Mittwoch, 26. August 2015

Der kreative Prozess

Die meisten von euch dürften diese Situation kennen: Ihr sitzt da, vor der leeren Seite, und wisst einfach nicht, wie ihr anfangen sollt. Eine Idee für eine gute Geschichte hattet ihr schon eine Weile nicht mehr? Eure Protagonisten hängen in irgendeiner verfahrenen Situation und ihr habt keine Ahnung, wie ihr sie da wieder raus bekommen sollt? Und dann, plötzlich, unter der Dusche, beim Gassi-gehen oder Wäsche aufhängen, ist sie da. Die Idee. Glasklar steht sie vor euch, und ihr wundert euch, warum ihr nicht schon viel früher drauf gekommen seid.




Dieses Erlebnis ist ganz typisch für den kreativen Prozess. Doch wie entsteht ein solches „Aha-Erlebis“ und welche weiteren Schritte durchlaufen unsere Ideen, bis daraus ein vollständiges Werk entstehen kann?

Laut Mihaly Csikszentmihalyi (1997) wird der kreative Prozess, die Entstehung neuer Ideen, in fünf Phasen unterteilt:

  • Vorbereitungsphase 
  • Inkubationsphase 
  • Einsicht 
  • Bewertung 
  • Ausarbeitung 


Vorbereitungsphase


Jede kreative Arbeit beginnt damit, dass man sich bewusst mit einer bestimmten Frage oder einem Problem auseinandersetzt. Im Bezug auf das Schreiben kann das zum Beispiel eine Idee für eine Geschichte sein. Vielleicht hat man schon einen coolen Anfang im Kopf oder will unbedingt eine Geschichte in einem bestimmten Setting schreiben. Daraufhin sammelt man Informationen und Ideen. Ich habe beispielsweise mal eine Reportage im Fernsehen gesehen, in der es um Waisenplaneten ging. Das sind Planeten, die aus irgendeinem Grund aus ihrer Umlaufbahn gerissen wurden und dann durch das Weltall ziehen, anstatt einen Stern zu umkreisen. Diese Vorstellung hat mich total fasziniert, und ich habe angefangen zu überlegen, wie das Leben auf so einem Planeten aussehen könnte. Aus dieser Überlegung sind dann schließlich zwei Kurzgeschichten entstanden.


Inkubationsphase


Mit dieser Phase sind Zeiträume gemeint, in der man sich mit seiner Idee nicht bewusst befasst, wie beispielsweise im Urlaub, beim Sport oder bei der Gartenarbeit. Im Unterbewusstsein arbeitet das Gehirn aber weiter und stellt neue Verknüpfungen her. Es ist nicht ganz klar, was in dieser Zeit tatsächlich im Gehirn passiert, jedoch gibt es Vermutungen:

Aus Sicht der Kognitionswissenschaft folgen Ideen, wenn sie nicht mehr bewusst gesteuert werden, einfach den Grenzen der Assoziation. Sie verknüpfen sich mehr oder minder willkürlich, obwohl scheinbar irrelevante Gedankenassoziationen durchaus eine Folge von vorausgehenden Verknüpfungen sein können. Mihaly Csikszentmihalyi (1997, S. 150).

Das Gehirn ordnet und verbindet also die Dinge, mit welchen wir uns vorher bewusst beschäftigt haben, neu. Es scheint daher für kreative Arbeit sinnvoll zu sein, Pausen zu machen, wenn man mal nicht mehr vorankommt. Ausreichend Schlaf und genügend Pausen, können die kreative Arbeit unterstützen.


Einsicht


Findet das Gehirn dann eine Verknüpfung, die passt, taucht sie wieder im Bewusstsein auf, „wie ein Korken, den man unter Wasser drückt und der sofort an die Oberfläche schnellt, wenn man los lässt“ (Mihaly Csikszentmihalyi, 1997, S.155). Diesen Effekt nennt man auch „Aha-Erlebnis“. Der eine Moment, wenn sich ein Problem plötzlich löst oder die zündende Idee auf einmal da ist.


