„Alles Schlechte hat auch sein Gutes.“ So sagt man
zumindest. Als krisenerfahrenes Stehaufmännchen bzw. -frauchen kenne ich viele
solcher Weisheiten. Man bekommt sie – gefragt oder ungefragt – von Freunden
oder Verwandten um die Ohren, wenn man ihnen verzweifelt sein Leid klagt und
einfach nur Mitgefühl anstatt „kluger Ratschläge“ möchte.
Doch der Kern dieser Weisheiten ist wirklich wahr – eine
Krise kann eine Chance sein – manchmal muss man sich nur überraschen lassen …
Meine
aktuelle Krise ist bedingt durch chronische Unzufriedenheit im Job. Details zu
geistiger Unterforderung und fehlender Wertschätzung spare ich mir an dieser
Stelle.
Ein Ratgeber, ein Buch, sollte mir den Weg durch den
Sinnkrisen-Dschungel weisen, mir die Augen für meine wahre Berufung öffnen.
So brach ich auf und begann diese Reise in der Hoffnung,
meinen Traumberuf zu finden. Ich startete bei meiner Ausbildung, dachte über Fähigkeiten
und Talente nach. Man fragte mich, wofür ich mich begeistern kann und wie ein
perfekter Tag für mich aussehen würde. Schließlich ließ mich ein Kapitel
zurückblicken auf meine Kindheit. Was habe ich als Kind gerne getan? Was habe
ich gespielt, womit habe ich mich beschäftigt? Was würde mein 8-jähriges Ich
sagen, wenn es mich heute sehen würde?
Es würde wohl in Tränen ausbrechen oder einen
Tobsuchtsanfall bekommen. Mein 8-jähriges Ich war zur Hälfte Draufgängerin und
zur Hälfte Träumerin. Die Draufgängerin, die auf Bäume und Hausdächer
geklettert ist, halsbrecherische Stunts mit Fahrrad oder Inline-skates
hingelegt hat und immer mit den Jungs mithalten wollte, tobt sich heute
sportlich auf dem Mountainbike oder in der Kletterhalle aus. Aber die kleine
Träumerin blieb auf der Strecke. Die Künstlerin. Die Kreative. Die Malerin. Die
Geschichtenschreiberin. Ich konnte träumen und ich konnte schreiben. Meine
lebhafte Fantasie und mein bunter Wortschatz ließen damals meine
Grundschullehrerinnen staunen.
Doch dann nahm das Leben seinen Lauf und die humanistische
Bildung mir meine Kreativität. Anstatt Erlebniserzählungen zu schreiben, musste
ich plötzlich nur noch Sachtexte analysieren oder Geschriebenes anderer
interpretieren. Meine letzte Geschichte habe ich im Alter von 15 verfasst - Eine
Liebesgeschichte ohne happy end.
Meine Leidenschaft für Geschichten und das Schreiben habe
ich aus den Augen verloren, wie einen Freund aus Kindertagen.
Doch jetzt, vor ein paar Wochen, da hat dieser verloren
geglaubte Freund wieder an meine Tür geklopft. Ein unerwarteter Besuch.
Erwartet habe ich jemand anderen, erwartet habe ich meinen Traumjob. Aber wie
gesagt, manchmal muss man sich überraschen lassen.
Nun saß ich also da, mit meinem Sandkastenfreund, dem
Schreiben. Zunächst haben wir beide etwas gefremdelt. Kein Wunder, hatten wir
uns doch 20 Jahre lang nicht mehr gesehen. Stück für Stück haben wir uns wieder
angenähert, sind wieder in Kontakt getreten und haben uns wieder kennengelernt.
Wir haben uns gegenseitig gefragt „wer bist du heute?“, „was machst du so?“,
„haben wir noch Gemeinsamkeiten?“, „macht es Sinn, unsere Freundschaft wieder
neu zu beleben?“ Vor allem ich hatte meine Zweifel. Kann ich mich darauf noch
einlassen? Habe ich überhaupt Zeit für diesen neuen, alten Freund? Wird er mein
Leben bereichern können, so wie einst? Mein alter Freund, das Schreiben, war da
weniger skeptisch. “Lass es uns versuchen“, hat er mir verführerisch ins Ohr
geflüstert, „wenn es nicht funktioniert, gehe ich einfach wieder. Du hast
nichts zu verlieren.“
Manchmal muss man sich überraschen und zu etwas hinreißen
lassen. Mein Jugendfreund ist nun wieder Bestandteil meines Lebens. Wir fühlen
uns sehr wohl miteinander, wir sehen uns fast täglich. Das Schreiben bereichert
mich heute wie damals.
Jeder von uns hat einen alten Freund aus Kindertagen, den er
aus den Augen verloren hat. Sei es das Schreiben, Malen, Tanzen, Musizieren
oder was auch immer. Es lohnt sich, einmal zurück zu schauen – auch wenn man
gerade nicht in einer Krise steckt. Es kann sehr bereichernd sein, wieder
Kontakt zu solchen Sandkasten- und Jugendfreunden aufzunehmen.
An meiner beruflichen Situation hat sich noch nichts
geändert, doch sie hat meine Leidenschaft aus Kindertagen zurück in mein Leben
gebracht. „Alles Schlechte hat auch sein Gutes.“ Meine Kreativität und mein
Schöpfergeist wurden neu beflügelt. Jetzt entwickle ich Ideen, spiele mit Worten,
spinne mir Geschichten zurecht, kreiere Charaktere und beschäftige mich mit dem
Handwerkszeug des Schreibens. Die Beziehung zu meinem Freund aus Kindertagen
ist heute reifer als damals. Plotten oder nicht plotten? Wie kann ich eine
Geschichte strukturieren? Wie schreibe ich anschaulich? Wie schreibe ich
spannend? All das ist zwar Neuland für mich, aber ich liebe es, Neues zu
lernen. Es fordert meinen Geist, meinen Intellekt. Meine Gedanken kreisen nicht
mehr jeden Tag darum, warum mein Job mich so nervt und ob ich mich woanders bewerben
sollte. Viele Ideen habe ich im Büro, manchmal nehme ich mir auch die Zeit, sie
sofort in Worte zu fassen und beginne zu schreiben.
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Zum Weiterlesen:
- Kolumne: Wer hat Angst vorm bösen Amazon?
- Spannung erzeugen
- Wie ich es schaffe, meine Manuskripte zu beenden
Laura spielt leidenschaftlich gerne Golf und lässt sich als frischgebackene Erneut-Autorin darin coachen, gute Texte zu schreiben.
Ja, das ist gut erklärt, Schreiben als einen alten Freund zu sehen...so ist es auch bei mir. Und das Treffen tut soooo gut;)
AntwortenLöschenWunderbar. Hoffentlich hält diese Freundschaft bis zum Lebensende. Sie erfordert zwar viel Kraft, Fürsorge und Vertrauen, aber sie führt zum Glück.
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