Mittwoch, 24. Januar 2018

Der Fluch des selbstkritischen Autors

Wenn man Fremdwerke nicht mehr genießen kann und wie man das in einen Vorteil verwandelt

Es gab eine Zeit, da habe ich Bücher, Filme und Serien völlig unreflektiert konsumiert. Natürlich kam es vor, dass mir etwas dabei nicht gefiel. Über kleinere Dinge habe ich hinweggesehen, größere Kritikpunkte konnten dazu führen, dass mich die Fortsetzung nicht mehr interessiert hat. Tiefschürfende Gedanken habe ich mir dazu jedoch selten gemacht. Es war einfach so. Umgekehrt genügte es häufig schon, einen Aspekt ganz besonders toll zu finden – eine Figur, eine epische Schlacht, einen fiesen Twist, neben dem der Rest verblasste.




Diese Zeiten sind lange vorbei.


Durch das Schreiben hat die Art und Weise, wie ich Unterhaltung konsumiere, innerhalb weniger Jahre eine radikale 180°-Wendung durchlaufen. Ich bin unglaublich kritisch mit meinen Geschichten. Ich will meinen Lesern das Beste zu dem ich fähig bin bieten. Aber damit es überhaupt dazu kommt, muss ich damit zufrieden sein (und trotzdem finde ich auch Jahre später noch Dinge, die verbesserungswürdig sind).
So hoch, wie ich die Messlatte bei mir selbst ansetze, setze ich sie auch bei anderen an. Mit der traurigen Konsequenz, dass ich zumindest eine Zeitlang Bücher, Filme etc. kaum noch genießen konnte.
Zuerst fiel es mir nicht auf, aber als ich irgendwo zwischen der Überarbeitung des zweiten Teils meiner Fanfiction-Reihe und den Schreiben des dritten zum ersten Mal seit längerer Zeit die alten Star Wars Filme sah, merkte ich, dass etwas anders war. Mit einem Mal konnte ich die Filme, die für mich seit jeher über jede Kritik erhaben waren, nicht mehr so genießen, wie früher. Mit einem Mal fehlte die rosarote Brille und ich entdeckte Logikfehler (und das nicht nur auf Grund des Forschungsstandes von Astronomie und Kosmologie in den späten Siebzigern), schlechte Dialoge und Plotlöcher. Diese Erfahrung war und ist auch heute noch immer wieder schmerzhaft.
Doch das war erst der Anfang einer Entwicklung, die mir in den folgenden Jahren den Konsum von Unterhaltungsmedien schwermachen sollte, als würde ein Hintergrundthread in meinem Hirn ein Analyseprogramm in Dauerschleife laufenlassen. Ich war wachsamer geworden, reflektierte mehr, was ich mir da eigentlich reinzog, analysierte und damit stiegen meine Ansprüche an die Form der Unterhaltung. Ich wurde selektiver.

Das Leben ist ohnehin viel zu kurz, um all die Bücher zu lesen, die man gerne lesen möchte. Daher wird häufig geraten, eine Lektüre abzubrechen, wenn sie einem nicht zusagt. Ähnlich war es bei mir. Ich habe zwar keine Bücher abgebrochen, aber sehr genau darauf geachtet, was ich lese und eine entsprechend strenge Vorselektion getroffen. Ich war zu kritisch, um meine durch Vollzeitjob und Schreiben ohnehin schon knapp bemessene Zeit damit verschwenden zu wollen.

Es ist frustrierend, ein Buch zu lesen und all die kleinen und großen Fehler zu sehen. Bei Filmen empfinde ich das als noch extremer, weil ich hier nicht auf Schreibstil und einige nur schriftlich funktionierende Erzähltechniken zu achten brauche. Analysieren macht Spaß, besonders wenn es ins Philosophische oder Tiefenpsychologische abdriftet. Das hört jedoch auf, wenn ich mich beim Grübeln über Plotlöcher ertappe, die durch einen oder zwei wohlplatzierte Sätze hätten abgewendet werden können, oder Charaktere auftauchen, deren Verhalten so offensichtlich irrational ist, dass es nur auf den Plot zugeschustert sein kann. Und je größer der eigene Erfahrungsschatz, je mehr ich schreibe und überarbeite und je mehr ich lese, desto stärker fallen mir Kritikpunkte auf. Ein echter Spaßkiller, nicht nur bei neuen Büchern, die gerade angefangen haben zu gefallen, sondern auch bei Allzeit-Lieblingen.

