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Samstag, 24. März 2018

Sag nur ein Wort – Wie Sprache Charaktere prägt

Im Gegensatz zum Film sieht der Leser die Figuren eines Romans nicht, weshalb es umso wichtiger ist, dass sie über herausstechende Merkmale verfügen. Jede Romanfigur sollte für sich einzigartig und so jederzeit für den Leser klar identifizierbar sein. Das beginnt bei ihrer äußeren Erscheinung, dem Kleidungsstil, ihren Verhaltensweisen, Macken und nicht zuletzt auch über ihre Sprache. Jede Figur sollte über einen eigenen Sprachstil verfügen, damit der Leser auch bei Dialogen immer weiß, wer sich gerade zu Wort meldet ohne ein “sagte Figur A” hinzufügen zu müssen. Neben der besseren Unterscheidung zwischen einzelnen Romanfiguren hat der eigene Sprachstil noch eine weitere Funktion: Der Charakter der Figur, ihre Persönlichkeit, ihre Ausbildung und ihr sozialer Hintergrund kommen zum Vorschein. Sprache und bestimmte Wörter können also ein Aushängeschild für die Charaktereigenschaften einer Figur sein.




Ein Wort genügt

Im Idealfall weiß der Leser, welche Figur spricht, noch bevor du sie explizit erwähnst. Ein Atomwissenschaftler wird andere Worte verwenden als ein Versicherungsmakler, eine zurückhaltende Person wird einen anderen Tonfall anschlagen als eine selbstbewusste Person und jemand, der lange Zeit im Ausland gelebt hat wird anders sprechen als eine Person, die ihr Leben lang das heimatliche Dorf nicht verlassen hat. Ebenso wird es einen Unterschied machen, ob die Figur in einer britischen Adelsfamilie aufwächst oder in einem russischen Arbeitsviertel. Über die Verwendung von Regionalsprache hat übrigens Florian einen tollen Artikel geschrieben.

Durch die Sprache verrät die Figur einiges über ihre Herkunft, ihren Beruf und ihren Bildungsgrad. Das beginnt schon bei einer ganz einfachen Begrüßung:

“Guten Tag”
“Servus”
“Grüezi”
“Habe die Ehre”
“Seid gegrüßt”
“Ave”
“Hey”
“Ahoi”
“Wir kommen in Frieden”

Ich bin mir sicher, dass du bei einigen Begrüßungsworten sofort ein Bild davon hast, welcher Personentyp hier gerade sprechen könnte. Schon ein Wort kann genügen, um einen Charakter in eine Schublade zu stecken und eine Vorstellung von dieser Person zu bekommen. Und genau damit kannst du bei der Entwicklung von Romanfiguren spielen. Dabei kannst du entscheiden, ob die Sprache zum sozialen und beruflichen Hintergrund und zur äußeren Erscheinung der Figur passt oder ob es hier vielleicht Widersprüche gibt. Was steckt zum Beispiel hinter einem Mann in maßgeschneidertem Anzug und Aktenkoffer, der einen Bekannten auf der Straße mit “Hey, Alter! Was geht?” begrüßt? Entweder verbirgt sich dahinter eine Parodie oder eine spannende Geschichte.

Damit du Entscheidungen über die Sprache einer Figur treffen kannst, solltest du dir im Vorhinein einige Gedanken über deine Figur machen. Welche Ausbildung hat sie gemacht? Wer sind ihre Freunde und ihre Familie? Wo ist sie aufgewachsen? Welchen Beruf hat sie? Welche Hobbies hat sie? Und so weiter.

 

Ein alter Hut, aber trotzdem wirksam

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Sprache einer Figur einiges über sie aussagen kann. Bereits Friedrich Schiller nutzte diese Technik in seinem Drama “Kabale und Liebe” und das Theaterstück wurde immerhin 1784 in Frankfurt am Main uraufgeführt. Schiller unterscheidet zwischen dem Kleinbürgertum (vertreten durch den Musiker Miller und seiner Frau), dem Adel (vertreten durch den Präsidenten und den Hofmarschall von Kalb) und den Liebenden (vertreten durch Luise, Ferdinand und Lady Milford) und macht dies anhand ihrer Sprache deutlich.

So verwendet der Präsident eine geschliffene und berechnende Sprache und schlägt dabei einen arroganten und befehlenden Tonfall an, mitunter schwingt ein Hauch von Gefahr mit. “Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schröter am Faden.” (Erster Akt. Fünfte Szene) oder: “Wem hab’ ich durch die Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht – eine Geschichte, die desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das Messer der Welt verberge!” (Erster Akt. Siebte Szene)

Hofmarschall von Kalb nutzt hingegen französische Sprachelemente wie “Ah mon Dieu!” oder “Importance”, um seinen Adelsstand zu betonen. Gleichzeitig spricht er aber unnatürlich und abgehackt, manchmal vergreift er sich auch in den Worten: “Ich in voller Carrière nach Haus – wechsle die Kleider – fahre zurück – Was sagen Sie? – und bin noch der erste in der Antichambre – Was denken Sie?” (Erster Akt. Sechste Szene)

