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Mittwoch, 10. Februar 2016

I’m just a dreamer, I dream my life away …

Traumsequenzen begegnen uns in der Literatur immer wieder mit unterschiedlichen Intentionen und verschiedenen Motiven und liefern ein höchst interessantes Stilmittel. Nicht nur für den Leser – sondern auch für die Autorin oder den Autor. Doch worauf ist zu achten, was ist Sinn und Zweck? Und gibt es ein No-go?



Die Traumsequenz als Stilmittel

Träume sind Schäume. Oder auch nicht? Gerade für die schreibende Zunft können Träume so viel mehr sein. Eben dann, wenn man Traumsequenzen in die Texte einfügt. Das ist zugegebenermaßen keine ganz neue Idee. Heinrich Heine träumte in seinem „Wintermärchen“ sehr aufschlussreiche Passagen über die zeitgenössischen politischen Geschehnisse – eine gut funktionierende Verkleidung, um seine Thesen an der Zensur vorbeizuschummeln. Arthur Schnitzler mit seiner Traumnovelle – die recht freizügigen Erotikphantasien offenbaren die Wünsche des Unterbewusstseins, ohne explizit werden zu müssen. Denn es ist alles nur geträumt.

Auch die heutige Unterhaltungsliteratur mag Traumsequenzen. Kerstin Gier treibt es mit ihrer „Silber“-Trilogie auf die Spitze und kehrt Traum und Realität geradezu um, denn die eigentliche Romanhandlung findet wo statt? Genau, im Traum.


Die Traumsequenz im Roman – wozu eigentlich?

Rein formal ist eine Traumsequenz ein Einschub in die eigentliche Handlung. Es wird etwas dargestellt, was inhaltlich keine oder kaum Anknüpfungspunkte an das sonstige Romangeschehen hat. Die Sequenz ist ein Text im Text und folgt somit auch eigenen Regeln. Damit ist die Traumsequenz gleichsam ein erzähltechnischer Joker. Denn manches möchte die Autorin oder der Autor dem Leser präsentieren, ohne dass es gleichzeitig direkt mit der Handlung zusammenhängt. Innere Befindlichkeiten oder Ideen der Protagonisten können zur Sprache kommen und wichtige Hintergrundinformationen für die Leser bieten. Unterbewusstes der Protas kann sichtbar werden und dem Leser vermitteln, welche Bezugnahmen es zum Charakter gibt – durch den Traum kann das Mosaik der Charakterisierung vervollständigt werden. Auch können Träume die Handlung indirekt beeinflussen, indem zum Beispiel moralische Wandlungen hier ihren Ursprung finden. Und das alles, ohne in die eigentliche Romanhandlung integriert werden zu müssen, ohne logische Anknüpfungspunkte finden zu müssen – ja bisweilen sogar ohne Logik. Denn Träume funktionieren nicht logisch, sondern assoziativ. Die oder der Prota hat alle Freiheiten zu träumen, was er eben so träumt. Ohne Rücksicht auf Logik. Und damit hat die Autorin oder der Autor ebenso alle Möglichkeiten zu erzählen, was sie oder er erzählen möchte, weil es relevant für die Handlung ist. Ebenfalls ohne Rücksicht auf Logik.

Beispiel: Der Akteur hat Flugangst? Dann darf er gern einen Angsttraum haben, in dem er Flügel hat wie Ikarus und einen üblen Absturz erleidet. Vielleicht hält dieser Angsttraum ihn von einer Flugreise ab. Er dreht am Gate um, trifft in ein Geschehen und die Handlung entwickelt sich. Oder, oder, oder. „Trau dich mal zu spinnen, es liegt in deiner Hand“, wie PUR so schön in „Abenteuerland“ besingt.


Regeln. Oder auch nicht? Schauen wir mal.

