Die Schreibmeer-Kolumne. Einmal im Monat dürfen unsere Autoren unter diesem Deckmantel aus den Tiefen des Schreibmeers blubbern.
Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mich anstecken lasse. Ach, eine kleine Tüte Lebkuchen geht schon. Wie eine Elster jage ich nach den neuesten Weihnachtsteesorten und erfreue mich an der großen Kerzenrabattaktion unseres geliebten Möbelhauses aus dem Norden.
Als ich später im Kerzenschein auf der Couch sitze und mich an Lebkuchen und Weihnachtstee labe, fällt mein Blick wieder auf den Kalender. Es ist noch nicht einmal November. Mit schlechtem Gewissen lasse ich meine Gedanken schweifen. Wie von selbst kommt mir ein wohlbekannter Vers in den Sinn.
„Von drauß' vom Walde komm ich her; Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!“¹ Draußen vom Möbelhaus da komm' ich her, mein Tee und mein Lebkuchen duften gar sehr...
Von wem war das Gedicht nochmal? Ach ja, Theodor Storm. Was würden er und seine Kollegen zu unserem heutigen Weihnachten schreiben? Ich weiß es nicht. Es ist doch so anders.
Wirklich?
Joseph von Eichendorff wandelt durch verlassene Gassen und erfreut sich an den festlich geschmückten Häusern.² Ein wenig missmutig schaue ich aus dem Fenster des Plattenbaus. Irgendwo lässt wieder jemand einen Böller los, schräg gegenüber rückt die Feuerwehr aus und im Nachbarblock hat man schon die Discobeleuchtung angemacht.
Ich wende meinen Blick ab. Das macht mich nervös. Ich krame in meiner Erinnerung. Nein, auf das Weihnachten in der Großstadt wollen die Zeilen so gar nicht passen. Heutzutage werde ich eher überfallen, als dass sich mich an den schön erleuchteten Fenstern erfreuen kann.
Was muss das doch für eine heimelige Zeit gewesen sein. Auch im Dezember hetze ich von Termin zu Termin, habe Projekte für die Uni und auch wenn ich es nicht zulassen möchte, so packen auch mich die hässlichen Klauen des Stresses.
Mir kommen immer mehr Ausschnitte klassischer Weihnachtsgedichte in den Sinn. Rainer Maria Rilke erzählt von einem Winterwalde wo schon „manche Tanne ahnt wie balde sie fromm und lichterheilig wird.“³ Ach wie poetisch. Doch was ist Schnee?
Bei uns im Flachland saßen wir schon am 24. Dezember bei 14°C im Biergarten. Weiße Weihnachten gibt es schon lange nicht mehr. Was würde ich für ein paar weiße Flocken am Heiligen Abend tun! … Wahrscheinlich muss ich es Heinrich Hoffmann von Fallersleben gleichtun und von einem solch herrlichen Anblick träumen: „Ich lag und schlief; da träumte mir ein wunderschöner Traum: Es stand auf unserm Tisch vor mir ein hoher Weihnachtsbaum.“⁴
So wie der Herr von Fallersleben von einem wunderbar festlich geputzten Weihnachtsbaum träumte, so bleibt wohl auch mir nichts anderes übrig, als mir die weiße Weihnacht zu erträumen. Von einer Erderwärmung waren die großen Dichter und Denker noch weit entfernt gewesen. Auch wenn sie sicher ihre eigenen Koffer zu tragen hatten, so scheinen sie doch ein Sinn für das Schöne gehabt zu haben. Zudem hatten sie die Gabe, ihre Eindrücke in wohlklingende Worte zu fassen.
Heute lernen Kinder höchstens die Verse vom Kipfel, vom Kapfel, vom Zipfel, vom Zapfel, vom knusprigen Apfel.⁵ Und das vielleicht nicht mal freiwillig. Es winken schließlich Geschenke. Auch sonst fällt es mir schwer, das Weihnachten, welches in den vielen Gedichten beschrieben wird, zu finden. Stattdessen wird auf dem Weihnachtsmarkt vermehrt gesoffen, der x-te Laptop neu gekauft, das Smartphone beim Telefonieren beinahe aufgegessen und der Rest, der steht im Stau.
„Wie so weit und still die Welt!“⁶
¹ Theodor Storm: Knecht Ruprecht
² Joseph von Eichendorff: Weihnachten
³ Rainer Maria Rilke: Advent
⁴ Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Der Traum
⁵ Der Bratapfel (Bayrisches Volksgut)
⁶ Joseph von Eichendorff: Weihnachten
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