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Samstag, 4. Februar 2017

Ein Interview mit Tanja Hanika über gruselige Literatur

Foto: D. Pfingstmann
Sie sind düster, schaurig und mitunter auch ziemlich blutig und ekelerregend – Horrorgeschichten. Noch bevor sie auf die Filmleinwand kamen, entstanden sie bereits auf dem Papier. Ob Bram Stoker, H. P. Lovecraft, Edgar Allan Poe oder in der heutigen Zeit Stephen King mit seinen Werken – die Menschen lieben es, sich mit schaurigen Geschichten in Angst versetzen zu lassen. Doch woher kommt das? Und was macht gute Horrorliteratur aus?

Ich habe mich hierzu mit der Autorin Tanja Hanika unterhalten, die selbst Bücher im Horrorgenre schreibt und veröffentlicht. Sie wurde 1988 in Speyer geboren und studierte ab 2008 Germanistik und Philosophie an der Universität Trier. Heute lebt Tanja Hanika mit ihrem Mann, Sohn und zwei Katzen in der Eifel.





Hallo Tanja, erst einmal vielen Dank, dass du dir Zeit für unser Interview nimmst. Bist du bereit, dich von mir ausfragen zu lassen?

Sehr gerne! Ich freue mich, dir wieder einmal Rede und Antwort stehen zu dürfen.

Auf deiner Homepage berichtest du, dass du im zarten Alter von acht Jahren eine Kinderversion von Bram Stokers „Dracula“ bekommen und dadurch deine Liebe zu düsteren Geschichten entdeckt hast. Was fasziniert dich so sehr am Horror?

Ich mag die Atmosphäre dieser Bücher, gerade von Schauerromanen. Nicht jeder Leser – und dazu zähle ich auch mich – kann sich wirklich vor einem Buch fürchten, tatsächlich Angst beim Lesen haben. Ist mir noch nie passiert. Aber die Atmosphäre kann unheimlich, spannend und düster sein, sodass man mehr davon will und das Buch nicht mehr hergibt. Mir gefällt auch, dass sich die Figuren in Extremsituationen (meist um Leben und Tod) befinden, und sie es irgendwie schaffen müssen, sich aus dieser Zwickmühle zu befreien. Man kann als Leser mitfiebern und rätseln, wie man sich selbst verhalten hätte. Für mich ist Horror auch ein bisschen ein Spiel mit der eigenen Angst. Was halte ich aus? Ich finde, dass man gerade durch Horrorromane viel über sich selbst erfahren kann.

Heute als Erwachsene schreibst du selbst Horrorbücher. Was macht für dich eine gute Gruselgeschichte aus?

Was ich oben beschrieben habe, also Atmosphäre, Spannung und Identifikationspotenzial für den Leser sind wichtige Aspekte.

Aus Autorensicht würde ich dem noch hinzufügen, dass sowohl Protagonist als auch Antagonist, selbst wenn Letzterer nur eine böse/dunkle Macht ist, gut ausgearbeitet sein müssen. Der Antagonist sollte eine schier unüberwindliche Hürde für den Protagonisten darstellen.

Man sollte dem Leser ein paar Twists, also überraschende, erschreckende Wendungen geben, die natürlich im Nachhinein absolut nachvollziehbar sein müssen.

Der Spannungsbogen muss funktionieren, man sollte dem Leser immer dringendere Fragen geben, die ihn beschäftigen: Während man nach und nach kleinere Dinge auflöst, kommen neue, wichtigere Fragen dazu. Die Fallhöhe des Protagonisten erhöht sich also.

Eine gute Geschichte muss es generell schaffen, den Leser zu packen und nicht mehr loszulassen.

Hast du Vorbilder oder gibt es Autoren, die du für ihre Werke bewunderst?

Zwei der vier Autoren in deinem Einführungstext haben den Nagel auf den Kopf getroffen: Poe und King sind für mich Helden des Horrors, wobei es gerade von King viele Texte gibt, die mir nicht zusagen. Ich würde noch E.T.A Hoffmann, Dean Koontz und Richard Laymon hinzufügen, die ich als Horrorautoren bewundere.

