©Marcus Johanus |
Ich freue mich persönlich erst einmal sehr, dich für dieses Interview gewinnen zu können und danke dir insbesondere für die Zeit, die du uns damit widmest. Erst einmal ein paar Sachen über dich für unsere Leser: Marcus Johanus wurde 1972 in Berlin geboren und schreibt eigentlich schon sein ganzes Leben, wenn man das so sagen kann. Er arbeitet hauptberuflich als Deutsch-, Psychologie- und Politiklehrer. 2015 erschien sein erster Roman, ein Thriller mit dem Titel „Tödliche Gedanken“ bei Ullstein Midnight. Außerdem führt Marcus einen Blog mit vielen wichtigen und interessanten Tipps und Tricks zum Schreiben. Last but not least ist er einer der beiden Macher des Youtube-Channels „Die SchreibDilettanten“ (dieschreibdilettanten.de), von dem ich ein großer Fan bin und wohl so ziemlich alles gelernt habe, was ich über das Schreiben weiß.
Nun kommen wir aber zur ersten Frage: Mir scheint es so, dass es viel Verwirrung bei der Abgrenzung zwischen Thriller und Krimi gibt. Erkläre doch bitte erst einmal unseren Lesern, wo deiner Meinung nach der Unterschied zwischen Krimis und Thrillern liegt.
Wenn ich das wüsste ... Ich habe mal in einem Schreibseminar gelernt: Im Krimi stehen die Hintergründe rund um einen Mord im Mittelpunkt, im Thriller die rasante Handlung. In einem Schreibbuch habe ich gelesen: Im Thriller wird der Held bedroht, im Krimi nicht. Beide Definitionen halte ich für fragwürdig, aber bessere kenne ich auch nicht.
Inzwischen, glaube ich, wird zumindest beim deutschen Publikum ein Roman als Thriller wahrgenommen, der rasante Handlung, Rätsel und Mysterien, Gewaltdarstellungen und menschlich Abgründiges miteinander verbindet.
Ich bin jemand, der sich die Dinge gerne vom Wort her erklärt. Und „to thrill“ heißt ja so viel wie „mitreißen“, packen. Für mich ist im Prinzip jede Geschichte ein Thriller, die nicht nur spannend, sondern wirklich mitreißend ist. Ein Buch, das ich nicht mehr aus der Hand legen kann, ist ein Thriller, unabhängig davon, worum es eigentlich so genau geht.
In diesem Sinne sind zum Beispiel Landhauskrimis, die ja durchaus spannend sind, nur eben nicht so spannend, in der Regel keine Thriller. Bei anderen Krimi-Subgenres sind die Grenzen fließender.
Natürlich ist meine Definition auch eine ziemlich subjektive Angelegenheit. Aber so ist das halt mit Literatur. Jeder liest anders. Das ist ja auch das Schöne an der ganzen Sache.
In gewissem Sinne ist die Bezeichnung „Thriller“ für mich als Autor das Versprechen an den Leser, dass ich mir Mühe gegeben habe, ein wirklich spannendes Buch zu schreiben.
In vielen Folgen der SchreibDilettanten hast du erwähnt, dass du eigentlich mal damit angefangen hattest, Fantasy zu schreiben. Warum bist du mit deinem ersten Werk auf Thriller umgestiegen und planst du auch, in diesem Genre zu bleiben?
So ganz stimmt das nicht. Ich habe mit SF angefangen. Meinen ersten Roman schrieb ich im Alter von zwölf Jahren. Eine ziemlich schamlose Heinlein-Kopie. Davor hatte ich Tarzan-Geschichten und viele Comics verfasst.
Ich habe lange so zwischen den Genres gependelt. Ich lese einfach gerne Genreliteratur: Krimis, Thriller, SF, Fantasy, Horror, am liebsten Mischformen, also Crossgenres.
Ich denke, das kommt daher, dass ich als Kind durch amerikanische Superheldencomics ans Lesen herangeführt wurde, die ja ebenfalls einen Genremix darstellen.
Je älter ich wurde, desto mehr ist mir aufgefallen, dass mir eigentlich das Genre, also sozusagen die Schublade, in der ein Roman steckt, ziemlich schnuppe ist. Ich mag einfach spannende Bücher. Thriller halt. Ob da nun Leute mit Raumschiffen durch das All fliegen, auf Pferdewagen die Elfenhaine durchstreifen oder halt eben in den Straßen Chicagos mit dem Auto fahren, spielt für mich eine untergeordnete Rolle.
