Passend zum Ziel braucht deine Figur auch eine Motivation, einen nachvollziehbaren und glaubwürdigen Grund, warum dieses Ziel überhaupt erreicht werden soll. Was ist der Grund, der deine Figur jeden Morgen aufstehen lässt? Warum kämpft sie sich weiter durch die Probleme und Hindernisse, die zwangsläufig folgen, damit sie ihr Ziel erreichen kann?
Gehen wir noch einen Schritt weiter zurück: Warum verfolgt die Figur ihr Ziel überhaupt? Was ist ihre Hintergrundgeschichte? Damit wären wir am eigentlichen Knackpunkt angekommen. Deine Figur braucht einen triftigen Grund, der sie erst tun lässt, was sie eben tut. Dieser Grund kann bereits in ihrer Vergangenheit liegen oder am Anfang der Geschichte passieren. Wesentlich ist hierbei vor allem, dass du dir im Klaren darüber bist, wie der Grund und das zu erreichende Ziel in Zusammenhang stehen. Dabei geht es nicht nur um die Motive und das Ziel deines Protagonisten, sondern auch um die des Antagonisten. Vor allem beim Gegenspieler ist man gerne dazu versucht, ihn um des Bösen wegen böse sein zu lassen oder seine Handlungen dadurch zu begründen, dass er dem Helden das Leben einfach schwer machen will. Der Begründung “Manche Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen” funktioniert nur bei Joker. [Zitat: The Dark Knight, 2008.]
Für gewöhnlich streben der Held und der Gegenspieler das Gegenteil von dem an, was der jeweils andere schaffen will. Beide haben nachvollziehbare Gründe und oftmals eine eigene Geschichte hinter der Geschichte deines Romans, die sie dazu antreiben, ihr Ziel zu erreichen.
Die Comics von Marvel und DC zeigen hierbei sehr gut, wie die Motivation der Helden und ihrer Gegenspieler funktionieren kann. Sehen wir uns hierzu drei Paare an (Comic-Fans mögen es mir bitte nachsehen, wenn ich in diesem Artikel nicht auf alle Aspekte der Figuren eingehen kann):
Bruce Wayne und Oswald Cobblepot (Batman, DC Comics)
Batman und Penguin |
Die Motivation, warum der wohlhabende Bruce Wayne Nacht für Nacht als Batman Verbrechen aufklärt und nicht einfach sein Milliardärs-Leben genießt, liegt klar auf der Hand: Der Mord an seinen Eltern und der damit einhergehende Wunsch auf Vergeltung. Und auch seine Verkleidung als Fledermaus wird durch ein Erlebnis in seiner Kindheit begründet. Gäbe es diesen entscheidenden Knackpunkt nicht, wäre ein erwachsener Mann im Fledermaus-Kostüm doch irgendwie merkwürdig, oder?
Einer von Batmans erbittertsten Gegnern, ist Oswald Cobblepot, besser bekannt als Pinguin. In der Serie “Gotham” ist Oswald Anfang dreißig und zunächst nur der Regenschirmträger von Fish Mooney, einem Gangster-Boss der Stadt. Oswald wird in den kriminellen Kreisen kaum ernst genommen, da er weder besonders stark noch furchteinflößend ist. Er wird schikaniert, geschlagen, mehrmals verhaftet, verraten, entrinnt mehr als nur einmal knapp dem Tod und muss sich auch sonst einiges gefallen lassen. Allerdings ist Oswald ein helles Köpfchen und weiß, wie man geschickt Intrigen einfädelt und Menschen manipuliert.
[Achtung: Spoiler]
Dadurch gelingt es Oswald auch, vom Regenschirmträger zum Bürgermeister Gothams aufzusteigen.Doch was treibt ihn dazu an, die Rückschläge hinzunehmen und immer weiterzumachen? Es ist der Wunsch nach Wohlstand. Seine Mutter kam ursprünglich von Ungarn nach Gotham und zog Oswald alleine unter eher ärmlichen Verhältnissen auf. Oswald liebt seine Mutter über alles und möchte ihr ein sorgenfreies Leben ermöglichen. [Anm.: So die Darstellung in der Fernsehserie “Gotham”. In den Batman-Comics hat der Pinguin eine etwas andere Hintergrundgeschichte.]
Peter Parker und Otto Octavius (Spider-Man, Marvel)
Spider-Man und Dr. Octavius |
Was ist also Peters Knackpunkt? Ähnlich wie bei Bruce Wayne verleiht ihm der Tod eines nahestehenden Menschen die nötige Motivation, um in die Gänge zu kommen. Bei Peter ist die Situation jedoch noch einmal etwas verschärfter: Er stößt mit einem Mann zusammen, der soeben einen Laden ausgeraubt hat. Peter kümmert sich jedoch nicht darum, da er der Meinung ist, dass ihn das nichts angeht. Wenige Augenblicke später tötet genau dieser Mann Peters Onkel. Daraufhin plagen Peter Schuld- und Rachegefühle. Er stellt den Mörder seines Onkels und entschließt sich erst dann, sich den Rat seines Onkels zu Herzen zu nehmen “Aus großer Macht folgt große Verantwortung”.
Einer von Spider-Mans Erzfeinden hat im Grunde eine ähnliche Vergangenheit wie der Held der Comicreihe. Otto Octavius ist wie Peter ein sehr guter Schüler wofür er oftmals den Spott seiner Mitschüler über sich ergehen lassen muss. Später ist er ein genialer Nuklearwissenschaftler und Erfinder. Sein größter Durchbruch sind vier mechanische Arme, die über einen Computer mit dem Gehirn verbunden sind und so gesteuert werden können. Otto nutzt seine Erfindung bei der Atomforschung, da die Arme besonders stark und resistent gegen radioaktive Strahlung sind.