Dieser höfischen Sprache steht die derbe Sprache des Kleinbürgertums entgegen. So fallen beim Musiker Miller Aussagen wie “Willst du dein Maul halten? Willst du das Violoncell am Hirnkasten wissen?” (Erster Akt. Zweite Szene) oder auch “Ich hab mich satt gefressen und immer ein gutes Hemd auf dem Leib gehabt, eh so ein vertrackter Tausendsasa in meine Stube geschmeckt hat.” (Erster Akt. Erste Szene). Charakteristisch für ihn sind auch allgemeine Redewendungen wie: “Auf den Sack schlägt man, den Esel meint man.” (Erster Akt. Erste Szene)

Seine Frau versucht hingegen, Fremdwörter zu benutzen, um sich so gegenüber Personen zu behaupten, die ihr im sozialen Stand überlegen sind, was ihr aber nicht immer gelingt, da sie die Worte falsch ausspricht. So sagt sie etwa “barrdu” anstatt von “par tout”. (Erster Akt. Zweite Szene) oder auch: “Ich sprech ja nur, man müss' den Herrn Major nicht disguschthüren, weil Sie des Präsidenten Sohn sind.” (Erster Akt. Erste Szene)

Die Sprache der Liebenden lässt sich weder dem Kleinbürgertum noch dem Adel zuordnen. Lady Milford, Luise und Ferdinand wechseln zwischen diesen beiden Bereichen und neigen eher zur poetischen Sprache bis hin zum metaphorischen Sprachgebrauch.

So sagt Ferdinand etwa zu Luise: “Ich fürchte nichts – nichts – als die Grenzen deiner Liebe. Laß auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen. Die Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Luise nur reizender machen.” (Erster Akt. Vierte Szene)

Luise erwidert darauf: “Du hast den Feuerbrand in mein junges, friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelöscht werden.” (Erster Akt. Vierte Szene)

Auch Lady Milford bringt ihre Gefühle anhand einer poetischen Sprache zum Ausdruck. Wenn man genau darauf achtet, hört man ihren Adelsstand heraus: “Der Fürst überraschte zwar meine wehrlose Jugend – aber das Blut der Norfolk empörte sich in mir (…)” und weiter: “Ich stellte mich zwischen das Lamm und den Tiger, nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung mußte aufhören.” (Zweiter Akt. Dritte Szene)

 

Mehr Hintergrundinfos zu "Kabale und Liebe" findest du hier.

 

Zwischen den Zeilen

Es geht nicht nur darum, wie eine Figur spricht, welchen Tonfall sie anschlägt und welche Wörter sie verwendet, sondern auch wie sie mit anderen Figuren redet und wie sie über andere Figuren spricht. Je nachdem, wie Figur A über Figur B spricht, lässt sich einiges über die Beziehung zwischen den beiden heraushören. Mit der Sprache kannst du Information zwischen den Zeilen verpacken, ohne dass es nach Infodump klingt.

Überlege dir auch, wie deine Figur mit anderen Figuren spricht. Gibt es Unterschiede, wie sich die Figur gegenüber ihrer Familie und gegenüber Fremden verhält? Beleidigt die Figur andere, ohne es zu beabsichtigen? Tritt sie mit ihren Worten gerne ins Fettnäpfchen oder findet sie in jeder Situation die passenden Worte? In welcher Situation wird die Figur laut?

Du kannst auch noch einen Schritt weiter gehen und eine Figur eine andere Figur beschreiben lassen. Damit charakterisierst du den Sprecher und die Person, über die etwas gesagt wird, gleichzeitig¹. Dadurch kannst du auch die Beziehung zwischen diesen beiden Figuren darstellen. Wie spricht Figur A über Figur B? Welche Worte verwendet sie und welche Wirkung will sie dadurch erzielen? Wenn ein Vater zu seiner 17-jährigen Tochter sagt "Dieser Junge ist ein Taugenichts und bringt nur Ärger" kann das durchaus der Fall sein, aber es könnte auch sein, dass der Junge eigentlich ganz in Ordnung ist und der Vater seine Tochter einfach nur davor beschützen möchte, enttäuscht zu werden.

Aufgabe: Um ein besseres Gefühl für Sprache und die damit verbundenen Charaktereigenschaften zu bekommen, kannst du dich einfach mal in deiner Umgebung umhören. Welche Worte verwendet eine Person und wie spricht sie? Verwendet sie oft Fachbegriffe, nutzt sie Metaphern, zitiert sie gerne chinesische Weisheiten oder flucht sie viel? Was lässt sich dadurch über die Person und ihre Lebensumstände sagen? 


¹ Vgl. Sol Stein, Über das Schreiben, Frankfurt am Main 1997, S. 81-82.

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Zum Weiterlesen:


Caro schreibt Fantasy- und Liebesromane und was ihr sonst noch so einfällt. Da sie ein unverbesserlicher Stubenhocker ist, arbeitet sie von Zuhause aus als Ghostwriter und Lektorin. Unter @Caro_Stein zwitschert sie über ihr Autorenleben.



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