Dazu kommen viele weitere Autoren, von denen mich einzelne Werke sehr begeistert und berührt haben. Um auch hiervon einige zu nennen: „Psycho“ (Robert Bloch), „Birdbox“ (Josh Malerman), „Vier Tage währt die Nacht“ (Dorothea S. Baltenstein) und natürlich „Dracula“ (Bram Stoker). Außerdem liebe ich die Märchen der Brüder Grimm und die düsteren deutschen Balladen.

Bei meiner Recherche zu diesem Interview habe ich mich gefragt, warum Menschen eigentlich Gruselgeschichten mögen. Warum setzen sie sich freiwillig dem Gefühl der Angst aus? Steckt dahinter vielleicht das Verlangen nach einer Art Kick, einem Adrenalinstoß? Wie erklärst du dir die Faszination für das Horrorgenre?

Wie es in einer vorherigen Antwort vielleicht schon Anklang: Ich glaube, dass Menschen manchmal das Bedürfnis haben, in ihrer (mehr oder weniger) heilen Welt eine Gefahrensituation durchzuspielen, um sich irgendwie zu wappnen. Ängste, die sonst verdrängt werden, werden durchgespielt und verlieren dadurch vielleicht ein bisschen ihren Schrecken. Angst wird eingeübt. Vielleicht sogar das eigene Bestehen in Gefahrensituationen trainiert, zumindest macht es den Anschein. King hat einmal gemeint, dass der Mensch durch das Erleben von fiktivem Schrecken den realen Schrecken für diese Zeit vergessen kann, vielleicht ist es auch das. Aber ganz bestimmt spielt auch Nervenkitzel eine Rolle. In einer Geschichte, in der es ums Ganze geht, um Leben oder Tod, wenn die dunklen Schatten einen zu verschlingen drohen, an die man eigentlich gar nicht glaubt, in so einer Geschichte kann richtige Spannung aufkommen. Deswegen berühren mich andere Genres nicht so sehr wie Horror: Findet ein Paar zusammen? Wird ein Verbrecher (im Krimi ja nach der Tat, wo es längst entschieden ist!) überführt? Aber im Horror geht es um unsere Albträume, die versuchen, uns einzuholen.

Mir persönlich geht es ja so, dass ich sehr gerne Horrorbücher lese, allerdings äußerst sensibel bin, was Horrorfilme betrifft. Letztere haben den großen Vorteil, dass sie durch grausame Bilder oder schaurige Musik Stimmung erzeugen und die Zuschauer erschrecken können. Das ist bei Büchern nicht der Fall. Denkst du, dass es schwieriger ist, Menschen durch das geschriebene Wort ins Gruseln zu versetzen als durch einen Film?

Ich würde so gerne mal hinter einem Leser stehen und im richtigen Moment laut „Buh!“ sagen. Wetten, dass der zusammenzucken würde? :)

Im Ernst: Filme haben neben diesem fiesen Trick, plötzlich die Musik laut zu drehen, auch die Möglichkeit, dem Zuschauer etwas Schlimmeres zu zeigen, als er es sich eigentlich vorstellen kann. Ein Autor kann zwar viel beschreiben, aber wenn der Leser nicht darauf eingeht oder sich eine schleimige, eitrige Pestbeule nicht vorstellen kann (oder will), dann kann man es ihm nicht gezwungenermaßen zeigen, wie es bei Filmen der Fall ist, wenn man nicht rechtzeitig wegschaut.

Also ja, ich halte es für schwieriger. Aber der Autor kann mit seinem Erzählerton einen ganz besonderen Bann aufbauen. Die Sprache muss nicht poetisch sein, aber man kann trotzdem Umschreibungen finden oder einen Sprachrhythmus, um den Leser zu fesseln. Eine schriftliche Geschichte kann also einen besonderen Sog aufbauen und mit authentischen Figuren und geschickten Twists den Leser tiefer berühren, als es ein Film könnte. Ich habe mich noch keiner Filmfigur so nahe gefühlt wie manchen literarischen Figuren.

Was übrigens Filme angeht, bin ich ziemlich unempfindlich, während ich sie schaue. Aber manche schaffen es, meine Fantasie zu infizieren und später stelle ich mir dann lauter unheimliche Dinge vor. Aber: „Where there is no imagination there is no horror.“ (Arthur Conan Doyle) Damit verteidige ich manchmal meine Schreckhaftigkeit nach einem guten Horrorfilm. :)

Wenn du Gruselgeschichten liest, welche Szenen und Elemente findest du besonders erschreckend? Bist du eher ein Fan von atmosphärischem Horror oder darf es auch richtig blutig sein?

