer - darum bin ich umso froher, wenn du da eine positive Erfahrung gemacht hast! :-)

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  2. Sehr schön geschrieben. Wenn ich heute an meinen Deutschunterricht zurückdenke, dann kann ich sagen, ich habe Glück gehabt mit meinen Lehrern - von Anfang an, schon seit der Grundschulzeit, die damals noch Unterstufe hieß. Ermutigung zu Selbstausgedachtem gab es da, vor allem aber die Hinführung zu den verschiedensten Büchern und Texten, die Lust zum Lesen gemacht hat. Und eine Menge Rüstzeug, was Rechtschreibung und Grammatik betrifft, viele Dinge, die eine Menge Schüler - nach dem, was ich so in diversen Foren mitbekomme, - heute nicht mehr lernen oder nicht so erklärt bekommen, dass sie es verstehen. Wie erkennt man, ob ein Text gut ist? Der Unterricht kann in dieser Richtung sensibilisieren, er vermittelt Handwerkszeug, macht sprachliche Mittel bewusst, lässt uns aufmerksamer lesen, macht Unterschiede zwischen Textsorten deutlich und vermittelt, dass man eine persönliche Mail anders schreiben muss als einen Widerspruch bei einer Behörde - eben genau jene Fähigkeiten des alltäglichen Umgangs mit Sprache. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Und das ist eine ganze Menge. Wenn ein Deutschlehrer sensibel reagiert auf schreibende Schüler, ist das natürlich toll, doch ich denke, entscheidend ist hier immer das häusliche Umfeld. Der Satz "Vergiss alles, was du in der Schule gelernt hast!" ist einfach viel zu kurz gedacht und eine Herabwürdigung der Arbeit der Lehrer, deren Aufgabe es ja nicht ist, Autoren auszubilden. Die meisten Lehrer freuen sich außerdem, wenn sich Schüler für ihr Fach interessieren und geben sicher gern Tipps, schwieriger ist es da schon, zuzugeben, dass man bestimmte Dinge nicht weiß oder nicht kann. Da befürchten manche, ihre Autorität könnte leiden.

    Viele Grüße
    Grit

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    1. Ich glaube, dass das mit dem Zugeben von Unwissen ein gesellschaftliches Problem ist. Lehrer wurden jahrzehnte-, wenn nicht gar jahrhundertelang gesellschaftlich als unfehlbare Wissensbastionen gesehen und heute, wo die Schule im Umbruch ist, geraten Lehrer von allen Seiten aus unter Beschuss. Da kann es schwer werden, auch noch zugeben zu müssen, dass man etwas nicht weiß - dann kommt zusätzlich zum berühmten "Die haben eh ständig Ferien und frei!"-Vorwurf noch ein "Der kennt nicht einmal sein eigens Fach!"-Vorwurf dazu - bzw. könnte dazukommen.
      Es gibt ja auch noch vernünftige Menschen da draußen, die nachdenken und nicht alles über einen Kamm scheren :-)

      Grad anschließend zu dem Thema hat jetzt ja meine Kollegin Katherina auch einen tollen Artikel darüber geschrieben, wie man am besten mit Kindern umgehen sollte, die schreiben. Ist das Lesen wert, falls du ihn nicht eh schon gesehen hast :-)

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