Mittwoch, 1. Juli 2015

Kolumne: „Dem Volk aufs Maul...“ - Über Sprachpfleger und Anglizismen

Ein Gespenst geht um in den Autorencommunities - das Gespenst der Anglizismenhasser und Sprachpfleger. Zur Erklärung: Sprachpfleger sind Leute wie Bastian Sick, die fernab jeglicher linguistischer Grundlagen und des Dudens ein Bild von einer standardisierten Hochsprache entwerfen, das es so nicht gibt.

Dabei negieren sie den Aspekt, dass sich Sprachen entwickeln und sich auch unsere heutige Form des Gegenwartshochdeutschen erst entwickelt hat. Es ist daher einfach nur vollkommen irrational, unser heutiges Deutsch als „Musterlösung“ und „Endstufe“ zu sehen und dabei alle Sprachentwicklungen zu verteufeln.
Sie bemängeln dabei beispielsweise den Wegfall von Artikeln und Präpositionen in der Jugendumgangssprache „Ich geh Kaufhof“, vergessen aber dabei, dass sich unsere Grammatik seit dem Althochdeutschen bereits stark vereinfacht hat. Im Althochdeutschen gab es noch Kasusendungen bei Substantiven wie im Lateinischen, diese sind auch einfach weggefallen.

 

Sprachpfleger haben nicht nur ein reaktionäres Verständnis von Sprache, sondern lehren auch entgegen der Empfehlungen der Dudenredaktion.


Christoph Müller zeigt in einem Aufsatz*, dass sich Bastian Sick beispielsweise gegen die Verwendung bestimmter Attribute, die mit -weise gebildet werden, richtet, also wäre nach Sick eine Formulierung wie „schrittweise Aussöhnung“ verboten, die aber der Duden erlaubt.

Man darf sich die deutsche Sprachwissenschaft nicht als starre Organisation vorstellen, die wie Richter sagen: „Das ist korrekt und das nicht!“ Dieses Bild vermitteln nur immer gerne die oben erwähnten Sprachpfleger. In Wirklichkeit gibt es sehr viele Zweifels- und Streitfälle, über die sich Linguisten gerne streiten, z.B. „eines Nachts“ (eigentlich gibt es kein Genitiv-s bei Feminina, diese Ausnahme ist aber vom Duden anerkannt) oder „lilanes Kleid“, das noch nicht als standardsprachlich angesehen wird, aber im Sinne der künstlerischen Freiheit durchaus legitim ist. Generell würde ein wissenschaftlich arbeitender Sprachforscher niemals von „richtig“ oder „falsch“ in Bezug auf Sprache sprechen, sondern von „Abweichungen von der Norm“. Die deutsche Linguistik versteht sich als deskriptive, also beschreibende und analysierende Wissenschaft, nicht als normative, also von sich aus vorgebende.

Es stellt sich jetzt für euch vielleicht die Frage, warum dann Sprachpfleger wie Bastian Sick so erfolgreich sind. Diese Frage beantwortet Christoph Müller meiner Meinung nach sehr genau:

„Tendenziell vertreten die Publikationen des Dudenverlags ein flexibles Normkonzept, das Differenzierungen zulässt. Die Autoren sprachpflegerischer Werke neigen demgegenüber stärker dazu, nur eine Variante zu akzeptieren. Daraus erklärt sich auch ihre große Popularität. Wer globale Richtig-Falsch-Regeln propagiert, kann sich breiter Zustimmung sicher sein. Er enthebt die Sprachbenutzer der Verpflichtung, den Einsatz sprachlicher Mittel abzuwägen. Er versetzt die Sprachbenutzer in die Lage, sich als Richter über die Sprachproduktionen anderer aufzuspielen und gibt ihnen auf diese Weise ein Herrschaftswissen an die Hand.“**

Aber nicht nur über grammatische Phänomene regen sich Sprachpfleger auf – auch und besonders gern über Anglizismen.

Immer wieder geistern Meldungen und lustige Bilder über Anglizismen durch die Autorengruppen. Anglizismen mögen vielleicht in vielen Fällen nervig oder seltsam erscheinen, zeigen aber nur ein Phänomen im Deutschen, für das wir Autoren besonders dankbar sein sollten. Das Deutsche ist sehr flexibel und hat sich schon immer gern an Fremdwörtern, übrigens besonders aus dem Französischen, bedient. Dabei ist nicht nur gemeint, dass Wörter direkt übernommen, sondern auch flektiert werden können. Es wäre schwierig, ohne Wörter wie „googeln“ oder „chatten“ auszukommen. Wie bereits erwähnt, ist es auch für das Deutsche ganz normal, Wörter aus anderen Sprachen zu entlehnen, obwohl man auch „deutsche“ Begriffe verwenden könnte. Warum zum Friseur gehen, wenn der Haarschneider viel näher wäre? Warum zum Masseur, wenn der Körperkneter gleich um die Ecke ist? Die Kritik, die heute an Anglizismen geübt wird, ist ziemlich ähnlich mit der, die vor ein paar Jahrhunderten an den Gallizismen geübt wurde.


Aber warum ist das für uns Autoren so wichtig?

Man schränkt sich unnötig stark ein, wenn man auf Sprachpfleger hört. Das Deutsche ist so wandelbar, dabei in der Lage, verschiedenste Wortarten in andere zu übertragen, ellenlange und komplexe Komposita zu bilden und sich ohne Probleme Wörter aus anderen Sprachen zu klauen und zu grammatikalisieren. Wörter sind unsere Rohstoffe, die Grammatik unser Werkzeug und wir würden uns selbst ins Knie schießen und Möglichkeiten nehmen, wenn wir ohne sprachwissenschaftliche Notwendigkeit auf bestimmte Rohstoffe und Werkzeuge verzichten würden oder uns gar selbst die Fähigkeit absprechen, eigene Werkzeuge zu erfinden. Ich kann euch nur ans Herz legen, direkt in den Duden zu schauen, wenn ihr euch unsicher seid. Fragt nicht gleich in irgendwelchen Gruppen oder schaut nicht in die Bücher von Bastian Sick. Dort wird ohne den Gebrauch von Quellen häufig unfundiertes Halbwissen verbreitet.


Auch ich stimme mit dem Duden nicht immer überein.

Vor ein paar Tagen habe ich mich sehr über die Imperativform von „fechten“ gewundert, die offiziell „ficht“ ist. Im Sinne der künstlerischen Freiheit würde ich mich eventuell darüber hinwegsetzen, aber dann mache ich das mit vollem Bewusstsein, mich von der Norm zu verabschieden und berufe mich auf die künstlerische Freiheit. Es ist aber ein Unterschied, ob man einen „Fehler“ macht, weil man es nicht besser weiß oder weil man eine Version persönlich schöner findet. Vertraut auf den Duden, dann seid ihr immer auf der sicheren Seite.


*Vgl. Müller, Christoph: „Wat ihr normal nennt... – Ein didaktisches Dilemma und die Chance, aus der Not eine Tugend zu machen“, erschienen in „Wie normal ist die Norm?“, Hrsg.Mathilde Hennig und Christoph Müller, Kassel 2009, S.71
 
** Müller: S.82

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