Ja, ich habe auch mehrere Fantasy-Romane begonnen, aber nie beendet. Das Gleiche gilt aber auch für Krimis, Horror usw.
Am Ende bin ich beim Thriller gelandet, weil ich den Eindruck habe, dass ich in diesem Genre als Autor am besten hinpasse. Für einen SF-Autor habe ich zu wenig Ahnung von Naturwissenschaften. Ich mag zwar Fantasy, aber am liebsten knackige Sword & Sorcery, was aber wiederum nicht unbedingt das ist, was die meisten Leser heute unter Fantasy verstehen. Es gibt einige Horror-Storys, die ich wirklich gerne mag, aber ein Großteil des Genres ist mir wiederum zu brutal.
Es gibt noch einen anderen, viel wichtigeren Grund: Ich bin Minimalist. Mir gefallen möglichst einfache und trotzdem spannende Ideen. Je geradliniger die Handlung, je einfach der Schauplatz, je weniger Figuren es gibt, desto mehr begeistern mich Geschichten. Solche findet man aber halt eher im Thriller als zum Beispiel in der epischen Fantasy.
Ich plane nicht nur, in diesem Genre zu bleiben, sondern sogar noch minimalistischer zu werden. „Tödliche Gedanken“ ist ja ein übernatürlicher Thriller. Das Übernatürliche wird in Zukunft aus meinen Thrillern verschwinden.
Du selbst bezeichnest dich immer wieder als sehr starken oder strengen Outliner. Welche Ratschläge kannst du angehenden Krimi- und Thrillerautoren bei der Planung und dem Schreiben ihrer Werke auf den Weg geben?
Setz dich nicht ans Schreiben deines Manuskripts, bevor du nicht das Ende und die Mitte kennst. Das Ende brauchst du, um einen Fokus beim Schreiben zu haben, damit der Roman nicht ausufert. Die Mitte musst du sehr gut kennen, damit dich der Hänger in der Mitte nicht erwischt und du den ganzen Kram nicht hinschmeißt.
Daran schließt sich die Frage an: Glaubst du, dass man einen Krimi oder Thriller als Discovery Writer schreiben kann? Wenn ja, was muss man beachten, und wenn nicht, warum?
Kann man bestimmt. Ich kann es nicht. Stephen King kann es. Seine Bill-Hodges-Romane gehören zu dem Besten, was er je geschrieben hat. Und »Misery« oder »Das Mädchen« sind einfach richtig gute Bücher. Und King ist bekennender Discovery Writer.
Da ich in meinen Phasen als Discovery Writer nie ein Buch zu Ende geschrieben habe, kann ich nur schwer sagen, was man tun muss, wenn man als solcher Thriller oder Krimis schreiben will. Für mich war Outlining eine Offenbarung. Wäre ich nicht auf diese Methode gestoßen, würde ich heute keine Bücher mehr schreiben.
Ich denke, als Discovery Writer muss man mehr editieren. Die Zeit, die ich als Outliner ins Planen stecke, muss der Discovery Writer nach dem Schreiben des ersten Entwurfs ins Überarbeiten investieren.
Zumindest hat King mal in einem Interview gesagt, dass die Bill-Hodges-Romane für ihn eine Herausforderung sind, weil er sie so intensiv editieren muss wie sonst keine seiner Romane.
Man sagt ja, dass sich ein Autor durch seine Werke verändert, aber auch, dass in jedem Werk etwas von dem Autor selbst steckt. Hat dich das Schreiben von „Tödliche Gedanken“ verändert? Und wie viel Marcus Johanus steckt in dem Werk?
Ich habe an „Tödliche Gedanken“ letztendlich fast sechs Jahre gesessen. Nicht am Stück und mit großen Pausen, aber immer mal wieder, während ich auch an anderen Projekten arbeitete. In dieser Zeit verändert man sich. Scheiben verändert mich prinzipiell, deswegen ist es schwer zu sagen, wie mich nun ausgerechnet dieser Roman verändert hat. Ich denke, je mehr und je länger ich schreibe, desto eher lerne ich, mich zu fokussieren, auf das Wesentliche zu konzentrieren. Schreiben ist schmerzhaft, weil man erkennen muss, dass man viele andere Dinge lassen muss, um schreiben zu können. Gleichzeitig gibt einem das Schreiben für die Opfer auch viel zurück.