Ein Traum folgt keinen Regeln und keiner Logik. Schreiben funktioniert jedoch mit ein paar Regeln besser. Zum Glück sind diese bei Traumsequenzen rein formaler Art – inhaltlich ist erlaubt, was gefällt.
  • Einbettung durch Überblendung. Eine Traumsequenz sollte eingeleitet und auch wieder abgeschlossen werden. Im Film geschieht dies durch optische Signale: Das Bild verschwimmt, wird schwarz-weiß oder Ähnliches. Im Text braucht man hierfür sprachliche oder wenigstens satztechnische Signale. Die Anmerkung, dass dem Prota gerade die Augen zufallen, dass er in einen todesähnlichen Schlaf fällt, reicht manchmal sogar schon. Dann ein Absatz, die eigentliche Traumsequenz vielleicht kursiv gesetzt. Am Schluss der Sequenz kann es passen, das Wecksignal in den Traum einzubauen, eventuell das Weckerklingeln als Alarmsirene träumen zu lassen oder Ähnliches. 
  • Allerdings kann auch gerade das Spiel mit fehlender Einleitung reizvoll sein. Der Leser wird im Unklaren gelassen, dass das Geschehen gerade ein Traum ist. Die Spannungskurve kann ihrem Höhepunkt zulaufen und – Paff!: Alles nur ein Traum. 
  • Erzählperspektive: Immer wichtig ist die saubere Erzählperspektive. In Traumsequenzen ist sie allerdings doppelt und dreifach wichtig. Der Traum spielt sich allein im Kopf des Protas ab – entsprechend kann auch nur das geschildert werden, was sie oder er im Traum erlebt. Alles andere, was sich der Kenntnis entzieht, muss ausgeblendet werden. Es sei denn, es handelt sich um Träume mit seherischem Charakter, wenn dieses Thema zum Plot gehört.
    Generell muss also eine Traumsequenz aus der personalen Erzählweise oder auch aus der Ich-Perspektive heraus erzählt werden. Auktorial funktioniert es zwar auch, dann geht aber die Unmittelbarkeit des Traums verloren. 
  • Erzählzeit: Der Traum findet für den Träumenden in der Gegenwart statt, und im Traum steckt der Leser gleichsam im Kopf des Träumers und erlebt den Traum mit. Also spricht absolut nichts dagegen, die Traumsequenz im Präsens zu lagern, auch wenn die eigentliche Handlung in der Vergangenheitsform geschrieben wird. Im Gegenteil, das Präsens kann in diesem Fall sogar helfen, den Traum vom eigentlichen Geschehen abzusetzen – siehe Punkt Überblendung
  • Dabei gilt jedoch wie bei jedem Stilmittel: Das richtige Maß ist entscheidend (es sei denn, man möchte wie bei Schnitzler oder Gier gerade die Traumhandlung zur eigentlichen Handlung machen.) Sparsam eingesetzt, als Akzent auf den richtigen Stellen, kann eine Traumsequenz ein sehr probates Stilmittel für die Handlung werden. 


Motive aus dem Reich der Träume

Um die Traumsequenzen zu gestalten, lohnt sich ein Blick in Richtung der Traumdeutung. Denn viele Motive, die in Träumen vorkommen, haben schon fast so etwas wie eine feste Bedeutung – wobei „fest“ hier natürlich ein dehnbarer Begriff ist. Dennoch lohnt es sich, in einem Traumlexikon einmal nachzuschlagen, wenn man als Autor bestimmte Hinweise subtil im Traum verstecken möchte, die eine Bedeutung für die eigentliche Romanhandlung haben können. Auch online gibt es viele Informationen darüber, welche Symbole wie gedeutet werden und somit für bestimmte Aspekte stehen können. Damit lassen sich die Traumsequenzen von der Motivik her bereichern und mit Bedeutungen aufladen. Einfach mal stöbern und inspirieren lassen.


Träume in Texten – ungeahnte Möglichkeiten

Wenn man als Autorin oder Autor sich einmal mit ein paar Schreibübungen der ganzen Thematik nähert, wird sicherlich bald deutlich, wie viele neue Möglichkeiten entstehen können. Einfach mal ausprobieren, und das nächste Projekt wird vielleicht ein echter Traum.



Katrin schreibt nicht, sie lässt schreiben und verleiht als Lektorin den Texten den letzten Schliff. Was sie liest, rezensiert sie gern auf https://nowheremansbuecherschrank.wordpress.com/

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