Du läufst durch eine Straße deiner Heimatstadt. Aber irgendwas ist anders. Die Gebäude sind irgendwie höher und es wachsen viel mehr Bäume. Stand das Haus dort vorhin auch schon da? Nein, ganz bestimmt nicht.
Auf einmal wird es dir klar: Du träumst! Eine andere Erklärung dafür gibt es nicht. Vor allem nicht für die kleinen Drachen, die dort im Schaufenster verkauft werden. Du nimmst Anlauf, hebst ab und fliegst ...
Ein luzider Traum (auch Klartraum genannt) ist ein Traum, in dem der Träumer sich bewusst ist, dass er träumt.
Das heißt, man weiß, dass man träumt, kann selber entscheiden, was man als Nächstes tun möchte und mit etwas Übung auch die Umgebung beeinflussen (und praktischerweise muss man dafür keinen Dämon beschwören oder gruselige Traumflure betreten wie Liv Silber in den Büchern von Kerstin Gier).
Luzides träumen kann eigentlich so ziemlich jeder lernen. Es gibt unterschiedliche Übungen, die man machen kann. Da eine vollständige Auflistung aller Übungsmethoden hier den Rahmen sprengen würde, möchte ich euch die Übungen zeigen, mit denen ich es selbst gelernt habe. Aber zunächst ein bisschen Theorie ...
Was ist ein Traum eigentlich?
Der Schlaf kann unterteilt werden in REM-Schlaf und non-REM-Schlaf. REM steht für »rapid eye movement«, also schnelle Augenbewegungen. In dieser Zeit träumen wir. Über die Nacht hinweg durchlaufen wir mehrere Zyklen von leichtem Schlaf, Tiefschlaf und REM-Phasen. Am Anfang der Nacht verbringen wir relativ viel Zeit im Tiefschlaf (non-REM-Schlaf). In der zweiten Nachthälfte jedoch nimmt der REM-Schlaf zu. Die Traumphasen werden also immer länger. Eine gute Übersicht über die Schlafphasen findest du hier: Gesunder Schlaf- woran erkennt man ihn?
Die genaue Funktion von Träumen, also wofür er gut ist, ist umstritten. Es gibt bisher keine einheitliche Theorie, die uns Aufschluss darüber gibt, warum wir träumen.
Wie kann ich luzides Träumen lernen?
0. Erinnere dich an mindestens einen Traum pro Nacht
Es gibt Menschen, die erinnern sich nur sehr selten an ihre Träume. Das ist aber unbedingt notwendig, wenn man das Klarträumen erlernen möchte. Um überhaupt damit anzufangen, dich an träume zu erinnern, kannst du dir den Wecker auf die zweite Nachthälfte stellen und ab dem ersten Aufwachen immer eine Stunde vorstellen. Denn, wie oben beschrieben, nehmen Träume innerhalb der zweiten Nachthälfte zu. Nimm dir außerdem vor, dich beim Aufwachen an einen Traum zu erinnern.
1. Schreibe ein Traumtagebuch
Wenn du dich an einen Traum pro Nacht erinnern kannst: Super! Dann kannst du beginnen, ein Traumtagebuch zu schreiben. Lege dir das Buch zusammen mit einem Stift neben dein Bett. Wenn du nun aufwachst und dich an einen Traum erinnern kannst, schreibe ihn ganz genau auf: Was ist passiert? Wo bist du? Was tust du? Wer ist noch da?
2. Suche nach deinen ganz persönlichen Traumzeichen
Es gibt bestimmte Dinge, die im Traum anders sind als in der Realität. Das Umfeld ist nicht so konstant. Daher wird sich z.B. der Text auf Plakaten, Straßenschildern oder in Büchern ändern, wenn du kurz weg- und danach wieder hinsiehst. Oder das Muster der Pflastersteine ändert sich. Menschen befinden sich an einem Ort, an dem sie sonst nie sind, oder die Gesetze der Physik wurden außer Kraft gesetzt. Suche nach allem, was deutlich macht, dass das eben ein Traum war und nach Dingen, die sich in deinen Träumen vielleicht regelmäßig wiederholen. Schlüpfst du in andere Rollen, bist du z.B. ein Tier oder ein Anwalt? Bist du im Traum häufiger auf abgefahrenen Partys, im Gegensatz zum realen Leben? Begegnen dir bestimmte Dinge oder Menschen immer wieder, die dir so in der Realität nicht begegnen?
Umso genauer du weißt, was für deine Träume typisch ist, desto eher wirst du irgendwann bewusst bemerken, dass du träumst.
3. Beginne im wachen Leben mit Realitätschecks
Versuche, tagsüber regelmäßig zu überprüfen, ob du gerade träumst oder wach bist. Und das ganz ernsthaft. Beweise dir selbst, dass das gerade kein Traum ist. Wenn dir das mal nicht gelingt: Herzlichen Glückwunsch, du träumst! (Jetzt nicht aufwachen vor Schreck)! Es gibt mehrere Dinge, die du überprüfen kannst:
- zeitliche Abläufe: Wo bist du gerade, was hast du davor gemacht? Und davor? Und davor? Ergibt das einen Sinn? Oder warst du soeben noch am Polarkreis und befindest dich jetzt in der Karibik auf einem Kreuzfahrtschiff mit jeder Menge Zootieren an Bord?