So genau kann ich das nicht in Worte fassen, aber gerade „Tödliche Gedanken“ zu schreiben, war für mich auch ein emotionaler Prozess. Es gab Momente und Szenen, bei denen mir beim Schreiben die Tränen in den Augen standen, weil ich selbst gefühlsmäßig gepackt war. Ich habe dabei viel über mich gelernt, was ich aber weniger formulieren, eher spüren kann.
In jedem Roman steckt viel von einem Autor, nur oft wesentlich indirekter, als Leser vielleicht denken. Mit Patricia Bloch habe ich viel gemeinsam, nur nicht die offensichtlichen Dinge. Das Gefühl, isoliert von anderen zu sein, ganz gleich, ob ich mich gerade in Gesellschaft befinde oder allein zu Hause bin und die Reaktion auf dieses Gefühl, diesen Zustand gleichermaßen zu genießen und zu verfluchen, teile ich zum Beispiel mit ihr.
Darüber hinaus ist der Roman in gewissem Sinne eine Essenz dessen, was mich bewegt. Im Kern ist „Tödliche Gedanken“ eine Superheldengeschichte mit einem Fokus auf Psychologie und Philosophie mit einer Prise Politik.
Letztendlich liebe ich spannende Geschichten. Und ich habe mir Mühe gegeben, „Tödliche Gedanken“ so spannend zu schreiben, wie es mir möglich ist. Deswegen machen mich auch die Rezensionen so glücklich. Selbst die wenigen Leser, die mit den SF-Elementen des Romans weniger anfangen konnten, haben am Ende immer gemeint, dass der Roman auf jeden Fall spannend sei.
Die letzte Frage: Viele sagen, dass sowohl Krimis wie auch Thriller total überlaufen wären und die Genres bald „implodieren“ würden. Dennoch steigen sogar die Absatzzahlen in beiden Genres und die Verlage erweitern die Sparte. Wie schätzt du die Entwicklung und Zukunft der Genres ein? Welche Chancen bieten Krimis und Thriller für deutsche Autoren oder sollte man sich bemühen, schwedischer Staatsbürger zu werden?
Ich denke, schwedische Autoren haben es noch viel schwerer als deutsche. Auswandern ist also auch keine Lösung.
Die Entscheidung von Verlagen, mehr Krimis und Thriller zu verlegen, ist klug. Die Einschätzung, die Genres seien überlaufen und würden irgendwann implodieren, teile ich nicht. Das kann so mal kommen oder auch nicht. Wer kann schon wirklich sagen, was die Zukunft bringt?
Das Schöne an Krimis und Thrillern ist für mich, dass diese Genres einfach jeden begeistern können. Sie sind wie Fußball. Es gibt keine anderen Genres, die von so einem Querschnitt durch die Bevölkerung gelesen werden, von Gelegenheitslesern wie von Viellesern, vom Akademiker bis zum Hauptschulabbrecher, vom Jugendlichen bis zum Greis – vor allem: von Männern wie von Frauen.
SF ist statistisch gesehen Männerliteratur. Liebesromane lesen so gut wie nur Frauen. Fantasy heißt fast immer auch Jugendbuch. Zumindest lesen Kinder und Jugendliche mehr Fantasy als Erwachsene. Horror ist eine Sparte für eine spezielle Sorte Mensch.
Ich mag halt nicht nur einfache Geschichten, sondern auch solche, die universell sind, also die einfach viele unterschiedliche Menschen erreichen. Denn diese Geschichten behandeln zentrale Themen, Substanzielles, das jeden berührt. Über den neuen Fitzek kann ich mich mit so gut wie jedem unterhalten. Das finde ich toll. Mir gefällt einfach alles, das unterschiedliche Menschen verbindet, statt die Unterschiede zu betonen.
Ich frage mich als Autor, ob ich denn solche universellen Geschichten schreiben will, oder eben nicht. Manche wollen ja lieber für ein bestimmtes Publikum schreiben, was auch legitim ist. Davon würde ich die Entscheidung abhängig machen, was ich schreiben will, nicht davon, wie meine Chancen stehen. Denn die stehen eigentlich immer schlecht, ganz gleich, was ich schreibe.
Ich bedanke mich für das Interview und wünsche dir alles Gute!
Ich muss mich bedanken. Ebenso.