Wenn es blutig, eitrig und schleimig wird - also ekelig, dann finde ich das schnell langweilig. Es stört mich nicht, wenn in einem Roman solche Szenen geschickt untergebracht sind, manchmal sind sie sogar das i-Tüpfchen. In zu hohem Maß wirkt das aber schnell wie Effekthascherei. Ein Roman muss mehr können, als Gedärme zu vermatschen.

Was ich gerne lese, sind atmosphärische Texte. Das Setting muss stimmen, der sprachliche Stil muss schön zu lesen sein. Dazu authentische und sympathische Figuren und einen schrecklichen Bösewicht oder das Böse in interessanter Gestalt. Ein spannendes Grundszenario kann mich auch sehr fesseln. Ich lese gerne gut gemachte, überraschende Geschichten, bei denen man auch mitdenken muss. Was ich gar nicht leiden kann ist Gewalt gegen Kinder und Tiere. Da bin ich ein Weichei und ärgere mich schnell über den Autor, wenn solche Szenen nur im Ansatz überflüssig erscheinen.

Mir ist aufgefallen, dass in der heutigen Literatur einstige Horrorfiguren oft „gezähmt“ werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die „Twilight“-Saga von Stephenie Meyer. Vampire und Werwölfe werden als menschenfreundliche Wesen dargestellt. Wie erklärst du dir diesen Trend und was hältst du persönlich davon?

Glitzernde Vampire und Werwölfe mit Zahnspange sind, um es nett auszudrücken, nicht mein Fall. Man muss den Besuch des Vampirs fürchten und nicht herbeisehnen, sonst ist das kein Horror und kein richtiger Vampir mehr. Jede Art von Geschichte hat ihre Berechtigung und wem das gefällt, der darf das gerne lesen. Ich habe schon ganz liebe Freundinnen von „Twilight“ schwärmen hören und wir sind weiterhin befreundet. :) Ich denke, der Reiz des Mysteriösen und Gefährlichen ist eben für fast alle Altersstufen ansprechend und für manche Teenies braucht es eben eine etwas harmlosere Variante vom richtigen Grusel.

Ich liebe besonders Vampire und Zombies, aber wenn, dann bitte brutal und gnadenlos. Gezähmt haben sie ihren Reiz für mich verloren. Ich hoffe, dass es bald wieder ein paar richtige Vampire in die Literatur schaffen.

Entgegen der sehr beliebten Genres wie Romantik oder Fantasy, bedient Horror ähnlich der Science Fiction eine eher kleinere Lesergemeinde. Mittlerweile ist dein Name in der Selfpublisher-Szene schon ein Begriff geworden, aber ich kann mir vorstellen, dass es anfangs ganz schön schwierig war, Leser zu finden. Welche Tipps hast du für junge Autoren, die auch im Horrorgenre erfolgreich werden möchten?

Das hast du jetzt schön gesagt, das wäre fantastisch, wenn das der Fall wäre. :)

Ich frage mich jeden Tag, wie ich neue Leser finden, alte behalten und meinen Autorenalltag möglichst spannend und erfolgreich gestalten kann.

Die meiner Meinung nach wichtigsten Tipps für angehende Autoren lauten:

Glaube an dich selbst und nimm deine Arbeit als solche ernst.

Steige frühzeitig in die für dich passenden Social Media Kanäle ein und sei dabei möglichst professionell.

Lies und schreib so viel du kannst.

Am Wichtigsten: Schreib das, was du selbst gerne lesen möchtest, dann hattest du immerhin eine schöne Zeit, selbst falls du das Projekt am Ende nicht veröffentlichen möchtest.

Und für Horrorautoren:

Lass dir gute Twists einfallen, schreib mit Leib und Seele und versuche, es dem Leser so gruselig wie möglich zu machen. Überlege dir, was dir selbst Angst machen könnte und schreibe etwas noch viel viel Schlimmeres.