- räumliche Orientierung: Wo bist du? In deiner Wohnung. Sieht die so aus, wie sie aussehen sollte, oder steht da vielleicht eine Kuh mit Lolli im Maul in der Küche? Wenn du aus dem Fenster schaust, siehst du die New Yorker Skyline statt deines Wohnviertels? Vier Sonnen am grünen Himmel? Ich denke, es ist klar, was ich meine :-)
- Schrift: Du kannst dir einen Zettel mit einem bestimmten Text in den Geldbeutel stecken und regelmäßig draufschauen. Wenn plötzlich etwas anderes draufsteht, als es sollte, ist es ein Traum. Genauso gut kannst du aber z.B. Straßenschilder oder Plakate nutzen, indem du liest, was darauf geschrieben steht, dann kurz wegsiehst und dann erneut liest. Dasselbe funktioniert auch ganz gut mit Mustern (z.B. von Sitzbezügen in der S-Bahn). Wenn dein Gehirn lernt, solche Realitätschecks regelmäßig auszuführen, wirst du es irgendwann auch automatisch im Traum tun.
4. Entwickle eine feste Absicht und Pläne
Nimm dir gleichzeitig jede Nacht vor, einen luziden Traum zu haben. Du kannst auch schon planen, was du dann probieren möchtest. Wolltest du schon immer mal fliegen? Oder mit Delfinen tauchen? Alles kein Problem im Traum.
5. Nicht aufwachen!
Am Anfang kann es passieren, dass du aufwachst, nachdem du erkannt hast, dass du träumst. Um das zu verhindern, kannst du verschiedene Dinge machen: zum Beispiel etwas Traumtypisches wie Fliegen. Oder du konzentrierst dich auf deine Sinne, beginnst irgendeine Aktivität (laufen, mit jemandem reden, kurz die Augen schließen, sie - im Traum - reiben und wieder öffnen, sich um die eigene Achse drehen).
Kann ich das luzide Träumen auch irgendwie praktisch nutzen?
Aber natürlich. Es gibt einige Möglichkeiten, das Klarträumen zu nutzen (neben dem riesigen Spaß, den man dabei sowieso hat). Du kannst aktiv gegen Alpträume vorgehen, Situationen, die dir im realen Leben Schwierigkeiten bereiten, proben, oder Orte besuchen, an die du schon immer mal reisen wolltest.
Das Letztere dürfte für uns Autoren am interessantesten sein. Warum nicht einfach mal an den Schauplatz des Romanfinales reisen und sich dort alles direkt ansehen? Bis das klappt, ist natürlich einiges an Übung nötig. Diese Art der Einflussnahme nennt sich »Trauminkubation«. Du versuchst dir im Wachzustand möglichst genau dein Ziel vorzustellen und deinen Wunsch zu formulieren. Im Traum kannst du deine Absicht dann weiter verfolgen. Es ist möglich, im Traum auch Gegenstände oder Handlungsorte zu verändern. Wenn du an anderer Stelle »erwachst«, als du es dir vorgenommen hattest, geh doch mal durch diese Tür, vielleicht liegt dein Ziel ja direkt dahinter? Oder du fliegst einfach schnell ein paar Kilometer weiter zu deinem Zielort.
Wohnt dort in dem Wolkenkratzer dort nicht deine Prota? Und ist das da unten nicht die Ranch, in der sie demnächst ihre große Liebe finden wird?
Selbstverständlich können luzide Träume auch einfach eine gute Inspirationsquelle für neue Geschichten sein. Und noch eine Sache ist anders als in Liv’s Welt: Das luzide Träumen ist nicht anstrengend. Okay, die erste Phase, in der du dir nachts den Wecker stellst, kann anstrengend sein. Aber das luzide Träumen an sich raubt dir keine Energie. Selbst mit ein oder zwei luziden Träumen in der Nacht wirst du genauso fit aufwachen wie nach einer ganz gewöhnlichen Nacht. Für alle, deren Interesse jetzt geweckt ist, kann ich das Buch »Träume, was du träumen willst: Die Kunst des luziden Träumens« empfehlen. Es ist wirklich sehr umfangreich, bietet viele detaillierte Übungsanleitungen, ist aus wissenschaftlicher Sicht geschrieben und dabei trotzdem sehr gut zu lesen. Kein esoterischer Firlefanz. Dadurch, dass es so umfangreich ist, empfehle ich die Printversion. Denn für die ersten Versuche müsst ihr nicht alles lesen. So könnt ihr bequemer nachschlagen, welche Teile und Themen euch interessieren. Dort ist auch alles, was ich hier nur angeschnitten habe, ausführlich erklärt. Übung:
Fang an! Überleg dir, wie weit du mit deinen Traumerfahrungen bist, und steig dann am entsprechenden Punkt mit den Übungen ein. Und bitte, bitte erzähl hier unten in den Kommentaren von deinen ersten luziden Erlebnissen, wenn es so weit ist :-)
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