©Marcus Johanus |
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Ben bloggt außerdem auf Cheshirepunks Welt
Tolles Interview :)
AntwortenLöschenZur Abgrenzung von Krimi und Thriller: ich hab mal die Definition gelesen, dass der Krimi primär auf die Vergangenheit ausgerichtet ist (ein bereits begangenes Verbrechen muss aufgeklärt werden), der Thriller auf die Zukunft (etwas Schreckliches, dass bald geschehen könnte, muss verhindert werden). Dadurch hat der Thriller eine andere, 'bedrohlichere' Art Spannung zu bieten.
Aber wie alle anderen Definitionen auch ist diese nicht ganz eindeutig und immer gültig.
Hallo Stella,
Löschenschön, dass dir das Interview gefallen hat. Zunächst hatte ich bei deiner Definition gestockt, aber je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt sie mir - deswegen habe ich mir auch mit der Antwort ein paar Tage Zeit gelassen ;-)
Ich finde die Definition gut.
AntwortenLöschenHallöchen Ben,
AntwortenLöschenda hast du dir aber ein paar sehr schöne Fragen überlegt. Besonders interessant fand ich die Frage, wieviel Marcus in Tödliche Gedanken steckt und auch die Antwort dazu.
Für mich war eigentlich immer ziemlich klar, dass ein Krimi sich in erster Linie mit Ermittlungen beschäftigt und ein Thriller auf Spannung und Grusel abzielt.
Ein wenig schade finde ich es ja, dass du (Marcus) dich nicht erneut an ein etwas anderes Genre heranwagen magst sondern dich nur noch auf Thriller beschränken magst. Ich hätte auch gerne mal etwas fantasiemäßiges von dir gelesen.
Sehr schöner Blog. Ich werde gleich noch mal durch die anderen Artikel stöbern.
Ganz liebe Grüße Tanja :o)
Ich habe mich über Bens Fragen auch sehr gefreut.
LöschenDeine Definition von Thriller und Krimi finde ich auch gut, Tanja, aber ich denke, die Genres vermischen sich stark, was ihre Wirkung angeht. Und spannend sollen Thriller und Krimi ja eigentlich beide sein, finde ich.
Ich habe für die nächste Zukunft eine Handvoll Manuskripte in der Schublade, die auf fantastische Elemente verzichten. Das heißt ja nicht, dass ich bis in alle Ewigkeit dabei bleiben werde.
Die Reaktionen auf Tödliche Gedanken haben mir aber gezeigt, dass es Leser und Leserinnen offensichtlich verwirrt, einen paranormalen Thriller zu lesen. Und darauf, Thriller zu schreiben, möchte ich nicht verzichten, denn dafür liebe ich das Genre zu sehr. High-Fantasy etc. ist nicht mein Ding. Habe ich jahrelang versucht zu schreiben, ist aber nie was Vernünftiges bei rausgekommen, weil ich gemerkt habe, dass ich zwar durchaus gerne mal Fantasy lese, mir das Genre aber am Ende doch zu fremd ist, um wirklich authentisch einen sinnvollen Beitrag dafür zu leisten.
Vielen Dank! Marcus war auch ein sehr guter Interviewpartner :-)
LöschenIch stellte diese Frage besonders gern aus dem Grund, da ich eine Dozentin habe, die sich immer so stark dagegen verweigert, den Autor bei der Interpretation übermäßig einzubeziehen. Ich sehe das nicht ganz so, deswegen freue ich mich, wenn ich das (andere) Schriftsteller fragen kann. ;-)
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenDanke für das schöne Interview.
AntwortenLöschenIch denke, dass Krimis als Discovery Writer das schwierigste Genre sind. Ich kann mir nur schwer vorstellen, falsche Fährten und co. zu legen, ohne das Ende meines Krimis zu kennen. Und das obwohl ich kein Outliner bin. Bei Thrillern sollte es schon ein kleines Stückchen einfacher sein. Obwohl schreiben an sich nie so richtig einfach ist.
Viele Grüße
Erin
Na ja, der Vorteil als Discovery Writer ist ja: Wenn ich nicht weiß, wer der Mörder ist, sind praktisch alle Hinweise Red Herrings ;-)
AntwortenLöschenEs kommt halt auf eine sehr intensive und arbeitsreiche Überarbeitungsphase an. Das, was der Outliner in die Vorbereitung steckt, muss halt der DW in die Nachbereitung investieren.
Freut mich sehr, dass dir das Interview gefallen hat.