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Samstag, 7. April 2018

Mit allen Sinnen schreiben – Was Vampire mit Selbstbeobachtung zu tun haben

Ich glaube, wer schreibt, hat diesen Tipp schon so oft gehört und gelesen, dass die Person nur noch mit den Augen rollen kann, wenn das allfällige "Schreibe mit allen Sinnen" mal wieder durch die sozialen Medien getrieben wird. Denn es heißt zwar immer, man solle das machen, aber auf die Frage nach dem Wie gibt es selten eine konkrete Antwort. Und wenn ein Beispiel bemüht wird, dann oft eins, das in dem Moment wenig hilfreich ist. Wie beispielsweise „Stell dir vor, du hast eine Blume vor dir. Beschreibe ihren Geruch, wie sich der Stängel und die Blütenblätter unter deinen Finger anfühlen und das Summen der Biene, das sie anfliegt.“ 


Hübsch, aber auch weitestgehend hübsch statisch und in der Praxis unbrauchbar. Außer, man schreibt über Bienen und Blumen. (Im wörtlichen, nicht im metaphorischen Sinne). Gegeben wird der Tipp nämlich meist beim Korrekturlesen in einem wesentlich dynamischeren Kontext. Einer Schlacht beispielsweise.

 

Was haben Vampire und Selbstbeobachtung damit zu tun?

Ich schreibe über Vampire. Und natürlich möchte ich, dass meine Texte lebendig sind, mit allen Sinnen erfassbar. Also hat es sich, ganz von selbst, so ergeben, dass ich angefangen habe, mich ausgehend von den von mir definierten Vampireigenschaften selbst zu beobachten:
  • Erweiterte Sinne: Bessere Augen, bessere Ohren, empfindlichere Hände und Füße - was würde das für mich bedeuten?
  • Meine Vampire laufen lautlos - was für Geräusche machen eigentlich Menschen so, wenn sie gehen? (Und ist es nicht eher gruselig, als geheimnisvoll, wenn man jemanden gar nicht kommen hören kann? Geht das überhaupt?)
  • Wie fühlt es sich für den Körper eigentlich an, Dinge wie Telekinese zu können? Was wird dabei angespannt?
  • Wie fühlt es sich an, zwar innere Organe zu haben, diese aber getrost ignorieren zu können?
  • Und dergleichen mehr.

Also habe ich angefangen, Dinge um mich herum intensiver wahrzunehmen. Ich nehme mir viel öfter die Zeit, um beispielsweise Holz anzufassen. Wie fühlt sich verschiedene Holzmaserung unter den Fingerspitzen an? Wie alter Möbellack und wie neuer? Gibt es da Unterschiede? Kann ich das Holz mit dem Fingernagel anritzen oder nicht?

Und dann verbalisiere ich die Erfahrungen, während ich sie mache. Ich zwinge mich dazu, ganz bewusst meine Sinneseindrücke gedanklich zu beschreiben und einzusortieren.

Wie fühlt sich die Rinde einer Platane im Vergleich zu der einer Birke an?
Wie fühlt sich ein Pappkarton im Vergleich zu Druckerpapier an? Wie das Kunstleder meiner Handyhülle im Vergleich zum Stoffbezug meiner Bürocouch? Und was ändert sich, wenn ich nicht nur darüberstreiche, sondern fest mit der Fingerkuppe auf diesen Gegenstand drücke?

Und ich habe angefangen, darauf zu achten, welche Geräusche ich beim Gehen mache.
Nicht nur die Geräusche der Schritte selbst. Das Reiben von Hosenbeinen. Das leise Klirren von Reißverschlüsseln oder Münzen in der Jackentasche. Diese eine Jacke, die furchtbar knarzt, wenn man in ihr herumläuft und dabei die Arme bewegt.

Dann habe ich geschaut, wie ich mich bewegen muss, um diese Geräusche zu vermeiden. Geht das überhaupt?
Viele von ihnen nehmen wir unbewusst wahr und unser Hirn weiß: Da ist ein Mensch hinter uns unterwegs. Wir erschrecken nicht, wenn uns dann jemand überholt, denn unbewusst haben wir die ganze Zeit gewusst, dass da jemand ist. Wie ist es nun, wenn diese Vorwarnung fehlt und auf einmal ein*e Vampir*in vor uns steht? Wie reagiere ich darauf?