Warum also wird dieser Erfinder zu einem Bösewicht? Zunächst einmal verliert er seine Verlobte und seine Mutter. Durch den Verlust der sozialen Kontakte steigert er sich immer weiter in seine Arbeit hinein, bis er eines Tages bei einem Unfall radioaktiv verstrahlt wird. Aufgrund der Explosion und der damit einhergehenden Strahlung verschmelzen die vier mechanischen Arme mit seinem Körper und Otto kann diese nun ohne technische Hilfsmittel mit der Kraft seiner Gedanken steuern. Das ist noch immer kein Grund, sich dem Bösen zuzuwenden. Jedoch verursachte die radioaktive Strahlung und die Neuverbindung seines Gehirns mit den vier neuen Armen eine Reaktion, durch die Otto schließlich böse wird. Von da an treibt Otto als Dr. Octavius sein Unwesen in New York. [Anm.: laut Comicvorlage The Amazing Spider-Man #3 und Spider-Man/Dr. Octopus: Negative Exposure #1]
Im Fall von Dr. Octavius könnte man sagen, dass er einen unfreiwilligen Knackpunkt erlebt. Im Gegensatz zu anderen Figuren kann er sich nicht frei dafür entscheiden, welche Seite er einschlagen will. Er ist ein Unfallopfer, das aufgrund der eigenen Erfindung erst zu dem wurde, was er ist.
Tony Stark und Ultron (Iron Man, Marvel)
Iron Man und Ultron |
Was ist passiert? Je nach Vorlage gerät Tony im Vietnam-, Golf- oder Afghanistankrieg in Gefangenschaft, entrinnt nur knapp dem Tod und kann sich nur aus der Gefangenschaft befreien, indem er sich eine Rüstung baut und so seine Gegner überwältigt. Tony bekommt also die Auswirkungen des Krieges am eigenen Leib zu spüren und hinterfragt daraufhin sein bisheriges Geschäft. Er wechselt von der Rüstungsindustrie in die Erhaltung des Friedens. Doch allein darin sieht er nicht genug, um die Welt vor allen möglichen Gefahren zu schützen, weshalb er seine Iron-Man-Rüstung immer weiter optimiert und so auch persönlich gegen Feinde antritt.
Kriegsgefangenschaft und der Kampf ums Überleben lassen aus einem Waffenhändler also einen Helden werden. Nicht zuletzt ist Tonys Geschick in technischen Dingen entscheidend dafür, dass er eine Rüstung entwickelt, die ihn ganz ohne Superkräfte zum Helden macht.
Einer von Tony Starks Gegenspielern ist Ultron. Im Gegensatz zu vielen anderen Gegenspielern ist Ultron kein menschliches Wesen. Im Film “Avengers: Age of Ultron” (2015) wird es so dargestellt, dass Tony ursprünglich ein Programm erschaffen wollte, um die Welt zu beschützen. Allerdings versteht das Programm seine Aufgabe so, dass er die Menschen vernichten muss, damit er seine Aufgabe erfüllen kann. In seiner Logik ist der Mensch die größte Gefahr für die Welt. Er muss also zerstören, was ihn eigentlich erschaffen hat.
Wo liegt hier der Knackpunkt? Bei Ultron muss man schon etwas genauer hinsehen, um seinen Antrieb zu erkennen. Als Maschine hat er eigentlich keine Vergangenheit, keine Emotionen und keine Motivation. Aber er hat ein Ziel: Nämlich den Schutz der Welt. Im Grunde ist er eine intelligente Maschine, die genau das tut, was ihr aufgetragen wurde. Ähnlich wie bei Dr. Octopus hat er sich seine Aufgabe nicht ausgesucht, sondern wurde von äußeren Kräften dazu bestimmt. Ultron wurde nur deswegen zur Gefahr, da er seine Aufgabe analysiert und interpretiert hat. Sein Knackpunkt liegt also in seiner Entstehung und in dem Moment als Tony Stark ihm seine Aufgabe zuweist.
Wie du siehst, haben Comicfiguren meistens einen guten Grund für ihr Handeln. Sie haben in ihrer Vergangenheit Dinge erlebt, die sie zu einem Umdenken bewegt haben, sie haben einen Missstand erkannt und fühlten sich dafür verantwortlich, etwas daran zu ändern.
Sieh dir also deinen Protagonisten und Antagonisten noch einmal genau an. Folgende Fragen können dir helfen, die Hintergrundgeschichte deiner Charaktere kennenzulernen:
- Was hat den Charakter geprägt, welche Menschen waren/sind ihm wichtig?
- Welche Werte möchte er verteidigen/bewahren?
- Warum steht er jeden Morgen auf, um sich seiner Aufgabe zu stellen?
- Wie sind die Beziehungsverhältnisse zwischen Protagonist, Antagonist und anderen wichtigen Charakteren?
- Was ist der Knackpunkt in seiner Geschichte und wie hängt er mit seinem Ziel zusammen?
Und noch ein Tipp für alle, die mehr über die Motivation von Charakteren lernen wollen: Schaut euch mal die Serie “Gotham ” an.
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Zum Weiterlesen:
- Warum sollten Romanautoren ihren ersten Entwurf im Drehbuch-Stil schreiben?
- Der Antagonist ist immer der Böse – Regeln für Gegenspieler, gegen die man verstoßen kann und sollte
- Welches Konfliktpotenzial steht zwischen deinen Charakteren?
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