Sebastian Fitzek, der ja für seine mitunter sehr grausigen Psychothriller bekannt ist, hat einmal sinngemäß gesagt, dass Leute ihn öfter fragen, wie krank man denn sein müsse, um solche Sachen zu schreiben. Dasselbe gilt auch für Horrorgeschichten. Ich denke, jeder Mensch hat eine dunkle Seite. Wie siehst du das? Hilft dir das Schreiben grausamer Texte dabei, negative Gefühle zu verarbeiten oder deine dunkle Seite auszuleben?

Wenn ich erzähle, dass ich Autorin bin, schlägt mir durchweg Begeisterung entgegen. Wenn ich aber erzähle, dass ich Horrorromane schreibe, scheinen sich die Leute tatsächlich Sorgen um meine geistige Gesundheit zu machen. Zuerst einmal sind sie aber überrascht, da man das wohl von mir nicht erwartet.

Damit komme ich auch zum 2. Teil deiner Frage: Meine dunkle Seite endet schon mit dem Interesse für alles Düstere, rockige Musik und eben Gruselgeschichten und Horrorfilmen. Ich lebe durch meine Texte absolut keine Mordgelüste oder Aggressionen aus, ich schreibe einfach aus Spaß am Grusel und hoffe, meine Leser gut zu unterhalten, zu fesseln und zu überraschen. Ja, auch ein bisschen zu erschrecken, ich gebe es zu! :)

Viele aus meinem Umfeld bezeichnen mich als Sonnenschein, was mich sehr freut, weil ich ein ziemlich positiver Mensch bin. Ein Horrorautor muss kein schlecht gelaunter, mordlüsterner Miesepeter sein, der der ganzen Welt Tod und Verderben an den Hals wünscht. Manchmal erschrecke ich selbst über die Ideen, die ich habe, aber ich schreibe das einfach mal meiner Fantasie und dem Job zu. :)

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie reagieren deine Freunde und Familie darauf, dass du Horror schreibst? Fragen sie dich manchmal: „Wie kommt man denn auf so etwas?“ Oder sind sie am Ende deine größten Fans?

Ich kann mich absolut glücklich schätzen, dass meine Familie so hinter mir steht. Mein Mann ist stolz, dass ich Horror schreibe und nicht Liebesromane. Meine Eltern lesen auch ganz eifrig alles, was sie in die Finger bekommen, und gerade meine Mutter ist selbst so eine Gruseltante wie ich. Sogar meine Omas lesen meine Geschichten – aber eben nur solange es draußen hell ist. Manchen Einzelpersonen muss man es natürlich immer wieder einmal erklären, weshalb „so ein nettes Mädchen so grausige Sachen“ schreibt, aber sonst wäre ich nicht, wer ich bin. Das Spiel mit den Schatten, mit der (literarischen) Angst ist ein ganz wesentlicher Teil von mir. Die Frage, woher die Ideen kommen, kann ich selbst kaum beantworten. Sie überfallen mich zu jeder Gelegenheit.

Damit wären wir am Ende des Interviews angekommen. Noch einmal vielen Dank, dass du mir Rede und Antwort gestanden bist. Ich wünsche dir alles Gute und viel Erfolg weiterhin.

Ich bedanke mich ganz herzlich, dass ich über meine Lieblingsthemen Horror und das Schreiben reden durfte. Danke für die tollen Fragen und die Chance, mich und das Horrorgenre vorzustellen.

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Zum Weiterlesen:

Interview mit Axel Hollmann über Autorenlifestyle
"Schreiben ist schmerzhaft" - Interview mit Marcus Johanus über Thriller und Krimis
Geschichten träumen - Interview mit Dana Müller



Mimi bloggt auf www.myna-kaltschnee.com über Bücher und das Schreiben. Ihre Geschichten sind in den Genres Horror, Fantasy und Science Fiction zu Hause.


2 Kommentare:

  1. Großes Lob für euch, Mimi und Tanja! Ihr habt es geschafft, alles Wichtige zum Thema in diesem tollen Interview zu bringen. Ich bekomme jetzt Lust, endlich mal meinem großen Vorbild Steve (King) nachzueifern und ... aaaaargh! 😱

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    1. Hallo Jens,

      vielen lieben Dank für dein Lob. Ich habe mich sehr gefreut. Wer weiß, vielleicht kommt dir ja auch noch eine Idee für einen Horror-Schocker ;-)

      Liebste Grüße
      Mimi

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