Tatsächlich tut man sich mit dem Abbruch eines Buches nur bedingt einen Gefallen. In Bezug darauf, die eigene Lebenszeit möglichst angenehm zu gestalten, profitiert man davon gewiss. In Bezug auf die eigene schriftstellerische Entwicklung finde ich es jedoch wichtig, auch von Negativbeispielen zu lernen.
Thomas Edison hat unzählige Versuche gebraucht, bis er die erste funktionsfähige Glühbirne konstruiert hatte – unzählige Wege, wie es nicht geht. Auch wenn die Definitionen von „richtig“ und „falsch“ beim Schreiben aufgeweicht sind und unter anderem von Aspekten wie Genre und Intention abhängen, kann man hier von anderen lernen.

Was für mich zu einem aus meinen hohen Ansprüchen an mich selbst resultierenden Fluch geworden war, wurde schließlich zu einer Chance, andere Werke zu studieren und daraus zu lernen. Kann man sich von seinen Ansprüchen freimachen, ist reflektierter Konsum von Unterhaltungsmedien ein mächtiges Werkzeug für jeden Autor. Storytellingtechniken, Wordlbuilding, Charakterentwicklung, wie man Informationen in den Text einfließen lässt, ohne den Leser damit zu erschlagen, wie man die Balance zwischen Humor und Dramatik hält, sind Dinge, die man an anderen Geschichten wunderbar studieren kann. Allerdings ist das umso schwerer, je mehr man eine Geschichte mag, weil man dann umso mehr dazu neigt, ihre Fehler zu übersehen.

Ich bin noch immer kritisch, das Analyseprogramm läuft noch immer im Hintergrund mit. Eine gewisse Vorselektion findet weiterhin statt, weil mir für extreme Negativbeispiele der Sinn danach stehen muss. Trifft eine Geschichte nicht meine Erwartungen, versuche ich zu ergründen, warum das so ist und was ich anders gemacht hätte. Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht, dass Allzeit-Lieblinge wie Krieg der Sterne oder meine heißgeliebte Gilde der schwarzen Magier teils enorme Schwächen haben, und stehe zu diesen.
Wird ein Thema, das Fingerspitzengefühl erfordert, unsensibel behandelt, gibt es Plotlöcher, sind die Dialoge platt oder ist der Humor überdosiert (eine Krankheit, an der neuerdings zahlreiche Kinofilme zu leiden scheinen), mindert das meine Begeisterung auch heute noch – insbesondere wenn ich mich darauf gefreut habe. Aber man kann auch eine solche Enttäuschung in eine Chance verwandeln, daraus etwas für die eigenen Geschichten zu lernen. Nicht reflektiert zu lesen, bringt jeden, der selbst schreibt, nicht weiter.
Auch in Bezug auf meine eigenen Geschichten bin ich ein wenig entspannter geworden, seit ich ein paar treue Testleser gefunden habe. Es ändert nichts an der Höhe meiner Messlatte, aber alleine dadurch, dass ich meine Geschichten für eine Weile loslassen und in die Obhut anderer geben kann, wird mir eine ungeheure Last von den Schultern genommen.

Reflektiertes Lesen bringt einen nicht nur in Bezug auf das Schreiben weiter. Reflektionsvermögen ist in allen Lebenslagen wichtig. Indem wir über die Motive und Aktionen fiktiver Charaktere nachdenken, reflektieren wir auch unser eigenes Verhalten und unsere Ansichten und Einstellungen.


Wenn ihr das nächste Mal ein Buch lest oder einen Film schaut, analysiert die Geschichte und ihre Umsetzung und versucht herauszufinden, was sie in euren Augen richtig macht und was ihr nicht gut gelöst findet.

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Zum Weiterlesen:





Sonea schreibt Fanfictions auf Fanfiktion.de und bloggt übers Schreiben und ihre Projekte auf Tales From Kyralia.


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