Insgesamt bewege ich mich bewusster, nehme bewusster wahr - und habe dadurch überhaupt erst das Rüstzeug, um mit allen Sinnen schreiben zu können.

 

Ich schreibe aber nicht über Vampire - was bringt mir das?

Einiges. Es ist egal, worüber man schreibt. Wichtig ist, dass man sich soweit möglich das Rüstzeug aneignet, um darüber schreiben zu können.

Schreibst du über Werwölfe? Dann finde einen Weg, so weit wie für dich möglich, die Sinneseindrücke eines Werwolfs zu simulieren. Dazu gibt es viele Wege. Es könnte beispielsweise helfen, zu googeln, ob es Bilder oder Videos gibt, die zeigen, wie ein Hund optisch die Welt wahrnimmt. (Spoiler: Gibt es im Internet zu Hauf.) Finde heraus, wie du zur Not auch ohne Hund herausbekommen kannst, was genau "der Gestank nach nassem Hund" bedeutet und frage dich, ob Werwölfe sich selbst nicht riechen können oder selbst darunter leiden, wenn sie mal ins Wasser fallen.

Schreibst du über Schlangenwandler? Mache dich mit den Sinnen einer Schlange vertraut und finde menschenmögliche Wege, die Sinneseindrücke einer Schlange zu simulieren.

Schreibst du über Menschen, die mit Schwertern kämpfen? Auch dazu gibt es Material, auch hier kann es Möglichkeiten geben, zu erfahren, welche Muskeln beim Schwertkampf beansprucht werden und welche „Moves“ aus Film und Fernsehen Unsinn sind. Schneidet man sich wirklich jedes Mal am eigenen Schwert, wenn man es zieht, sodass es zur charakteristischen Narbenbildung kommt? Du musst dich nicht mit einem Schwert schneiden, um darüber zu schreiben, wie sich das anfühlt. Aber du kannst dich in die Erfahrung hineindenken, als du dir mit dem Messer beim Karottenschneiden in den Finger gesäbelt hast (oder Ähnliches) und aus dieser Erfahrung heraus in die Beschreibung der Schwertwunde gehen.

 

Wichtig ist die Selbstbeobachtung

Um mit allen Sinnen schreiben zu können, muss man mit allen Sinnen leben. Eindrücke nicht nur an sich vorbeirauschen lassen, sondern sie so intensiv an sich heranlassen, wie möglich. Sie in Worte kleiden, wenn sie einen zu überwältigen drohen.

Dann ist es nämlich gar nicht mehr schwer, bei den Szenen, bei denen es darauf ankommt, alle Sinne ins Schreiben einfließen zu lassen - denn man hat das Hirn bereits darauf trainiert, mit den einzelnen Sinnen zu arbeiten und das Gefühlte in Worte zu fassen.

 

Und nun seid ihr dran:

Nehmt euch euer aktuelles Schreibprojekt und überlegt, welche Sinneseindrücke euch helfen könnten, es lebendiger umzusetzen. Und dann: Geht raus und holt euch diese Sinneseindrücke!
Wenn ihr wollt, könnt ihr darüber in den Kommentaren berichten.
(Disclaimer: Wir sind hier zwar alle erwachsene und mündige Menschen, aber ich spreche dennoch diese Warnung aus. Tut nichts, was euch oder euren Mitmenschen Schaden zufügt. Brecht keine Gesetze. Tut euch nicht weh. Das meine ich NICHT damit. Konsumiert keine Drogen und kommt nicht auf die Idee, euch zulaufen zu lassen, um über einen Kater schreiben zu können. Ich meine hier ausschließlich Dinge wie „Bäume anfassen“ und „Hinhören, ob ein Bergbach und ein Fluss auf unterschiedliche Art rauschen“ oder „Wie viele verschiedene Grüntöne zählt ihr, wenn ihr eine Wiese anschaut?“ SOLCHE Erfahrungen!) 


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Zum Weiterlesen:


Chara-Dichterin, Neologistin, Polyglotin... und ein Fan kurioser Worte. Sie bloggt über das Autorendasein, Bücher und den Weltenbau.


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