Bewertung


Als nächster Schritt folgt die Bewertung. Wir müssen uns überlegen, ob die tolle Idee, die wir da hatten, wirklich so gut ist. Gerade als Autor, der einen Roman schreiben möchte, sollte man sich überlegen, ob an der Geschichte wirklich etwas Neues dran ist. Natürlich wurden die meisten Geschichten so oder so ähnlich schon mal geschrieben. Und doch muss es bei neuen Erzählungen Elemente geben, die das eigene Werk von anderen abheben, um für den Leser interessant zu sein. Offenheit, Flexibilität und Selbstkritik sind in dieser Phase besonders wichtig. Hier kann man auch gut um Meinungen Anderer bitten.


Ausarbeitung


Hat man dann eine Idee, die nach ausgiebiger Prüfung für gut befunden wurde, geht es an die Ausarbeitung. Hier werden Ideen überarbeitet, neu sortiert, gebündelt und die beste Darbietungsform dafür gefunden. Es geht um die Fragen: Wie präsentiere ich meine Idee am besten, dass andere sie ebenfalls ansprechend finden? Aus welcher Perspektive erzähle ich meinen Roman? Welche Szenen müssen rein? Wie ist der Erzählton? Der Teil des kreativen Prozesses dauert oft am längsten und ist ein hartes Stück Arbeit, das Disziplin und Durchhaltevermögen fordert, aber auch eine Menge Spaß bringen kann.

Natürlich laufen diese Phasen nicht einfach in dieser Reihenfolge ab und am Ende steht dann eine fertige Idee. Ganz im Gegenteil. Oft springt man zwischen den verschiedenen Phasen hin und her. Besonders beim Schreiben eines Romans wechselt man häufig zwischen den Phasen der Vorbereitung, der Inkubation und der Einsicht. Anfangs gibt es viele Ideen, die verknüpft werden müssen oder Schwierigkeiten, die gelöst werden wollen. Und durch neue Lösungen können wieder neue Fragen entstehen. Aber auch während der Ausarbeitung können neue Impulse oder Fragen aufkommen, die dann erneut einige Zeit brauchen, bis sie gelöst sind.

Das alles klingt nach einer Menge zeitaufwendiger Arbeit und das ist es auch. Aber irgendwie auch nicht. Denn bei kreativer Arbeit, die einem wirklich Spaß macht, gerät man oft in eine Art Flow. Ein Gefühl, dass sich die Arbeit von ganz alleine macht, wobei man oft jegliches Zeitgefühl verliert, weil man einfach voll und ganz bei der Sache ist. So geht es mir jetzt gerade auch. Kreativität ist etwas, das mich sehr interessiert. Schreiben tu ich sowieso gerne. Also habe ich beim Schreiben nicht das Gefühl, schwere Arbeit zu verrichten. Meinen Artikel möchte ich daher mit einem schönen Zitat von Mihaly Csikszentmihalyi beenden:


(S.157)



Aufgabe:
Beobachtet euch bei eurer Schreibarbeit in den nächsten Tagen und Wochen doch einmal selbst. Könnt ihr die oben beschriebenen Phasen beobachten? Wie oft wechselt ihr hin und her? Laufen die Phasen auch mal parallel? Macht ihr sinnvolle Pausen, oder solltet ihr euren Arbeitsrhythmus verändern?


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1 Kommentar:

  1. Super Artikel, der die verschiedenen Phasen des kreativen Schreibens auf den Punkt bringt. Vieles davon konnte ich schon selbst bei mir beobachten und ich finde es gut, einmal genau aufgedröselt zu bekommen, was in meinem Kopf sonst unterbewusst abläuft.
    Der Artikel enthält auch einige Ansätze, die ich bei meinem nächsten Projekt einmal ausprobieren werde.

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